Dr. Susanne Glass im Interview "Ich möchte das Schubladen-Denken aufbrechen"
Seit Januar 2016 ist Dr. Susanne Glass Korrespondentin in Tel Aviv. Vorher berichtete sie jahrelang aus dem Studio Wien. Wie lebt und arbeitet es sich in Israel und hat sie sich schon an ihre neue Heimat gewöhnt? Wir haben nachgefragt.
Sie arbeiten jetzt schon einige Monate an Ihrem neuen Arbeitsplatz. Was war für Sie die größte Veränderung?
Dr. Susanne Glass: Natürlich ist es eine Veränderung, den Kontinent zu wechseln. Aber als frühere Südosteuropa-Korrespondentin, zuständig für zwölf Länder unter anderem des Balkan, waren mir auch schon bisher die orientalische Mentalität, Soldaten, Checkpoints, chaotische Autofahrer, Armut und Reichtum sowie das Arbeiten mit vielen sehr unterschiedlichen Charakteren an manchmal sehr schwierigen Hotspots bestens vertraut.
Gewöhnen musste ich mich aber erstmal daran, dass in diesem geographisch kleinen Berichtsgebiet fast alles innerhalb von ein bis maximal zwei Stunden Autofahrt erreichbar ist. Statt tagelanger Dienstreisen zu Drehorten, ist man meist abends wieder zu Hause.
Was finden Sie besonders reizvoll an Ihrem neuen Berichtsgebiet?
In Israel und in den palästinensischen Gebieten spiegeln sich Geschichte, Weltgeschehen und internationale Entwicklungen und Konflikte wie in einem Brennglas wider. Ein ganzes Universum auf rund dreißigtausend Quadratkilometern! Dies in all seinen Schattierungen in Beiträgen und Reportagen zu erfassen und zu analysieren, finde ich gleichermaßen spannend wie wichtig.
Wo liegt die besondere Herausforderung?
Zu diesem Berichtsgebiet hat jeder interessierte Mediennutzer und jede interessierte Mediennutzerin eine Meinung. Häufig ist diese auch sehr fundiert. Zu Israel/Palästina haben viele aber auch eine sehr emotionale Zugangsweise, die dazu führen kann, dass bei Berichten beinahe reflexartig die Verfasser in Schubladen gesteckt werden – in die wir aber gar nicht gehören. Was klar wäre, wenn man unsere Beiträge unvoreingenommen sehen und hören würde. Ich möchte dieses "Schubladen-Denken" (pro-israelisch versus pro-palästinensisch) aufbrechen. Durch unerwartete Themen oder Erzählweisen, die zum Neu-Überdenken der bisherigen Sichtweise anregen und Emotionalität sowie Schwarz-Weiß-Denken durch Komplexität ersetzen.
Haben Sie schon eine Lieblingsspeise in Ihrer neuen Heimat?
Ich bin begeistert von der Vielfalt der arabisch-orientalischen Gewürzwelt. Und ich finde, dass das sonnenverwöhnte Obst und Gemüse hier viel besser schmeckt. Dafür haben viele israelische Rotweine leider zu viel Sonne auf ihren Trauben abbekommen. Was die Preise für die wirklich guten exorbitant in die Höhe treibt.
Haben Sie schon einen Lieblingsort für sich entdeckt?
Die historische Altstadt von Yafo, wo ich lebe, wenn die Sonne mit ihrem spektakulären Rot-Orange-Schauspiel im Meer versinkt. Mit dem Versprechen, auch am nächsten Tag wieder ganz sicher zu erscheinen. Was ja im österreichischen und deutschen Sommer nicht selbstverständlich ist.
Über Dr. Susanne Glass, Studioleiterin in Tel Aviv
Seit dem 1. Januar 2016 ist Dr. Susanne Glass Korrespondentin in Tel Aviv. Zuvor berichtete sie jahrelang aus dem Studio Wien, seit 2014 war sie dort Studioleiterin. Ihr Antrieb seien Hoffnung, Freude am Beruf und Neugier auf Menschen, sagt Susanne Glass. Genauer gesagt: Die Hoffnung, dass seriöse Reportagen und Berichte dazu beitragen können, dass sich Menschen unterschiedlicher Herkunft, Religion und mit unterschiedlichen Träumen besser verstehen und akzeptieren. Aus diesem Grund ist sie auch immer wieder in die Kriegs- und Krisengebiete Südosteuropas gereist. Sie hat unter anderem über den Kosovo-Krieg und den Parlamentssturm in Belgrad berichtet. Die Entwicklungen in Österreich und Südosteuropa hat Susanne Glass seit 1999 für die ARD verfolgt. Bevor sie im August 2006 zum Fernsehen wechselte, arbeitet sie als Hörfunkkorrespondentin im Studio Wien. Zuvor war die promovierte Politologin und Volkswirtin Chefin vom Dienst in der Hörfunk-Nachrichtenredaktion des Bayerischen Rundfunks sowie Moderatorin der Bayern3-Nachrichten. Seit Februar 2006 war Susanne Glass außerdem Präsidentin des Verbandes der Auslandspresse in Wien.