Franz Xaver Kroetz Baby Schimmerlos, der Wutbürger
Seine Rollen als fiktiver Klatschreporter in "Kir Royal" und echter "Bild"-Kolumnist machten ihn massenwirksam. Erfolg ist Kroetz wichtig. Noch wichtiger ist ihm: die Bretter, die die Welt bedeuten, auszureißen und damit die Bretter vorm Kopf zu zertrümmern.
Wie wird man ein richtiger, wichtiger, wütender Dramatiker? Zum Beispiel, indem man im Hinterland aufwächst, als Sohn eines bayerischen Steueramtmanns und einer sehr katholischen österreichischen Mutter, in Simbach am Inn, wo am anderen Ufer Adolf Hitler geboren ist. Da, wo man früh die Kunst des großen Auftritts und des wirkungsvollen Abgangs erlernen kann.
Theater als Hin und Her und Heimarbeit
Kroetz verschwindet mit 15 Richtung Wien. Er will ans Max-Reinhardt-Seminar, was auch gelingt. Nach vielversprechenden Anfängen tauscht er die Bühne gegen einen Ort, wo man das echte Leben kennenlernt - die Münchner Großmarkthalle. Mit Anfang 20 bewegt sich Kroetz geschmeidig zwischen Obstkisten und Speditions-Lkws, der Tegernseer Ludwig-Thoma-Bühne und Fassbinders Münchner "antitheater". Die Orte wechseln - Darmstadt, Heidelberg, München - , das Theater hält ihn fest.
An den Kammerspielen kommen seine frühen Einakter "Heimarbeit" und "Hartnäckig" zur Aufführung - hermetisch geschlossene Unterschichthöllen, bewohnt von Krüppeln und unehelichen Kindern, die von rechten Randalierern im Publikum mit Stinkbomben empfangen werden. 1971 landen Kroetz und Fassbinder einen Doppelschlag: In Dortmund feiert Kroetz' "Wildwechsel" vielbeachtet Premiere, Fassbinders Verfilmung mit der sehr nackten Eva Mattes verstärkt den Effekt.
Miteinander kommunizieren? Reden, halt!
Die 70er-Jahre sind Kroetz' produktivste Zeit: Die Naziwunden sind noch nicht verheilt, das Wirtschaftswunder spuckt seine unbrauchbaren Kinder aus, im Theater herrschen Sinn-, Hilf-, und Sprachlosigkeit. Kroetz' Protagonisten, wie Schweinsknöcherl in Aspik gefangen im Wechselspiel aus dumpfem Brüten und jähem Zorn, sind die Figuren eines Volkstheaters neuen Typs. Die wiederentdeckte Marieluise Fleißer nennt Kroetz, Fassbinder und Martin Sperr ihre "Söhne". Als Väter würde Kroetz vielleicht Brecht oder Horváth akzeptieren; von fern grüßt Samuel Beckett, auch wenn Kroetz das absurde Theater als "Urschleimtaucherei" abtut.
Seinem ersten großen Wurf hat Kroetz diese Sätze vorangestellt: "Der Dialog von 'Heimarbeit' reicht für ein konventionelles Theaterstück von etwa einer Stunde. Das Stück soll aber 90 Minuten ohne Umbauten dauern". Der Rest ist also Schweigen, genauer: Die präzise Verrichtung von Bühnenvorgängen wie Säcke füllen, Brote schmieren, Onanieren. Ein zweijähriges Kind soll auch auf die Bühne.
"Die Sprache funktioniert bei meinen Figuren nicht. Sie haben auch keinen guten Willen. Ihre Probleme liegen so weit zurück und sind so weit fortgeschritten, daß sie nicht mehr in der Lage sind, sie wörtlich auszudrücken (...) Das ist ein Krankheitsbild, das sich ausweitet."
(Vorwort zu 'Heimarbeit')
Ein bayerischer Kommunist von Weltrang
Die Sprache des Dramatikers selbst funktioniert prächtig, in den frühen und auch in manchen späten Stücken. Etwa in "Ende der Paarung" (2000), einem verzweifelt komischen Beziehungsdrama, dessen Helden "Bärli" und "Rehlein" nach dem Vorbild des durch Freitod aus dem Leben geschiedenen Politikerpaares Petra Kelly und Gert Bastian modelliert sind. Manchmal gleichen schon die Regieanweisungen Gedichten.
