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Mein Freund Rockefeller Wer ist dieser Mann?

Ein Dokumentafilm erzählt die Geschichte des bayerischen Hochstaplers Christian Gerhartsreiter. Der log sich alias "Clark Rockefeller" sein Leben zurecht, wie es ihm gefiel, und sitzt nun wegen Mordes im Gefängnis

Stand: 23.09.2016

Da sitzt ein Mann in blauer Sträflingskleidung, ein Haarschippel fällt ihm in die Stirn, eine ovale Brille hat er auf. Schultern und Mundwinkel hängen. "Fiktion, was ist denn Fiktion?", schwadroniert er. "Fiktion ist Lüge. Jeder Roman, den wir lesen, jeder Spielfilm, den wir sehen, ist eigentlich eine Lüge." Das Auge der Kamera ruht auf dem Mann und lässt sich nicht trügen. Trotz des klaren Blicks der Kamera und der ruhigen Bilder kann auch Steffi Kammerers Dokumentarfilm "Mein Freund Rockefeller", der jetzt in deutscher Erstausstrahlung im BR Fernsehen läuft, nach der Wahrheit nur vorsichtig tasten.

Der Sträfling, der sich selbst offensichtlich gerne reden hört, ist einer der größten Lügner der Gegenwart. Er heißt Christian Gerhartsreiter, geboren 1961 als Sohn einer Schneiderin und eines Malers, ist in Übersee am Chiemsee aufgewachsen. Als 17-Jähriger ging er in die USA, legte sich dort wechselnde neue Identitäten und Namen zu und lebte schließlich als Clark Rockefeller auf ganz großem Fuß – bis zu seiner Scheidung 2007. Danach folgten Absturz, Sorgerechtsstreit und 2008 eine Verhaftung, weil er seine Tochter entführt hatte. Das Gefängnis-Interview mit Gerhartsreiter führten der US-amerikanische Autor Walter Kirn, ein ehemaliger Freund des Hochstaplers, und Steffi Kammerer. Kirn ließ sich von der Geschichte zum Thriller "Blut will reden" inspirieren. Denn Christian Gerhartsreiter ist nicht nur Hochstapler und Entführer, er ist auch ein verurteilter Mörder und sitzt eine Haftstrafe von 27 Jahren ab. Er hat in einer Zeit, als er sich Chris Chichester nannte und einen britischen Adeligen gab, den Sohn seiner Vermieterin getötet, dessen Leiche zerstückelt und im Garten vergraben. Es gibt die Vermutung, dass er mordete, um nicht enttarnt zu werden. Die Ehefrau des Mordopfers ist bis bis heute verschwunden, eventuell wurde auch sie getötet. Gerhartsreiter beteuert seine Unschuld.

Steffi Kammerer begleitet ihn schon seit Jahren journalistisch. "Ein Bayer auf Lügen" war ihr großer Artikel im Nachrichtenmagazin "stern" betitelt. Sie ist fasziniert davon, "wie hier jemand seine Realität geschaffen hat und so erstaunlich willige Kollaborateure fand", erzählt sie dem BR-Magazin. "Einfach, weil alle Beteiligten daran glauben wollten." Als Rockefeller blendete Gerhartsreiter die feine Gesellschaft, "die Reichen und Überheblichen", wie es Walter Kirn formuliert. Der Habenichts aus Bayern machte auf Großkotz und auf Erfolgsmensch, obwohl er weder in der Filmindustrie noch als Börsenmakler Fuß fassen konnte. Er heiratete schließlich eine Unternehmensberaterin und lebte von deren üppigem Einkommen. Anderen gegenüber präsentierte er sich als Kunstkenner und -Sammler, Sherrytrinker, Strippenzieher. Architekten, Künstler, Autoren wie Walter Kite – alle fielen auf ihn herein und freuten sich, einen echten Rockefeller zu kennen, einen aus dem reichsten Familienclan der USA. Für Steffi Kammerer ist Gerhartsreiter "ein unscheinbarer, farbloser Mann, dessen Strahlkraft sich mir bestenfalls aus den Erzählungen seiner Freunde erschloss. Mit einem deutschen Akzent, der bis heute unüberhörbar ist." Dabei war er so stolz auf sein makelloses Englisch und seine feinen Manieren. Nicht alle, die Gerhartsreiter kannten, wollten vor der Kamera über ihn sprechen. "Das war der schwierigste Teil. Direkt nachdem Gerhartsreiter 2008 verhaftet wurde, war die Redebereitschaft der Bekannten und Freunde noch größer, seit der Mordanklage änderte sich das deutlich", erzählt Steffi Kammerer über die Dreharbeiten. Manche sind belustigt darüber, wie er alle so schön reingelegt hat. Die Ex-Partnerinnen, in Aufnahmen aus dem Gericht zu sehen, wirken verbittert. Walter Kirn sagt: "Das war der Mann, der gar nicht da war." Wer dieser Mann wirklich ist, weiß vielleicht nicht einmal er selbst. Gerhartsreiter sagt: "Identität? Das müsste ich in einem Wörterbuch nachschlagen."


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