Trendforscher Peter Wippermann "Ich habe die Ich-AG erfunden - das Wort!"
Die Zukunft kennt auch er nicht. Aber er weiß, auf welchen Pfaden die Gesellschaft unterwegs ist. Und hat so ein Gefühl dafür, wie diese Pfade hinterm Horizont weitergehen.
Serie: Mein Lebensplan
An Weihnachten blickt man zurück auf das vergangene Jahr - und spätestens mit den Silvester-Raketen ploppen Pläne fürs das kommende auf. Grund genug, Experten zum Thema Lebensplan zu befragen. In unserer Serie antworten: eine Lebensberaterin, ein Abt, eine Astrologin, zwei Ethnologinnen - und der Hamburger Trendforscher Peter Wippermann.
BR.de: Fukushima, Eurokrise, Terror: Gerade 2011 konnte man den Eindruck, gewinnen, dass die Zukunft immer unsicherer, immer weniger planbar ist. Auf der anderen Seite gibt es allein bei Amazon 355 Treffer zum Thema Lebensplanung, manche Eltern suchen für ihr Kind schon vor der Geburt ein Eliteinternat aus. Wie passt das zusammen?
Wippermann: Das eine bringt das andere hervor. Wir leben in einer Welt, in der traditionelle Sicherheitsangebote dereguliert werden. Man ahnt, dass Bildung und Leistung in Zukunft immer wichtiger werden, man weiß aber nicht, was genau dann gefordert sein wird. Das ergibt ein Paradox, das viele Menschen verunsichert: Aus dem Moment heraus in Zukunft Leistung bringen zu wollen - die permanente Selbstkonditionierung von Kopf und Körper.
BR.de: Ihr eigener Lebenslauf wirkt eher ungeplant: Ausbildung zum Schriftsetzer, Art Director, Hochschullehrer, Trendforscher. In dieser Zeit haben Sie für "Konkret" gearbeitet, später für Nestlé …
Wippermann: Klingt das nach "Arbeiterverräter"? Bin ich nicht. Ich gehöre einer Generation an, die viel weniger planen musste. Dinge ergaben sich, wer wollte, konnte viel ausprobieren. Wer heute heranwächst, muss viel mehr über seinen Berufsweg nachdenken, sich in immer kürzerer Zeit darauf vorbereiten zu produzieren - ich nenne das Industrialisierung des Lernens. Die Kehrseite davon sind Phänomene wie Komasaufen. Die heutige Elterngeneration steht dazwischen und fühlt sich oft überfordert. Die hatten Vorbilder wie Kurt Cobain, sind bis zur Jahrtausendwende an Langeweile gestorben und arbeiten jetzt in unübersichtlichen Verhältnissen an ihrem Burn Out.
Peter Wippermann: Der Mann, der mit der Zukunft spricht
Trendforscher ist der Begriff, unter dem Peter Wippermann, Jahrgang 1949, meist geführt wird, gern auch Zukunftsforscher. Über Fachkreise hinaus bekannt wurde der langjährige Art Director, als er für den Zigarettenkonzern Philip Morris die Reihe "Talk with tomorrow" initiierte. 1992 gründete er mit Matthias Horx und anderen das Hamburger Trendbüro. In seinen Vorträgen beschäftigt er sich mit fast allem, was da am Horizont auf uns zukommt - 2011 etwa mit verändertem Verbrauchervertrauen, Wohnen im demografischen Wandel, Augmented Reality und der neuen Snackkultur.
BR.de: Sie gelten als Erfinder eines Begriffs, der 2002 zum "Unwort des Jahres" gekürt wurde – die Ich AG.
Wippermann: Ja, den haben wir auf dem Trendtag 2000 zur Diskussion gestellt. Es ging darum, wie der Einzelne bei zunehmender Ökonomisierung der Lebensverhältnisse autonom bleiben kann. Später hat Peter Hartz den Begriff für ein Instrument seiner Arbeitsmarktpolitik verwendet. Heute denkt man dabei an sozial Schwache, uns ging es aber um eine Metapher für Lebensgestaltung.
BR.de: Von welchen Werten lassen sich die Menschen dabei denn nach ihrer Erfahrung leiten?
Wippermann: Wir erstellen jedes Jahr einen Werteindex. An der Spitze steht seit langem die Freiheit. Andere Werte wandeln sich - Erfolg zum Beispiel wird heute ganz anders definiert als noch vor vier Jahren. Es geht weniger um materiellen Erfolg, sondern um Lebensqualität.
BR.de: Oft korrespondieren Konsumwünsche ja mit allgemeinen Sehnsüchten und Lebensvorstellungen. Wir nennen Ihnen zwei Alternativen und Sie sagen uns, welche davon gerade stärker im Trend liegt. Entweder - oder!
Peter Wippermann: Bitte ...
Geld
Liebe
Die Antwort
Sponti-Trauungen in New York sind ein Ding der 90er, die Jagd nach dem rauschhaften Sexerlebnis noch älter. Heute zählen Vertrauen, das Füreinander-da-sein in guten und schlechten Tagen. Modelle wie der "doppelte Seehofer" oder das junge Glück Lafontaine-Wagenknecht machen vielen eher Angst.
Wohnen
Die Antwort
Schrankwände sind zählebig. Interessant aber: Ikea rüstet seine Billys gerade um fürs digitale Zeitalter. Der Klassiker ist 28 Zentimeter tief, also ideal für Bücher. Der Billy der Zukunft ist elf Zentimeter tiefer: Da passt ein Ipad rein und ein E-Book dazu und noch viele Prachtbildbände und Designobjekte.
Nahrung (flüssig)
Die Antwort
Ich hatte beruflich mit beiden zu tun. Bionade macht mich ein bisschen traurig: Die waren die ersten, die ein Getränk mit Haltung auf den Markt gebracht haben, mit „Dafür stehen wir“. Heute probiert Coca Cola sowas selber und Bionade wird wieder vermarktet und wahrgenommen als Konzernprodukt. Dabei haben kleine, grüne etwas schräge Anbieter und fair gehandelte Soft Drinks beste Chancen.
Glück
"Glück ist machbar. Das Vier-Stufen-Programm für Ihre persönliche Lebensplanung"
Titel eines Ratgeberbuchs zum Thema
"Leben ist, was passiert, während du andere Pläne machst."
Spruchweisheit - John Lennon zugeschrieben
BR.de: "Glück ist machbar" oder "Leben passiert" - Welcher der beiden Sichtweisen würden Sie sich anschließen?
Wippermann: Mir fällt da gleich noch ein Titel ein: "36 Regeln, einfach zu leben". Bücher lesen ist lehrreich, Lehrbücher lesen nicht immer. Im Grunde ist es doch einfach: Wer eine Haltung hat, kann flexibel reagieren.