ARD-Korrespondenten Krisen, Überraschungen und Ohrenkino
Das BR-Magazin hat drei der ARD-Korrespondenten des Bayerischen Rundfunks nach ihrem Arbeitsalltag und ihrer Freizeit befragt. Susanne Glass ist Korrespondentin und Studioleiterin im ARD-Fernsehstudio Wien/Südosteuropa. Torsten Teichmann leitet das Hörfunkstudio Tel Aviv. Julio Segador ist Hörfunkkorrespondent für Südamerika und arbeitet von Buenos Aires aus.
BR-Magazin: Gibt es bei Ihnen einen typischen Arbeitstag?
Julio Segador: Nein, den gibt es eigentlich nicht. Zu unterschiedlich und zu vielfältig ist das Berichtsgebiet in Südamerika. Ich bin häufig auf dem Kontinent unterwegs. Das Berichtsgebiet selbst ist ein sogenanntes Angebots-Berichtsgebiet. Das heißt, dass ich nicht so stark in die aktuelle Berichterstattung eingebunden bin - wie etwa die Kollegen in Washington oder Tel Aviv-, und daher mehr Zeit zum Reisen habe. Von daher gibt es keinerlei "Büroroutine". Südamerika, dieser faszinierende Kontinent, hat einen schier endlosen Fundus an Themen und Geschichten. Diese als großes Ohrenkino für den ARD Hörfunk umzusetzen, ist der Anspruch, den ich habe, und zwar an jedem Arbeitstag.
Torsten Teichmann: Wie ein Tag läuft, entscheidet sich manchmal schon um fünf Uhr in der Früh: ein Brandanschlag israelischer Siedler auf palästinensische Häuser, Geschosse aus Gaza auf Ziele in Israel? Einige Ereignisse der Nacht müssen noch im Pyjama von daheim eingeordnet werden. Ist die Nachricht schwerwiegend, folgen nach der ersten Meldung im Radio, Hintergrundberichte, Live-Gespräche, Kommentar und Analyse über den gesamten Tag bis spät in die Nacht. Manchmal reicht es dann gar nicht mehr aus, dass wir zwei Korrespondenten sind. Wir berichten aber nicht nur über Aktuelles. Das Leben um den Felsendom in Jerusalem, eine neue israelische Methode zur Früherkennung von Darmkrebs oder der Wunsch junger Palästinenser in Gaza nach Europa zu fliehen, sind ebenfalls Themen.
Susanne Glass: Das einzig Sichere an meinem Arbeitstag ist, dass ich morgens dusche, Kaffee trinke und online Nachrichten checke. Danach ist tatsächlich alles offen. Der "Arbeitstag" kann bis nach Mitternacht im Schnittraum andauern, wenn "Nachtmagazin" oder/und "Morgenmagazin" Beiträge bestellen. Er kann am Abend vollkommen überraschend in einem der elf Länder enden, für das wir außer Österreich zuständig sind. Weil es dort zum Beispiel eine politische Umwälzung, eine (Natur-)Katastrophe oder einen terroristischen Anschlag gegeben hat. Manchmal bleibt kaum mehr Zeit, den Koffer zu packen. Und bei Drehreisen - etwa zu den Kindern, die in Rumänien in der Kanalisation enden oder über das Thema "Skiabenteuer abseits der Pisten auf dem Balkan" - ist sowieso jeder Tag anders und unvorhersehbar. Manchmal kann diese Unvorhersehbarkeit nerven und auch belastend fürs Privatleben sein. Aber zum allgrößten Teil liebe ich genau diese Abwechslung an meinem Job.
Was lieben Sie an Ihrem Berichtsgebiet?
Torsten Teichmann: Die Menschen, die Krisen, das Licht. Das Licht ist umwerfend, das kann ich im Radio immer schlecht zeigen. Aber Sie müssen mal sehen, wie im Dezember die Wintersonne in Gaza oder Tel Aviv schräg und klar auf die Straßen scheint.
Julio Segador: Ganz klar die vielfältigen Kulturen, die auf dem Kontinent leben. Südamerika ist in vielen Regionen wesentlich geprägt von indigenen Einflüssen. Dazu kommen Einflüsse durch europäische und nordamerikanische Kulturen (Einwanderer). Dieser Mix ist hochspannend, er bietet unendlich viele Themen. In Politik, Kultur, Wirtschaft. Er macht neugierig, wird nie langweilig. Dazu kommt, dass der Kontinent in Bewegung ist. Sozial schwache Länder wie Bolivien, Peru oder auch Kolumbien erheben den Anspruch einer modernen Entwicklung. Ein intensiver, spannender Prozess.
