Faszination Eurovision Song Contest Twelve points go to ...
Der 66. Eurovision Song Contest findet 2022 in Italien statt. Zum 10. Mal dabei: BR-Kollege Claus Kruesken. Aber nicht als Gesangsact - er berichtet für Bayern 2 und BAYERN 3 vor Ort. Jahr für Jahr reist er auf eigene Kosten zu den Austragungsorten. Wir haben mit ihm über die Faszination "ESC" gesprochen.
BR Unternehmenskommunikation: Sie reisen ja bald nach Turin zum großen ESC-Abend. Der wievielte Eurovision Song Contest ist es, über den Sie für den BR berichten?
Claus Kruesken: Mein Zehnter! Jubiläum! Zum ersten Mal war ich zwar schon 2011 in Düsseldorf dabei, da aber noch ganz privat. Seit Baku 2012 bin ich als akkreditierter Journalist vor Ort und habe mich von dort für meine beiden Wellen Bayern 2 und BAYERN 3 gemeldet, war aber auch schon in anderen öffentlich-rechtlichen Wellen zu hören.
Das ist nicht ganz so selbstverständlich: Die Berichterstattung für die ARD-Hörfunkwellen kommt von einem Pool aus Reporterinnen und Reportern verschiedener Anstalten, heuer unter anderem HR und RB. Die Leitung vor Ort übernimmt jeweils das zuständige Hörfunk-Auslandsstudio - in diesem Jahr also das vom BR-geführte Studio Rom. Um Akkreditierungen für deutsche Journalistinnen und Journalisten sowie die Pressebegleitung der Delegation kümmert sich der NDR.
Aber natürlich ist es für den BR auch schön, einen "eigenen" Menschen vor Ort zu haben, der den Ton der jeweiligen Welle trifft und im Kollegengespräch auf Augenhöhe die Geschichten des Eurovision Song Contests erzählen kann. So bin ich als freier Mitarbeiter immer auf eigene Kosten vor Ort und verbinde das mit ein paar Tagen Urlaub - perfekte Work-/Life-Balance.
Wie kam es dazu, dass Sie regelmäßigt vom ESC berichten?
Ich war schon immer ESC-begeistert und habe den Contest am Bildschirm verfolgt. Aber wenn man einmal in der Halle gewesen ist und diese unglaubliche Produktion miterlebt hat, dieses geballte Adrenalin, die Begeisterung der Fans, kann man schnell danach süchtig werden. Dazu ist der ESC ja mehr als nur das Grand Final, was dann am Samstagabend übertragen wird. Da sind die Semifinals am Dienstag und Donnerstag (eurovision.de hat alle Infos!), dazu die Veranstaltungen jeweils am Vorabend, bei denen sich die Jurys schon mal ein Bild machen können.
Für mich kommen noch etliche Einzelproben dazu, damit ich mir früh ein Bild von den eigentlichen Auftritten machen kann. Dann das ganze Drumrum mit Partys, bei denen die ESC-Acts ebenfalls auftreten, das Miteinander mit Kolleginnen, Kollegen, Freundinnen und Freunden, die jedes Jahr dabei sind. Eine Stadt im ESC-Fieber zu erleben, macht Spaß. Und auch schon die Beschäftigung mit den Songs aus Europa in den Wochen, ja Monaten davor. So habe ich jedes Jahr wieder angeboten, zu berichten, und es ist eine schöne Tradition geworden.
Kitsch oder Kult – beim ESC scheiden sich die Geister. Was begeistert Sie persönlich an dem Event? Was macht für Sie die Faszination aus?
Der ESC ist ein Miteinander, kein Gegeneinander. Die Künstlerinnen und Künstler feiern sich gegenseitig, feiern zusammen, gehen gemeinsam an die Sache. Das ist schön zu erleben, und natürlich vor Ort mehr zu spüren als im Fernsehen.
Ich finde die Vielfalt faszinierend, und da gehört natürlich genauso Kitsch dazu, das Kuriose, Absurde darf sein und macht die Sache unterhaltsam, auch wenn ein Song nicht so gut ist.
Und immer wieder sind echte Überraschungen dabei: Wer hatte schon Måneskin auf dem Schirm, die nach dem ESC-Sieg eine große internationale Karriere starten konnten und in den BAYERN 3 Charts wochenlang platziert waren, zum Teil gleich mit mehreren Titeln.
