Zweimal Columbus-Preis für die radioReisen Wie persönlich darf Journalismus sein?
Als Popstar Prince stirbt, fliegt Patrick Obrusnik nach Minneapolis und verarbeitet seine Trauer in einer Reportage. Till Ottlitz geht mit seiner Mutter auf Wanderreise und nimmt das Mikro mit. Solche sehr persönlichen Geschichten sind umstritten – aber preiswürdig.
Der Feature-Journalismus wird persönlich – und der Reisejournalismus ganz besonders. Zu beobachten war das in Berlin bei der Verleihung des Goldenen Columbus, des wichtigsten deutschen Preises für Reisereportagen. In der Vergangenheit waren meist sehr sachliche Reiseberichte ausgezeichnet worden, von Sprechern eingesprochen, ohne explizite Haltung des Autors. Letztes Jahr hatte die Jury sogar noch darüber diskutiert, ob es überhaupt journalistisch statthaft ist, Reisereportagen aus der Ich-Perspektive zu erzählen.
Doch inzwischen hat sich ein Wandel vollzogen: Dieses Jahr hatten allzu neutral erzählte Stücke beim Columbus-Preis keine Chance mehr, erzählte der Vorsitzende der Radio-Jury Holger Wetzel bei der Verleihung. Die Jury habe nach Geschichten gesucht, bei denen die Hörer spüren, wie sehr die Autoren für ihr Thema brennen.
Zwei von drei Columbus-Preisen für die radioReisen
Gleich zwei von drei Columbus-Radiopreisen gingen dieses Jahr an die Bayern 2 radioReisen – eben weil hier Geschichten erzählt werden, bei denen die Reporter selbst betroffen sind und die Hörer ganz nah an sich heranlassen. Der "Goldene Columbus für das beste Reisefeature" ging an mein Mini-Feature über eine Wanderreise, die ich letztes Jahr zusammen mit meiner Mutter unternommen habe.
Die radioReise zum Anhören
Eigentlich hätte man aus unseren Erlebnissen auch einfach ein stimmungsvolles Portrait von Landschaft und Leuten an der Dordogne, eines Flusses im Südwesten Frankreichs, machen können. Aber weil es die erste Reise überhaupt war, die nur meine Mutter und ich zusammen unternommen haben (ohne meinen Vater, meine Schwester oder die Großeltern), war für mich klar: Neben den Sehenswürdigkeiten unterwegs soll es auch um unser Verhältnis gehen. Und so merken die Hörer gleich zu Anfang, wie unterschiedlich wir reagieren, als wir in einem einsamen Canyon auf eine Wildschweinrotte treffen, und sie sind mit dabei, wenn wir am Schluss der Reise auf einem Felsen sitzend Fazit ziehen.
Das beste Mittel gegen Trauer? Reisen!
Noch viel näher sind die Hörer Patrick Obrusnik gekommen, der für seine Reportage "Auf den Spuren von Prince in Minneapolis"den "Silbernen Columbus für den ungewöhnlichsten Zugang" bekommen hat. Patrick ist seit seiner Jugend ein großer Prince-Fan. Als sein Idol im April 2016 überraschend stirbt, kann er gar nicht anders, als sich in ein Flugzeug nach Minneapolis zu setzen, dem Wohnort von Prince, und dort mit anderen Fans zu trauern. Er reportiert sogar live on tape, wie er im Regen, im "Purple Rain“, vor Prince‘s Tonstudio Paisley Park steht und Abschied nimmt von seinem Idol.
Als er zum ersten Todestag wieder nach Minneapolis fliegt, hat Patrick nicht nur wieder das Mikro im Gepäck, sondern auch den Auftrag, ein radioFeature und einen Beitrag für die radioReisen über sein Fantum und seine Trauer zu machen. Sich selbst so in den Mittelpunkt einer Geschichte zu stellen, war für ihn eine Premiere: "Ich bin klassischer Journalist und mag diese Ich-Reportagen normalerweise überhaupt nicht. Aber ich habe in diesem Fall wirklich die Hosen runter gelassen. Das war meine persönliche Geschichte und da bin ich über meinen Schatten gesprungen."
Die radioReise zum Anhören
So viele Reaktionen wie nie zuvor
Das hat sich ausgezahlt – nicht nur wegen der Anerkennung durch den Preis. Patrick hat noch nie so viele Reaktionen bekommen:
"Kollegen, die ich vorher nie getroffen habe, haben mir gedankt, dass ich sie mitgenommen habe auf diese Reise. Aber auch Leute von außerhalb des BR haben mich auf Facebook angeschrieben: 'Bist Du der Typ, der in Minneapolis bei Prince war? Danke für diese Geschichte.' Das war sehr schön, weil ich in meinem Job in der Aktualität nur wenig Rückmeldungen bekomme."
Patrick Obrusnik
Während andere in so privaten Momenten das Mikro vielleicht lieber weggelegt hätten, hat es Patrick sogar dabei geholfen, seine Gefühle zu verbalisieren: "Normalerweise findet so eine Trauer ja im Stillen statt – im Kopf oder im Herzen. Aber wenn man versucht, seine Gefühle zu verbalisieren, und andere Trauernde interviewt, hat das eine andere Qualität der Verarbeitung."
Trotzdem eignet sich der persönliche Zugang nur für wenige, eng umgrenzte Themen. Patrick wird in seiner Arbeit für die Aktualität im Studio Würzburg weiter die Ich-Form vermeiden. Man muss schon gut begründen, wenn man sich selbst zum Mittelpunkt der Geschichte macht. Patrick Obrusnik: "Für mein Feature musste ich schon die Frage beantworten: Warum berührt mich dieser Tod so sehr? Warum fliege ich deshalb um die halbe Welt? Aber wenn der Reporter emotional zu der Geschichte nichts beizutragen hat, dann lass ihn lieber weg."