Susanne Glass: Die Vielfältigkeit der Länder, Landschaften, Menschen, Kulturen, Religionen. Hier bieten sich unzählige Geschichten - ernste, bunte, traurige, lustige, absurde. Von Politik bis Tourismus. Es wird niemals langweilig. Dadurch, dass so vieles in Südosteuropa bei Drehreisen nicht vorher planbar ist, entstehen häufig die interessantesten, spontanen Begegnungen und Situationen. Und die Region entwickelt sich stetig. Als ich vor 15 Jahren, damals als Hörfunk-Korrespondentin, angefangen habe, in Südosteuropa zu arbeiten, herrschten dort noch Kriege und Krisen. In Serbien war Miloševic an der Macht. Heute sind einige der Länder EU-Mitglieder, andere auf dem Weg dorthin. Es ist sehr spannend, diese Entwicklungen begleiten zu können.
Wie wichtig ist Social Media bei Ihrer Arbeit?
Susanne Glass: Sehr wichtig und wird immer wichtiger. Ich bin mir sicher, dass die Zukunft des Journalismus und somit auch der BR-Auslandsstudios trimedial ist. Fernsehen und Hörfunk wird es weiter geben, beide sind aber ohne Online-Option nicht mehr vorstellbar. Im ARD-Studio Wien haben wir sehr erfolgreich einen Südosteuropa Blog gestartet, dessen Klickzahlen das große Interesse an dem Gebiet beweisen. Diesen Blog betreiben wir selbstverständlich gemeinsam mit den Hörfunk-Kollegen. Wir haben außerdem vor kurzem ein gemeinsames Webspecial "Die Schatten von Srebrenica" zum 20. Jahrestag des Massakers zusätzlich zu unserer regulären Arbeit auf die Beine gestellt. Daraus sind ein Radio- und ein Fernsehfeature entstanden. Soll heißen: "Radiomenschen" machen auch Fernsehen und umgekehrt. Und alle gemeinsam Online. Das ist auch professionell eine große Bereicherung für uns alle.
Torsten Teichmann: Zwei Dinge: Meldungen aus sozialen Medien sind Anhaltspunkte für Geschichten und Entwicklungen. Die sind wie Tipps, nach dem Motto: Da muss man mal nachfragen. Und zum anderen machen wir mit Social Media Marketing für unsere Berichte und Beiträge, liefern Zusätzliches. Unverzichtbar. (Der Blog des ARD-Studio Tel Aviv ist ebenfalls mit Social Media vernetzt).
Julio Segador: Social Media wird immer wichtiger. Als weiteres Mittel, um Informationen zu transportieren und kommunizieren. Vor allem aber um zu recherchieren. Kaum eine Präsidentin, kaum ein Präsident, der noch Pressekonferenzen gibt. Statements zu bestimmten politischen Ereignissen/Entwicklungen werden über Twitter und Facebook kommuniziert. Da muss man am Ball bleiben. Social Media ist aus der täglichen Arbeit nicht mehr herauszudenken.
Wie bauen Sie Stress ab?
Torsten Teichmann: Klassische Musik. Ich wohne zehn Minuten vom Mann-Auditorium entfernt, der Spielstätte der Israelischen Philharmoniker.
Susanne Glass: Durch viel Sport. Etwa Schwimmen, Skifahren, Segeln oder Boxen. Und bei guten Abendessen mit guten Freundinnen und Freunden und gutem Wein.
Julio Segador: Musikhören und gute Bücher lesen. Das ist mir wichtig. Leider Gottes bleibt dafür wenig Zeit. Als Südamerika-Korrespondent muss ich natürlich weiter Flugstrecken auf dem Kontinent zurücklegen. Da habe ich immer meine Kopfhörer (mit Geräuschreduzierung) dabei. Im Flugzeug gute Musik zu hören, ohne Nebengeräusche – das ist für mich Entspannung pur.
Wohin reisen Sie im Urlaub?
Susanne Glass: Im Frühjahr gerne nach Asien, um den langen, trüben Wintern in Wien zu entkommen. Aber ganz generell liebe ich das Reisen selbst - das Ziel ist fast zweitrangig. Man kann es sich (fast) überall schön und interessant machen.
Julio Segador: Wenn es nach meinen Kindern geht, immer nur nach Berlin. Sie lieben die Stadt und könnten da jedes Jahr mehrmals hinfahren. Ich mag das Bayernland und vor allem Spanien, wo noch ein Großteil meiner Familie lebt. Da ich beruflich in Südamerika sehr viel herumkomme, steht der Kontinent gar nicht so weit oben auf der Urlaubs-Agenda. Vielleicht wird sich das in einigen Jahren – wenn ich wieder nach München zurückgekommen bin – ändern. Da werde ich mir dann überlegen, welche Flecken auf meiner Südamerikakarte noch ganz weiß sind. Viele werden es aber sicher nicht sein.
Torsten Teichmann: Ich bin noch nie im Berichtsgebiet geblieben. Bei aller Zuneigung und Liebe, manchmal braucht es auch Abstand.