Prof. Albrecht Hesse nimmt Abschied vom BR Vollblutjurist mit musischer Ader
Über dreißig Jahre war Prof. Albrecht Hesse in der Juristischen Direktion des BR beschäftigt - 23 Jahre davon als Juristischer Direktor. In seine Amtszeit fielen viele grundlegende Weichenstellungen für den Sender. Zum 1. März geht der Jurist in den Ruhestand. Seine Kunst aber bleibt dem BR erhalten.
"Es war eine Veränderung der damals bestehenden Medienlandschaft, die sich niemand hätte vorstellen können", erinnert sich Albrecht Hesse an seinen Start beim Bayerischen Rundfunk. Als der promovierte Jurist (er schrieb seine Dissertation über die Verfassungsmäßigkeit des Fernmeldemonopols der Deutschen Bundespost) 1984 in der Juristischen Direktion des Senders anfing, war die Zeit der neuen Medien angebrochen: "Da ging es gerade los mit RTL, SAT.1, Privatfunk, Satelliten- und Kabelfernsehen. Viele Kulturpessimisten hörten schon das Sterbeglöckchen des öffentlich-rechtlichen Rundfunks läuten. Aber genau das Gegenteil ist eingetreten."
Jura war Liebe auf den zweiten Blick
1956 in Göttingen geboren, wuchs Albrecht Hesse in Freiburg auf. Sein Vater war Jura-Professor und später Richter am Bundesverfassungsgericht. Die juristische DNA bei seinem Sohn war also bereits angelegt - müsste man meinen. Dennoch schwankte dieser nach dem Abitur zwischen einem VWL- oder Geschichtsstudium. Am Tag der offenen Tür an der Uni in Freiburg hörte er zufällig auch die Vorlesung eines Jura-Professors: "Der war äußerst geistreich. Ich kann mich heute noch daran erinnern, was er erzählt hat. Ich wusste zwar nicht, was ich hinterher mit Jura machen will, aber zumindest schien es ganz unterhaltsam zu sein." Und so schrieb er sich für Jura ein, blieb dabei, absolvierte zwei Auslandssemester in Genf und arbeitete während seiner Referendariatsausbildung in einer großen Anwaltskanzlei in London.
"Ich habe Albrecht Hesse immer als überzeugten Anhänger des öffentlich-rechtlichen Rundfunks und als großen Verfechter für Meinungsfreiheit erlebt. Als Juristischer Direktor hat er alles dafür getan, damit der Bayerische Rundfunk in diesem Sinne seine demokratische Funktion bestmöglich erfüllen kann. Ich schätze seinen integren Charakter, seinen Humor, habe sehr gerne mit ihm zusammengearbeitet und er wird als Mitglied der Geschäftsleitung fehlen."
Dr. Katja Wildermuth, Intendantin
Nicht ärgern, auch wenn‘s Ärger gibt
1984 bewarb sich Hesse beim Bayerischen Rundfunk. Der damalige Juristische Direktor Prof. Albert Scharf war gerade Präsident der Europäischen Rundfunkunion geworden und suchte Unterstützung. "Scharf war eine Persönlichkeit, die man nur selten trifft. Ich sehe es als ein großes Privileg an, so jemanden aus der Nähe kennengelernt zu haben. Für mich war er ein Universalgelehrter. Es gab nichts, worüber er nicht aus dem Stegreif fundiert mitreden konnte", blickt Hesse zurück. "Das hat natürlich zu einer gewissen anfänglichen Befangenheit geführt, ob man seinem Anspruch genügt." Hesse genügte, blieb und wurde Referent in der Juristischen Direktion.
1999 wurde Hesse selbst Juristischer Direktor und verantwortlich für alle Rechtsangelegenheiten im Bayerischen Rundfunk. Er übernahm das Amt von Gabriele von Watzdorf, die er sehr schätzte und deren Leitsatz "Immer bei der Wahrheit bleiben" stets auch seine Arbeit bestimmte. Überhaupt ist Hesse nach eigener Aussage großer Liebhaber von Sprichwörtern. Besonders angetan hat es ihm die Weisheit auf dem Schreibtisch seiner Assistentin: "Man kann sich über alles ärgern, man muss es aber nicht." Er selbst beherrscht die große Kunst der Gelassenheit. Sicherlich eine vorteilhafte Eigenschaft für das oft aufreibende juristische Tagesgeschäft. Sie zeigte sich bei ihm bereits in jungen Jahren und der passionierte Teetrinker schiebt sie gerne auf seinen niedrigen Blutdruck.
