Albert Ostermaier Die Lust des Torwarts am Hexameter
Albert Ostermaier kennt die Elfenbeintürme der Poesie, aber Wolkenkratzer sind ihm lieber. Ein Jahr lang - und zwar ausgerechnet 2001 - zog er als "Writer in Residence" durch New York. Sonst lebt er meist in München, geht oft ins Kino, macht Theater, Gedichte und eine ziemlich gute Figur als Torwart.
Albert Ostermaier liebt das Kino. Auf der Homepage des Münchners laufen im Hintergrund grau-blaue Filmbilder von Jean-Pierre Melvilles "Un Flic" (1972). Der Klassiker des Film Noir liefert die Folie für Ostermaiers Sehnsuchtsbilder eines anderen Lebens. Ostermaier ist kein Pop-Literat, und doch bilden die Mysterienspiele des Pop - Film, Musik, Sport - den Urgrund seines Schreibens.
Kurt Cobains und Dantons Tod
Was tun? Als Schüler macht Ostermaier, Jahrgang 1967, Rockmusik und muss feststellen, dass andere das besser können. Früh begeistert er sich für Architektur; ihr Studium bleibt ein Rohbau. Ostermaier wechselt zur Germanistik: In der 11. Klasse hat die Sprache von Georg Büchners Drama "Dantons Tod" ihm wie ein Kameraschwenk eine neue Welt erschlossen. Mit 21 fühlt er, dass "der Stachel, Literatur zu machen" ihm tiefer im Fleisch sitzt als gedacht .
"Mein erster Anlauf Richtung Rock endete, als ich beim Stagediving mit dem Kopf gegen einen Mauervorsprung knallte und mit blutender Stirn von der Bühne getragen werden musste. Der andere, als meine damalige Freundin sich lieber ihrer Geburtstagstorte hingab als meinem Lovesong"
(Ostermaier in der 'Zeit')
In einem Kleinverlag veröffentlicht er seinen ersten Gedichtband "Verweigerung der Himmelsrichtung" und bringt einen neuen Ton in die deutsche Lyrik. Anders als die meisten Debütanten geht Ostermaier nicht unter in der Flut der Neuerscheinungen: Er erhält das Münchner Literaturstipendium, seine Lyrik findet einen renommierten Verlag. "Herz Vers Sagen" (1995) findet mehr Leser, als ein Gedichtband erwarten kann.
Der Dramatiker: Ostermaier als "Hausautor"
Weithin bekannt wird Ostermaier zuerst als Dramatiker. 1995 führt das Bayerische Staatsschauspiel München sein Stück "Zwischen zwei Feuern" auf, das den Untertitel "Tollertopographie" trägt. Es geht um die Todesnacht des bayerischen Revolutionärs, der sich am 22. Mai 1939 im New Yorker Mayflower Hotel erhängte.
In den folgenden Jahren ist Ostermaier Hausautor am Mannheimer Nationaltheater - eine Stellung, die auf Friedrich Schiller zurückgeht, was Ostermeier zusätzlich herausfordert. In gleicher Position arbeitet er danach fürs Bayerische Staatsschauspiel, wo er 1998 zum 100. Geburtstag von Bertolt Brecht das Theaterstück "The Making Of B.-Movie" verfasst. Nach einem Jahr in New York ist er seit 2003 wieder Hausautor, jetzt am Wiener Burgtheater.
Den Regisseuren macht es Ostermaier leicht: Die Aneignung seiner Stücke durch die jeweilige Inszenierung setzt er voraus. "Alles, was man auf die Bühne bringt, ist eine Interpretation, eine Übersetzung. Der Begriff der Werktreue ist ein Kampfbegriff, der nichts mit der Realität zu tun hat."
Dramen
1993 - Zwischen zwei Feuern
1996 - Zuckersüss & Leichenbitter
1997 - Tatar Titus
1998 - Radio Noir 2000 - Letzter Aufruf
2001 - 99 Grat
2002 - Vatersprache
2003 - Auf Sand
2005 - Nächte unter Tage
2006 - Ersatzbank
2007 - Schwarze Minuten
2009 - Fratzen
2009 - Blaue Spiegel
Längst gehört der Kleist- und Brecht-Preisträger mit über 20 Stücken zu den meistgespielten deutschsprachigen Dramatikern. 2009 werden gleich zwei neue Theaterarbeiten von ihm uraufgeführt: "Frantzen" am Nationaltheater Mannheim und "Blaue Spiegel" am Berliner Ensemble; 2010 zeigt die Bayerische Staatsoper "Die Tragödie" des Teufels mit einem Ostermaier-Libretto und Musik des ungarischen Komponisten Peter Eötvös.
