Kultur - Literatur


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Michael Ende Der lange Atem unendlicher Geschichten

Was heute Harry Potter ist, war in den 80er-Jahren ein Junge namens Bastian Bux: Held unzähliger Kinderträume. Zaubern konnte der Protagonist der "Unendlichen Geschichte" nicht, aber lesen, was aufs Gleiche rauskam. 15 Jahre nach Michael Endes Tod sind seine Leser von einst erwachsen - und lieben seine Geschichten noch immer.

Von: Michael Kubitza

Stand: 01.04.2019 | Archiv

Michael Ende und ein Zitat aus seinen Werken | Bild: BR, picture-alliance/dpa, Montage: BR / Christian Sonnberger

* 12. November 1929 in Garmisch
+ 28.August 1995 in Filderstadt

Es sind vor allem diese Figuren, die man immer schon kannte, aber nie benennen konnte, bis Michael Ende ihnen Gestalt und Namen gab: Die grauen Herren, die uns die Zeit stehlen; der Kater Maurizio di Mauro, der die Welt retten könnte, wenn er nicht so verfressen wäre; der Scheinriese, der kleiner wird, je näher man ihm kommt. Bei seinem Erfinder ist es umgekehrt: Der Lieblingsautor vieler Kindheiten wächst, wenn man sich Jahre später wieder mit ihm beschäftigt.

Kindheit: ein böser Traum

Der Laden von Michael Endes Mutter in Garmisch, darüber die Wohnung der Familie

Michael Ende ist vier Jahre alt und lebt in München, als Hitler an die Macht kommt. Was das bedeutet, merkt er früh: Sein Vater, der surrealistische Malers Edgar Ende wird mit Berufsverbot belegt. Die Mutter verkauft arabische Spitzen und Edelsteine und lernt auch noch Heilgymnastik, um die Familie mit viel Mühe durchzubringen. "Die Lehrer haben mich überzeugt, dass ich nichts wert bin und dem Lebenskampf nie gewachsen sein werde", erzählt Michael Ende später - Bastian Bux lässt grüßen. Im Krieg kommt er mit der "Kinderlandverschickung" zurück an seinen Geburtsort Garmisch. 1945 soll er zur Wehrmacht, desertiert und nimmt Verbindung zur "Freiheitsaktion Bayern" auf. Dann ist der Krieg vorbei wie ein böser Traum.

Erfolgsspuren des Träumers

Das Theater rettet den späteren Bestsellerautor damals schon aus seelischer und materieller Not: Von 1948 bis 1950 bringt ihn ein Stipendium an die Otto-Falckenberg-Schauspielschule. Bis in die 60er-Jahre schlägt er sich als Schauspieler an Provinzbühnen und Filmkritiker des Bayerischen Rundfunks durch.

Mit der Augsburger Puppenkiste auf Erfolgsspur: Jim Knopf

Auf die Erfolgsspur bringen ihn ein Lokomotivführer namens Lukas und sein kleiner Freund Jim Knopf. Überrascht stellt Ende fest, dass Zehntausende seine Selbstbeglückungsgeschichte lesen wollen. Die Umsetzung durch die "Augsburger Puppenkiste" vergrößert den Erfolg. Mit seiner späteren Frau, der Schauspielerin Ingeborg Hoffmann, und etwas Geld in der Tasche zieht Ende nach Genzano bei Rom. Hier, in der sogenannten Villa Einhorn, entstehen Endes erfolgreichste Romane "Momo" (1973) und "Die unendliche Geschichte" (1979). Beide treffen den Nerv der Zeit und werden Welterfolge.

Werke (Auswahl)

1960

Jim Knopf und Lukas der Lokomotivführer

Sie stiegen in das Führerhäuschen, schlossen die Türen und fuhren in die Wüste hinein. Die Dampfwölkchen aus dem Schornstein der guten dicken Emma stiegen in den Nachthimmel empor, immer höher und höher und zergingen endlich ganz hoch droben, wo leuchtend der große silberne Mond stand": So beginnt Michael Endes Schriftstellerlaufbahn. "Jim Knopf und Lukas der Lokomotivführer" ist sein erstes veröffentlichtes Buch und ein Bestseller. Zuvor hatten 12 Verlage das 500 Seiten dicke Manuskript abgelehnt; die Fortsetzung "Jim Knopf und die wilde 13" hätten viele gern gehabt. Noch bekannter wird Ende durch die Verfilmungen der Augsburger Puppenkiste.

1973

Momo

Als Ende nach Rom zieht, hat er das "Momo"-Manuskript bereits im Gepäck. Die ewige Stadt mit ihren abertausend Geschichten inspiriert ihn: Momo, das kleine Mädchen, das den Kampf mit den Zeit raubenden "grauen Herren" aufnimmt, begegnet uns in einem alten Amphitheater. Für viele Fans ist Momo Endes gelungenstes Buch - was auch daran liegt, dass es sich ebensogut als Märchen lesen lässt wie als spannender Abenteuerroman und Allegorie auf die kapitalistische Gesellschaft.