Bewegtes juristisches Fahrwasser für den BR
Im Lauf der Jahre beim Bayerischen Rundfunk hat sich Albrecht Hesse einen bedeutenden Ruf als Experte für Rundfunkrecht erworben. An zahlreichen juristischen und für den BR richtungsweisenden Entscheidungen war er beteiligt und später als Direktor auch verantwortlich, beispielsweise:
- 1986 am Start des ARD-Satellitenprogramms Eins Plus in Bayern, dem eine erfolgreiche Klage des BR gegen die Bayerische Staatsregierung vorausging. Sie wollte dem BR die Beteiligung an Eins Plus verbieten und die Ausstrahlung des Programms in Bayern untersagen;
- 1991 an der Ratifizierung des ersten gesamtdeutschen Rundfunkstaatsvertrags, der unter den SPD- und CDU-geführten Bundesländern umstritten war;
- 1994 und 2007 am ersten und zweiten Rundfunkgebühren-Urteil - sowie 2018 am Urteil zum Rundfunkbeitrag;
- 2005 bis 2007 am "Beihilfekompromiss" mit der EU-Kommission, der den Weg ebnete für das Online-Angebot des öffentlich-rechtlichen Rundfunks;
- umfangreiche Tätigkeit im Bereich des Sportrechte-Erwerbs insbesondere bei den Fußball-Weltmeisterschaften 2002 und 2006;
- zwischen 2013 und 2018 an dem Rechtsstreit mit den Kabelnetzbetreibern um Einspeiseentgelte und der abschließenden außergerichtlichen Einigung;
- zwischen 2014 und 2017 an dem geplanten Tausch der UKW-Frequenzen von BR-KLASSIK und PULS.
Die Jahre, in denen der BR den ARD-Vorsitz innehatte, machten für den Juristen zudem viele Verhandlungen bei der EU in Brüssel notwendig.
Hüter der unabhängigen Berichterstattung
Ob rechtliche Fragen zu Finanzierung und Verfassung, zu Werbung und Titelschutz, zu Sportrechten oder zu Arbeits- und Personalthemen - um nur einige zu nennen - Hesse kämpfte mit seinem Team an vielen juristischen Fronten. Auch Beschwerden oder Rechtsklärungen zu Programminhalten machten einen großen Teil seiner Arbeit aus - ein wichtiger Bereich, wie der Jurist betont, denn unabhängige Berichterstattung, für die der öffentlich-rechtliche Rundfunk steht, sieht er als fundamental.
Albrecht Hesse hatte einen Lehrauftrag für Medienrecht an der Universität Bamberg und war Lehrbeauftragter an der Juristischen Fakultät der Ludwig-Maximilians-Universität in München. Er verfasste zahlreiche Schriften und Publikationen.
Musikalisch mit Blick für den besonderen Moment
Im Bayerischen Rundfunk war er als Juristischer Direktor seit 2003 auch stellvertretender Intendant. Eitelkeit ist nicht seins. Dankbar blickt er zurück: "Ich bin jeden Tag sehr gerne zur Arbeit gegangen." Wahrheit und Gerechtigkeit sind ihm zentrale Werte. An seinen Mitmenschen schätzt er Bildung und Humor. Sein eigener brachte ihm 2013 einen Auftritt im damaligen Bayerischen Fernsehen ein. Mit seiner Kabarett-Nummer "Majestätsbeleidigung" trat er bei Hannes Ringlstetter im "Vereinsheim Schwabing" auf. Für seinen witzigen Einblick in die Deutungsmöglichkeiten und Fallstricke der Juristerei bekam er viel positive Resonanz.
Bis jetzt nur im kleinen (Kollegen-)Kreis aufgetreten ist Hesse dagegen als Musiker. Seit seiner Kindheit spielt der 65-Jährige Klavier. Obwohl seine Mutter Klavierlehrerin war, fand er den Zugang und die Begeisterung erst über einen sehr engagierten und virtuosen Klavierlehrer.
Die Leidenschaft für das Instrument ist bis heute geblieben, ebenso die Liebe für klassische Musik und zur Fotografie. "Mit 14 Jahren habe ich von meinen Eltern eine Kamera geschenkt bekommen und mir später von meinem ersten Geld nach der Bundeswehr eine Spiegelreflexkamera gekauft", erzählt er über die Anfänge. Auch heute noch hat Hesse immer einen Fotoapparat dabei. Dafür ist er berühmt und berüchtigt, im Kollegenkreis wie privat. Zahlreiche seiner großformatigen Landschafts- und Städtefotografien schmücken die Wände im Münchner Funkhaus.
Raus aus dem Terminkorsett
Langweilig wird es ihm also nicht werden im Ruhestand. Neben Reisen, Fotografieren und der Musik, zieht es den passionierten Tischtennisspieler Winter wie Sommer in die Berge. Auch freut er sich auf mehr Zeit mit der Familie. Dennoch will Hesse vorerst keine großen Pläne machen, am meisten wird er es genießen, endlich Herr seiner Zeit zu sein. "Und sollte ich doch einmal Sehnsucht nach dem BR bekommen, besuche ich einfach meine Bilder im Funkhaus. Denn gemäß Urheberrechtsgesetz habe ich als Autor jederzeit das Recht, mein Werk aufzusuchen, egal an welchem Ort", freut sich der Jurist.