Der Lyriker Ostermaier: Atemlos durchs Labyrinth
Lyrik
1988 - Verweigerung der Himmelsrichtung
1989 - umWaelZTon
1991 - Nicht in Venedig
1995 - Herz Vers Sagen
1997 - Fremdkörper hautnah
1999 - Heartcore
2004 - Solarplexus
2006 - Polar
2007 - Für den Anfang der Nacht
2008 - Wer sehen will
Ostermaiers andere Liebe: die Lyrik. Sein Markenzeichen: konsequente Kleinschreibung ohne Punkt und Komma. Seine Themen: Filme und Landschaften, Liebe, Tod, Oliver Kahn. Fünf Gedichte widmet er dem Bayern-Torwart 2009 - "mehr als jeder Frau". Ostermeier weiß, was er dichtet: Immerhin hält er selbst in der DFB-Autorennationalmannschaft hinter Moritz Rinke, Thomas Brussig und Sönke Wortmann den Kasten sauber.
Ostermaiers Gedichte sind "syntaktische Labyrinthe" in meist freier Metrik. Eine verführerische, oft dunkel-schwelgerische Atmosphäre weht den Leser an, der dem Autor an die Orte seiner empfindsamen Wahrnehmung folgt. Manchmal, besonders in seinen Lesungen, steigert sich der Rhythmus zum adrenalingetriebenen Rap. Metaphernreich und suggestiv ist seine Sprache, auch mythengesättigt - freilich ohne dass man, wie beim Lesen von Durs Grünbein, auf dem zweiten Knie ein Lexikon des klassischen Altertums balancieren müsste.
Werke (Auswahl)
2001
Autokino
Ostermaiers 61 bildreiche Gedichte sind lyrische Texte, kunstvolle hypotaktische Sätze ohne Punkt und Komma, die aus langen Blöcken aufgereihter kurzer Zeilen gebildet werden. Den Rhythmus dieser narrativen Gedichte muss der Leser selber suchen. Sie sind voller Tempo und zum Teil gerappte Reime über das Wunderbare des banalen Alltags, wie ein traumseliges Kino über das Lebensgefühl der "Generation Golf". Dem Band ist eine vom Autor eingelesene CD beigelegt.
2006
Der Torwart ist immer dort, wo es weh tut
Albert Ostermaier ist leidenschaftlicher Fußballfan und spielt selber als Torwart in der "Deutschen Autoren-Nationalmannschaft". Die in diesem Band versammelten 14 Texte (Lyrik, Dialoge und Prosa) dokumentieren seine bedingungslose Kicker-Hingabe. Die "Oden an Kahn" stehen neben der Würdigung eines namenlosen Manndeckers, eine Hommage an den Elfmeter: Denn hier ist der Torwart der "letzte Held" - und hat keine Angst.
2008
Zephyr
In seinem bisher einzigen Roman nähert sich Ostermeier einem spektakulären Totschlag: der Rockmusiker Bertrand Cantat erschlug 2002 seine Geliebte, die Schauspielerin Marie Trintignant. Die Romanfigur Gilles versucht über diesen Fall ein Drehbuch zu schreiben und sich zugleich über die Beziehung zu seiner Frau Cathy Klarheit zu verschaffen. Gilles verschmilzt dabei mit Bertrand. Erzählt wird die zwischen Wirklichkeit und Fiktion osizillierende Story wie ein Film Noir.
2008
Wer sehen will
24 Gedichte zu Schwarzweiß-Bildern des italienischen Fotografen Pietro Donzelli (1915-1998). Momentaufnahmen aus den 50er-Jahren voller eigener Poesie aus Neapel, Mailand und der Po-Ebene. Ein Innehalten der Zeit. Die Melancholie der Orte entfaltet in den Fotos den metaphysischen Charakter der Schauplätze des Lebens. Albert Ostermaiers Gedichte tragen Titel wie "suchbild", "stundengläser" oder "cinema paradiso" und umkreisen die Themen vergebliche Liebe und Verlassenwerden.
Lebensdaten
*30. November 1967 in München
lebt in München