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Christian Wallenreiter Ein Herr der Bildung

Mit Christian Wallenreiter wurde 1960 ein Beamter aus Schwaben zum Intendanten des Bayerischen Rundfunks gewählt. 1972 trat er in den Ruhestand. Dazwischen lagen zwölf Jahre Einsatz für Freiheit und Unabhängigkeit des Rundfunks, für Demokratie und für Bildung.

Von: Historisches Archiv, Sabine Rittner

Stand: 28.08.2023

Christian Wallenreiter (1900-1980) | Bild: BR, Historisches Archiv

Kindheit, Jugend und Studium

Christian Wallenreiter wurde am 25. Juli 1900 in Friedberg geboren und besuchte dort das humanistische St. Stephan-Gymnasium. Nach dem Abitur studierte der Sohn eines Apothekers von 1919 bis 1923 Philosophie, Jura und Volkswirtschaft an den Universitäten Marburg und München. Er belegte Vorlesungen bei Max Weber in Nationalökonomie und bei Gustav Radbruch in Rechtswissenschaften. 1926 legte er das zweite juristische Staatsexamen ab.

Beruflicher Werdegang

Seine erste Anstellung als Regierungsassessor trat er 1927 bei der Regierung der damals bayerischen Rheinpfalz in Speyer an. Von 1929 bis 1939 war er als Juristischer Staatsbeamter im Bezirksamt Krumbach tätig. Ab 1937 bis 1942 betätigte er sich zudem als Kreisheimatpfleger im Landkreis Krumbach sowie in Neu-Ulm, wo er 1939 als Juristischer Staatsbeamter beim Landratsamt Neu-Ulm begann. Ab 1942 arbeitete Wallenreiter bei den Landratsämtern in Marktheidenfeld und Nördlingen. 1943 war er als Kultur- und Stiftungsreferent für Bauwesen, Schulwesen, Kultur- und Heimatpflege bei der Regierung von Schwaben tätig.

Christian Wallenreiter im Dritten Reich

Am 1. Mai 1937 trat Wallenreiter in die NSDAP ein. Als Grund gab er im späteren Spruchkammerverfahren den "drohenden Verlustes seine Lebensberufes" an. Wie aus den Akten im Staatsarchiv Augsburg hervorgeht, wurde Wallenreiters passiver Widerstand gegen den Nationalsozialismus in zahlreichen Schreiben von Zeitgenossen, Kirchenvertretern und Kollegen bestätigt. Seine Karriere als Beamter stagnierte im Dritten Reich, was ebenfalls für seine Distanz zum Regime spricht. Nach Kriegsende 1945 wurde Wallenreiter aus dem Staatsdienst entlassen und arbeitet bei der Caritas. Nachdem er in seiner Heimat als nicht nationalsozialistisch galt, schlug ihn der amtierende Bürgermeister im Juli 1945 der Militärregierung als neuen demokratischen Landrat für Krumbach vor, die sich aber für Fridolin Rothermel entschied. 1947 wurde er von der Spruchkammer in die Gruppe IV der Mitläufer eingestuft.

Im Dienst der Bildung

Erst nach dem günstigen Spruchkammerentscheid konnte Wallenreiter ab 1. August 1947 wieder bei der Regierung von Schwaben in Augsburg arbeiten, von 1947 bis 1947 als Angestellter, ab 1948 als Regierungsrat bzw. ab 1949 als Oberregierungsrat. In dieser Zeit begann Wallenreiters Arbeit in den Bereichen Bildung bzw. Erwachsenenbildung. Er war maßgeblich beteiligt beim Schwäbischen Volkbildungsverband und der Augsburger Volkshochschule.

1952 wurde er Ministerialrat und Referent für die Bildenden Künste, die staatlichen Kunstsammlungen, die Kunstakademie, die staatlichen Fachschulen und für Denkmalpflege beim Bayerischen Staatsministerium für Unterricht und Kultus. Höhepunkt seiner Beamtenkarriere war die Beförderung zum Ministerialdirigent und Leiter des Ressorts Volks-, Mittel- und Berufsschulen und damit verantwortlich für die Lehrer- und Erwachsenenbildung und den Ausbau von Hochschulen, Mittelschulen sowie der Volksschulreform.

Ein Beamter wird Intendant

Am 15. Juli 1960 wurde Wallenreiter, der als Außenseiter galt, vom Rundfunkrat zum Intendanten des Bayerischen Rundfunks gewählt. Im zweiten Wahlgang hatte er 23 von 43 Stimmen erhalten. Gegenkandidaten im ersten Wahlgang waren Walter von Cube und Heinrich Junker.

Nach seinem Ausscheiden 1972 blickte man in der Presse zurück auf seine Amtszeit und auch seine überraschende Wahl zum Intendanten. Egon Netenjakob schrieb 1972:

"Im Haus des Bayerischen Rundfunks war man skeptisch. Da war nun ein Staatsbeamter zum Intendanten gewählt worden, der sich mit Volksschulen, Volksbildung, Museen und Denkmalpflege beschäftigt hatte."

(Egon Netenjakob)

Der konservative Beamte, den man erwartet hatte, zeigte sich aber überaus unabhängig und wurde zum Kämpfer für die Rundfunkfreiheit. In die Amtszeit von Christian Wallenreiter fiel der Start des Studienprogramms am 22. September 1964 (dem heutigen BR Fernsehen) und des Schulfernsehens, ebenso des Prix Jeunesse 1966, des "Telekollegs" 1967 sowie der Start von Bayern 3 am 1. April 1971.

Protesten aus der Politik konnte er durchaus harsch begegnen. Auf eine Kritik von Franz Josef Strauß, der den Bayerischen Rundfunk in der Sendung "Aus erster Hand" vom 15. März 1972 als "linkes und zum Teil linksradikales Kollektiv" titulierte, erwidert Wallenreiter am 20. März 1972:

"Ihr Beitrag (…) erheischt Antwort. Dabei lasse ich gänzlich außer Betracht, die Art und Weise, in der Sie mich apostrophieren zu müssen glauben. Ich habe andere Vorstellungen vom Stil sachlicher Auseinandersetzungen. Um der Sache und der Ehre meiner Mitarbeiter willen, muss ich Sie jedoch auffordern, mir mitzuteilen, welche linksradikalen Kollektive er denn meine, welche Hauptabteilungsleiter Interviews unterdrücken würden und welche Programme das Geschichtsbild entstellen würden… Pauschale Behauptungen dieser Art werden nicht dadurch bewiesen, dass man sie ständig wiederholt."

(Christian Wallenreiter)

Am 18. August 1980 starb Christian Wallenreiter in München. Hans Heigert, Chefredakteur der Süddeutschen Zeitung bezeichnete ihn in seinem Nachruf als "Ein Herr im besten Sinne". Ähnlich formuliert es die Abendzeitung "Der großer Herr des BR" und würdigte besonders eine seiner Eigenschaften, "seine pedantische Anständigkeit".


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