In kurzer Zeit avanciert das zeitweilige DKP-Mitglied Kroetz zum zugleich umstrittensten und meistgespielten deutschen Dramatiker; seine Werke kommen in 40 Ländern auf die Bühne, gern auch in der DDR. Die lakonische Dichte der Sprache und die letztlich unpolitische Hoffnungslosigkeit der Handlung tendieren freilich auch zur Selbstparodie. 1991 schreibt die "Süddeutsche Zeitung" anlässlich der Kölner Aufführung seines Stückes "Bauerntheater" von der "Krise des Dramatikers Kroetz".
"Die Figuren sind deutsch, radikal deutsch. Kitsch und Seele, Mitleid, noch lieber Selbstmitleid, Egomanie und Neurose, Weltschmerz und Jägermeister, Weltmeister."
(Regieanweisung zu 'Ende einer Paarung'))
Aus der "DDR" zu "Bild": Die Umwendung des FXK
Zu dieser Zeit ist ohnehin schon alles anders. Das liegt auch daran, dass Kroetz die Rolle seines Lebens angenommen hat - die des zynischen Society-Reporters Baby Schimmerlos in Helmut Dietls TV-Epos "Kir Royal".
"Ich scheiß dich zu mit meinem Geld": Maria Adorf, Dieter Hildebrandt, Franz X. Kroetz in "Kir Royal"
Plötzlich kennen ihn alle, auch die nicht ins Theater gehen. Die Rolle macht Kroetz so viel Spaß, dass der Autor, Regisseur und Schauspieler sich als Kolumnist für Bild und Bunte verdingt. Ein Verrat an der Arbeiterklasse? Oder die Neugier, wie ein Wallraff ohne Verkleidung auch diese Seite des Lebens selbst kennenzulernen?
Dann hat der Dichter eine Schreibblockade. Vielleicht so wie der Held in "Der Dichter als Schwein" (1996). Jedenfalls gibt es seit längerer Zeit mehr über ihn als von ihm Geschriebenes: Über die 13-jährige Ehe mit der Schauspielerin Marie-Theres Relin. Über Fernseh- und Kino-Aktivitäten im Tatort und als "Brandner Kasper" und sein Nicht-Vorgesehen-Sein in "Zettl", der Fortsetzung von Kir Royal (die ohne ihn dann auch heftig floppt). Über seine Abschiede vom Theater und die Abschiede vom Abschied und sein Teilzeit-Exil auf einer spanischen Sonneninsel, über die er in einem Interview mit dem "Münchner Merkur" sagt: "Der Norden Teneriffas, wo ich lebe, ist spanisch, katholisch, provinziell, eng, strukturell postfeudal. Wen das an Bayern erinnert, der ist selber schuld."
Ruhestand eines Wutbürgers
Auf seiner Website listet der Autor stolze 65 Werke auf und ergänzt: "In Planung: nichts mehr, oder? Schau mer mal." Längst hat sich Kroetz seinen Platz in den Literaturgeschichten erschrieben - etwa jener von Volker Weidermann ("Lichtjahre"), der ihn neben Achternbusch, Jelinek und Bernhard stellt. Was bleibt? "Eine dunkle Erinnerung aus einer Zeit, als noch Wut in der Welt war und in Deutschland. Verzweiflung auf den Bühnen. Skandale." Klingt nicht so unaktuell.
Werke in Auswahl
"Hilfe, ich werde geheiratet" (1969)
"Heimarbeit" (1971)
"Wildwechsel" (1971)
"Oberösterreich" (1972)
"Stallerhof" (1972)
"Weitere Aussichten ..." (1973, Fernsehspiel)
"Maria Magdalena" (1974, Hebbel-Adaption)
"Mensch Meier" (1978)
"Nicht Fisch, nicht Fleisch" (1981)
"Der Mondscheinknecht" (1982, Prosa)
"Bauern sterben" (1985)
"Nicaragua-Tagebuch" (1985, Aufzeichnungen)
"Ich bin das Volk" (1994)
"Der Dichter als Schwein" (1996)
"Das Ende der Paarung" (2000)
"Blut & Bier" (2006, Kurzgeschichten)