Beeindruckend ist zudem die Produktion selbst. Ein fein abgestimmtes Uhrwerk, bei dem nichts schiefgeht. Das fängt schon beim Probenplan an, der bewährt jedes Jahr gleich ist. In der Show selbst: Die rasanten Umbauten. Während das Publikum die "Postcards" sieht, die 45-Sekunden-Clips, die Künstlerinnen und Künstler sowie das Gastgeberland vorstellen, saust ein kleines Heer auf die Bühne, positioniert die Kulissen auf die Markierungen, die auf dem Bühnenbodendisplay angezeigt werden. Und ruckzuck ist der Spuk wieder vorbei, der nächste Song beginnt. Einfach die größte Musik-TV-Produktion der Welt.
Sind Sie persönlich ein Fan des ESC oder gar Mitglied im Eurovision Club Germany? Gibt es eine ESC-Sammlung bei Ihnen zuhause?
Ich bin Mitglied im deutschen ESC-Fanclub, ja, aber nicht sonderlich aktiv da. Tasächlich ist der OGAE Germany e. V. (das steht für Organisation Générale des Amateurs de l'Eurovision) eine hervorragende Informationsquelle für mich, um immer auf dem Laufenden in Sachen ESC zu bleiben. Und der Fanclub bietet die Möglichkeit, an Eintrittskarten zu kommen, die ja immer schnell ausverkauft sind. Für die akkreditierte Presse ist der Zugang zur Veranstaltung nicht vorgesehen. Wer in die Halle zu den Liveshows will, braucht eine Eintrittskarte und die kann beim Finale schon mal 300 Euro kosten.
Nein, es gibt keine ESC-Vitrine bei mir. Aber ein T-Shirt habe ich dann doch jedesmal als Souvenir gekauft. Und meine Presse-Badges aus all den Jahren hängen gebündelt an meiner Bürotür.
Beschreiben Sie uns doch bitte kurz die Stimmung der Veranstaltung vor Ort – wie sie vor Corona war und hoffentlich wieder sein wird.
Diese Stimmung baut sich schon über die ganze Woche immer mehr auf. Wir haben Proben gesehen, waren auf Partys und Shows, wo die Künstlerinnen und Künstler auch noch andere Seiten gezeigt haben, ich habe einige kennengelernt und mich im Interview unterhalten. Und dann kommt am Finalabend dieses große Kribbeln, der Höhepunkt ist endlich da. Alle, die in die Arena gehen, haben sich schick gemacht – das heißt in vielen Fällen: Verrückte Kostüme in Landesfarben. Im Pressezentrum wird’s hektisch, weil alle die letzten Auftritte mit Prognosen haben – und da meine ich nicht nur die Kolleginnen und Kollegen von Radio und Fernsehen. Es gibt jede Menge ESC-Blogs und -Webseiten, deren Teams noch mal so richtig in Aktion gehen. Da ist reichlich Gewusel, bis es wirklich los geht.
Und man weiß aber auch, es ist jetzt bald vorbei. Denn eins ist sicher: ... für alle ESC-Freunde kommt dann am Sonntag mit dem Heimweg erst mal ein großes Loch.
Dieses Jahr wird’s zudem spannend, da wir mit "Corona ist noch nicht vorbei"-Maßnahmen zu tun haben. Im Pressezentrum ist nur ein Drittel der üblichen Menschen zugelassen. Viele, die nicht unbedingt vor Ort sein müssen, tummeln sich dieses Jahr in einem (sehr gut organisierten) Online-Pressezentrum, so auch ich. Im Moment ist die FFP2-Maskenpflicht für die Show ausgerufen. Mal schauen, wie das im Fernsehen rüberkommt.
Im vergangenen Jahr in Rotterdam musste das Publikum vor der Veranstaltung komplett Antigen-getestet werden. Da war am Platz keine Maskenpflicht. Dieses Jahr ist also noch etwas gedämpftere Stimmung. Aber im Gegensatz zu 2021 gibt es wieder Partys und Miteinander. Vergangenes Jahr gab’s als Aftershow-Party nur noch einen Cheeseburger bei McDonalds, alles andere hatte verordneterweise zu.