1979

Die unendliche Geschichte

Es klingt wie ein Traum: Zum Start erscheint Endes "Kinderbuch für Erwachsene" mit 20.000 Exemplaren. Fünf Jahre später ist die Auflage fast ohne Werbung auf eine Million gestiegen - und ein Alptraum beginnt: Lange schon wollte Ende eines seiner Bücher im Kino besuchen. Indes kennt er sich im Reich der Fantasie besser aus als mit Filmrechten. Mehrfach wechselt der Stoff den Besitzer, am Ende realisiert Bernd Eichinger eine wenig subtile Version, die Ende vergebens vor Gericht zu verhindern versucht. Zwei Tage nach dem Premierenbesuch stirbt Endes Frau an einer Lungenembolie. Ohne sie fehlt ihm der kreative Widerpart und die Kraft zu den ganz großen, epischen Abenteuerreisen.

1983

Der Spiegel im Spiegel

Ein Experiment: Die Geschichten in Endes surrealistischem Erzähllybyrinth sind voneinander unabhängig, jedoch durch Motive aufeinander bezogen. Das Buch erinnert passagenweise an die Arbeiten des Argentiniers Jorge Luis Borges, gewidmet ist es Endes Vater Edgar, dem fantastischen Maler. Besser verkauft sich sechs Jahre später der "satanarchäolügenialkohöllische Wunschpunsch", in dem sich Michael Endes Lust am kunterbunten Fabulieren noch einmal Bahn bricht.

1984

Der Goggolori

In Rom hat Ende den Komponisten Wilfried Hiller kennengelernt, der sein Freund und kongenialer Partner wird. Zusammen realisieren sie unter anderem den "Goggolori", eine "bairische Mär mit Musik" nach Motiven aus alten Volkssagen. Die Oper wird ein großer Erfolg und zählt zu den Klassikern bei den Orff-Festspielen auf Kloster Andechs. Über das Musikverständnis seines Freundes erzählt Hiller: "Was für Michael wichtig war, gerade wenn es um die Bühnenwerke ging: dass die Musik erst dann einsetzen musste, wenn er mit dem Wort nicht mehr weiter kam. Mit Musik kann man die Grenzen der Fantasie noch eher erreichen als mit dem gesprochenen Wort."

Ins Kino: Mit Kurosawa? Oder doch Dietl?

Mit der ungeliebten Zelluloidversion des Märchens wendet sich 1984 Endes Glück. "Es schien ihm unmöglich, mit einem Film die Fantasie zu beflügeln", erzählt der Freund Wilfried Hiller. "Traumbilder entstehen im Kopf, nicht auf der Leinwand." Dabei hat der frühere Kinokritiker, wie der "Spiegel" damals berichtete, eine Verfilmung anfangs herbeigesehnt - am liebsten durch Andrzej Wajda oder Akira Kurosawa. Später ist Helmut Dietl ernsthaft im Gespräch. Schließlich setzt Wolfgang Petersen im Auftrag Bernd Eichingers den Plot des Buchs mit einem 60-Millionen-Dollar-Etat um.

Kein Happy End

Ingeborg Hoffmann sieht sich den Film als erste an. Sie kommt entsetzt aus dem Kino zurück, legt sich ins Bett und stirbt zwei Tage später an einer Lungenembolie. Elf Jahre später, am 28. August 1995, folgt Ende - inzwischen nach Bayern zurückgekehrt - ihr nach.

Das Geld, das der Film und die immer weiter wachsenden Buchauflagen einbringen, hat da längst sein Steuerberater durchgebracht. Um Finanzielles hat sich Ende, der E.T.A. Hoffmann verehrte und Novalis nacheiferte, nie wirklich gekümmert. Ihm ging es - so vertraut er es seinem "Zettelkasten" an - um das "freie und absichtslose Spiel der Fantasie". Vielleicht ist es das, was Endes zeitlose Märchen in der Zeit der Hyperspekulation so aktuell macht: Handeln sie doch von der Kraft der Träume, einschließlich der Alpträume - und von den Gefahren des Realitätsverlusts.

Ende, unendlich: Ausstellungen, Musicals und ein Park:

Wie populär Ende immer noch ist, zeigt ein Blick in Bayerns Kulturkalender im Jahr seines 80. Geburtstags: In Bayreuth standen die "Traumfresserchen" auf der Bühne, die Hofer Jazztage vertonten das "kleine Lumpenkasperle". Schloss Isny zeigte Friedrich Hechelmanns Bilder zu "Momo" und die Augsburger Puppenkiste ihre Ende-Marionetten. In München erinnert ein kleines Museum dauerhaft an den Autor. Nirgendwo aber ist Michael Ende lebendiger als an seinem Geburtsort: In Garmisch ehrte man den Autor mit einem "Phantasién-Lexikon" und der Umgestaltung des Kurparks in einen Themenpark mit versunkenen Skulpturen, rätselhafte Brunnen und Amphitheatern - alles nach dem Vorbild jener italienischen Gärten, die Michael Ende so mochte.


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