Bayerische Tracht Das Gewand der Heimat
Eine zweiteilige Dokumentation zeigt die Geschichte der bayerischen Tracht: Wie sie zum Symbol kultureller Identität wurde und diese immer noch prägt
Die gängige Vorstellung von Bayern schaut so aus: Alpen, Bier, Oktoberfest, Lederhosen und Dirndl. Und nicht nur die Auswärtigen, sondern auch der gemeine Bayer ist der Ansicht, dass es sich bei den beiden letzteren um mehrere Jahrhunderte alte Traditionskleidung handelt. Dabei ist die bayerische Tracht eine relativ junge Erfindung. Das belegt Regisseurin Katarina Schickling in ihrer neuen zweiteiligen Dokumentation "Unsere Tracht und die Macht" im Bayerischen Fernsehen.
Ureigene Idee der Wittelsbacher
In wohl keiner anderen Region Deutschlands nehmen Brauchtumspfl ege und Traditionen einen so hohen Stellenwert ein wie in Bayern. Dabei waren die Bayern bei der Gründung des Königreichs im Jahre 1806 weit entfernt von einer gemeinsamen Identität: Ungeachtet der unterschiedlichen kulturellen Wurzeln und der sprachlichen und landschaftlichen Unterschiede wurden Franken, Schwaben, Pfälzer und Bayern vereint. Beim ersten Oktoberfest 1810 ließ Max I. Joseph Kinder und Jugendliche in Trachten kommen – als Vertreter der verschiedenen Landschaften, die zu Bayern gehört haben. Als Erstes schrieb sich König Maximilian II. die Förderung der ländlichen Kleidung auf die Fahnen – sogar mit einem Erlaß. Mit der Verbreitung der Trachten wollten die Wittelsbacher "zur Hebung des bayerischen Nationalgefühls" beitragen. Das war eigentlich Phantasiekleidung und nicht historisch bedingt. "Die Tracht ist Mode einer bestimmten Zeit und sozialen Schicht, die wir heute mit Tradition, Heimat, Identität, Zugehörigkeit und so weiter verbinden", so definiert Alexander Wandinger vom Trachten- Informationszentrum Oberbayern in Benediktbeuern den Begriff "Tracht". Im 19. Jahrhundert beginnt ein regelrechter Trachtenboom.
Die Dokumentation schildert den Werdegang der Tracht in Bayern: wie die Wittelsbacher Adelsfamilie ein Nationalgewand erfindet, das zum Symbol für Bayern wird. Die Regisseurin ist beeindruckt davon, wie geschickt es die Wittelsbacher verstanden haben, ein Branding zu kreieren: "Wie sie ein Marketingtool gefunden haben, ein Alleinstellungsmerkmal: So sehen wir Bayern aus. Eigentlich sehr schlau, denn es funktioniert bis heute!" Für viele ist die Tatsache, dass es die Tracht als solche erst seit dem 19. Jahrhundert gibt, eine Überraschung. Selbst in ihrem Freundeskreis stieß Schickling auf Widerstand: Das könne doch nicht sein, hieß es oft. Aber: "Es gibt Geschichten, bei denen wir glauben, alles zu wissen, und dann ist es doch anders, und sie bieten überraschende Aspekte".
So erfährt der Zuschauer, dass das Dirndl ursprünglich kein Mägdekleid gewesen ist, sondern das modische Sommerkleid einer Städterin im Landurlaub; und dass die Lederhose, die Lodenjacke und der Hut dem Jägergewand um 1850 keiner bäuerlichen Arbeitskleidung entsprach. Die Jagd war damals an den Adelsstand gebunden, und die Lederhose war ein teures, exklusives Kleidungsstück herrschaftlicher Jäger. Damit erklärt sich Schickling zufolge auch, warum es so viele Fotos von männlichen Wittelsbachern in Lederhosen gibt, aber kaum Fotos von Prinzessinnen im Dirndl.
Die Instrumentalisierung der Tracht
Protestantische Frauentracht: Links mit Radhaube und rechts mit Hochzeitsnest aus dem Raum Weißenburg, 19. Jahrhundert. Aquarell von 1842
Die Bayern haben bald das Gefühl einer staatlichen Identität. Doch leider wird die Tracht im Laufe der Zeit auch instrumentalisiert: von den Bürgerwehren der 1920er- Jahre, von Monarchisten, die in Weimarer Zeiten der bayerischen Eigenstaatlichkeit nachtrauern, von Nationalsozialisten, die das Gewand für Ideologie missbrauchen und von Nachkriegspolitikern, die sich in Janker und Dirndl ein volkstümliches Image verschaff en wollen. Gleichzeitig wird die Tracht zum wichtigen Wirtschaftszweig in Bayern: für den Fremdenverkehr, der die bildstarken Gewänder als Werbeikonen nutzt, und für einheimische Schneider und Säckler, die auf Dirndl und Lederhose eine boomende Industrie gründen. Heute ist Lola Paltinger eine aktuelle Vertreterin der Branche.
Die zwei Dokumentarfilme zeigen die Geschichte der bayerischen Tracht und erzählen, wie die Tracht im 21. Jahrhundert wieder zu dem wird, was sie ursprünglich war: eine kleidsame Mode.