Wie verbringen Sie den Abend? Sitzen Sie mit Kolleginnen und Kollegen in einem Studio oder bewegen Sie sich frei in der Halle?
Wer keine Tickets hat, der verfolgt die Veranstaltung auf großen Screens und überall verteilten Bildschirmen im Pressezentrum. Das hab ich so noch nicht erlebt, da ich immer in der Arena war. Ich bin also mittendrin in der Craziness von bunten Fahnen und lustigen Outfits - nein, ich sehe ganz normal aus da ... Das Verblüffendste für mich bei meinem ersten Mal ESC in der Halle: Es gibt keinen Peter Urban und seinen Kommentar. Das ist natürlich klar, aber man macht sich vorher keine Gedanken darüber. Es wird relativ wenig moderiert in der Sendung. Nur alle paar Songs tauchen die Moderatorinnen und Moderatoren auf und gehen dann auch schon mal mit dem Mikrofon zu Interviews in den Green Room. (Zeit für komplexere Umbauten!) Ansonsten wird man in der Halle aber allein gelassen – und muss schon aufpassen, was als nächstes dran ist.
Künstlerkontakt hat man keinen, aber wir sehen sie alle ganz nah sitzen, denn der Green Room ist ja in der Halle. Nach der Show gibt es natürlich Party, das macht meinen Sonntagmorgeneinsatz auf Bayern 2 ein wenig mühsam. In den Jahren vor Corona gab es dafür immer eine offizielle Location, wo man auch die Woche über immer zum Feiern hingehen konnte: den Euroclub. In Turin ist das nicht zentralisiert, da verteilt sich das offizielle Feiern auf alle möglichen Locations.
Erinnern Sie sich an ein ganz besonderes Erlebnis im Zusammenhang mit dem ESC, das Ihnen im Gedächtnis geblieben ist?
Der Moment, als ich Michael Schulte, unseren Artist 2018 in Lissabon zum ersten Mal bei der Einzelprobe in der der Halle erlebt habe, zum ersten Mal mit der finalen Inszenierung. Das war für mich ein Gänsehautmoment. Den Song fand ich vorher schon klasse, aber da dachte ich plötzlich: "Verdammt, wir haben ne echte Chance auf den Sieg." Das habe ich dann zu einem befreundeten Kollegen gesagt: "Hältst Du mich für komplett verrückt, wenn ich glaube, wir können das Ding gewinnen?" Und der: "Ich habe gerade genau das gleiche gedacht." Es wurde letztendlich Platz 4, unsere beste Position seit Lenas Sieg 2010.
Wer ist in diesem Jahr Ihr Favorit?
Bevor ich das beantworte, erst einmal: Wir haben einen tollen Kandidaten dieses Jahr. Wir haben in BAYERN 3 schon immer an Malik Harris aus Landsberg am Lech geglaubt, im Oktober 2018 war er bei mir zu seinem ersten Interview im Studio. Und schon damals hat er als Persönlichkeit gestrahlt, mit damals 21. Sein Song "Rockstars" ist persönlich, authentisch, ich mag die Inszenierung, in der er als echter Musiker wirkt, die Kamera ist oft nah auf sein Gesicht fokussiert – und er geht super mit der Kamera um. Wir haben – finde ich – auf jeden Fall einen Platz auf der linken Seite der Votingtafel verdient, also unter den ersten 13. Bin großer Fan von Malik!
Gänsehautmomente beschert mir jedes Mal der italienische Beitrag: "Brividi" von Mahmood und Blanco. Mahmood war 2019 in Tel Aviv schon mal dabei und auf Platz 2 gelandet.Das wäre mein persönlicher Favorit.
Sehr lustig finde ich Norwegen, Subwoolfer haben die Rotkäppchengeschichte mal ganz anders aufgedröselt. Toller ESC-Song! Und während der Proben hier hat uns Sam Ryder aus UK begeistert. Sein "Spaceman" könnte der Siegertitel werden. Die Prognosen zeigen allerdings auf die Ukraine. Die sind auch dieses Jahr wieder hervorragend vertreten: "Stefania" vom Kalush Orchestra – Folklore trifft auf Rap. Da wird es sicherlich zusätzlich Solidaritätspunkte geben.