Podcast "Primamuslima" Einblick in das Alltagsleben von Muslimen
Der BR-Podcast "Primamuslima" zeigt, wie vielfältig muslimisches Leben in Deutschland ist. Derzeit läuft die zweite Staffel. Podcast-Host Merve Kayikci erzählt im Gespräch mit dem BR, was das Besondere daran ist, die Menschen selber zu Wort kommen zu lassen.
Menschen kennen lernen und erfahren, wie sie leben, was sie interessiert, was sie denken – das macht jeder hundertfach. Und doch ist es ungewöhnlich, wenn die Journalistin Merve Kayikci mit Musliminnen und Muslimen in Deutschland spricht und ihnen im BR-Podcast "Primamuslima" Raum gibt.
Kayikci stellt ganz unterschiedliche Menschen vor. "Ich habe mich zum Beispiel am Ende der ersten Staffel mit einer Zwangsvollstreckerin unterhalten. Das ist eine ganz normale junge Frau und Mutter, die genauso meine Nachbarin hätte sein können oder die Freundin meiner Mama oder eine alte Schulkameradin", so die Podcast-Gastgeberin. Es seien einfach "Leute aus dem Leben". Produziert und redaktionell betreut werden die Podcast-Folgen von der BR-Redaktion "Religion und Orientierung". Derzeit läuft die zweite Staffel von "Primamuslima".
Sechs neue Folgen "Primamuslima"
Die zweite Staffel von "Primamuslima" ist am 19. Juli gestartet und umfasst sechs Folgen – zu finden hier in der BR Mediathek.
Menschliche Begegnung statt Klischees
"Das ist für mich nicht nur ein Podcast, sondern ein Auftrag, die Vielfältigkeit der Muslime in Deutschland zu zeigen und auch das Verhältnis zwischen Muslimen und Nicht-Muslimen zu normalisieren."
Journalistin Merve Kayikci
Und das heißt auch, anstatt Schubladen-Denken weiterzutragen, die Menschen selber zu Worte kommen zu lassen. Kayikci findet, dass viele Medien verallgemeinern, wenn es um Musliminnen und Muslime – zum Beispiel, dass alle alten sogenannten Gastarbeiter sowieso wieder in ihre frühere Heimat zurückkehren würden.
"Ich glaube, die Mehrheit der Muslime ist hier angekommen und bleibt auch hier. Das ist auch ihre Heimat", sagt die 27-jährige Journalistin. "Und selbst wenn man jetzt zurückgehen würde, ist das für mich nicht unbedingt ein Zeichen dafür, dass man hier nie angekommen ist." Für eine Podcast-Folge habe sie deshalb einen älteren Gastarbeiter besucht und mit ihm über Heimat gesprochen. Er habe sich in Bayern niedergelassen, ein Haus gekauft, habe einen Garten, verstehe sich gut mit seinen Nachbarn. Auch seine Kinder wohnen in Bayern. "Und der sagt: Ich möchte hier bleiben, ich gehe auch nicht zurück in die Türkei. Wo er begraben werde, sei ihm egal", erzählt Kayikci. "Da war mir wichtig, dass wir auch diese Lebensrealität zeigen. Und dass wir das nicht so pauschalisieren, wie es oft in den Medien passiert, dass man ein bestimmtes Bild hat von dieser Gruppe und dann zwei, drei Beispiele sieht. Und dann sagt, ja gut, das ist wohl der Standard, wenn Muslime alt werden, gehen die wieder."
Noch ein anderes Beispiel: "Die Verbindung zur Natur spielt für viele Muslime eine sehr große Rolle", so Merve Kayikci. Das würde in den Medien fast gar nicht vorkommen. Ihr gehe es im Podcast darum, was Muslime in ihrem Leben in Deutschland beschäftige. Und sie möchte Geschichten erzählen, die man auch in ein paar Jahren noch gut anhören kann. Corona werde deshalb nicht thematisiert und zum Beispiel auch keine aktuellen kulturellen Ereignisse.
Andere Geschichten als aus den Nachrichten
Wie Kayikci im Podcast damit umgeht, dass in den Nachrichten der Islam oft in Zusammenhang mit radikalen Islamisten oder Clans thematisiert wird?
"Die Schublade mit diesen negativen Konnotationen mache ich gar nicht auf"
. Journalistin Merve Kayikci
Die Berichte mit den negativen Kontexten seien vorhanden, das sei Fakt. Aber sie möchte weder als Anwältin noch als Opfer in ihrem Podcast auftreten, sondern einfach Realitäten zeigen, mit Musliminnen und Muslime bekannt machen, denen man im Alltag begegnen könnte, die der Nachbar sein könnten, eine Kollegin oder die Mutter eines Kindergartenkindes. "Dadurch möchte ich den Menschen die Möglichkeit geben, Muslime kennenzulernen und anders zu betrachten und auch anders einzuordnen." Die Podcast-Gespräche geben die Möglichkeiten für vielleicht neue Sichtweisen. Die Entscheidung liegt bei den Hörerinnen und Hörern.
"Ich finde auch, dass Muslime generell zu unterschiedlichen Themen zu Wort kommen müssen", sagt Kayikci. Wenn Muslime nur als Migrations- oder Islamexperten in Talkshows auftreten, entstehe in der Gesellschaft die Wahrnehmung, dass Muslime sich nur mit dem Islam oder mit Migration beschäftigen würden.
Glücklich über die Chance beim BR
Kayikci ist froh, dass sie mit dem "Primamuslima"-Podcast beim BR die Chance bekommen hat, die vielfältigen Geschichten von Musliminnen und Muslimen zu erzählen. Damit bekämen sie einen ganz anderen Stellenwert, als wenn sie "irgendwie ein Ethnomedium auf eigene Faust" machen müsse. Kayikcis Blog "Primamuslima" gab es schon vor der Kooperation mit dem BR, ebenso eine Podcast-Staffel, damals noch unter dem Namen "Maschallah!". Damit hat die junge Journalistin 2019 den Wettbewerb "Originals gesucht" von der Streamingplattform Deezer und der Digitalkonferenz re:publica gewonnen.
"Es ist ein echt schönes und großartiges Zeichen vom BR, dass er diesen Podcast in sein Portfolio aufgenommen hat", findet Kayikci. Der BR zeige damit, dass er nicht nur regionale Interessen verfolge, sondern es als Bereicherung seines Programms ansehe, Einblicke in muslimische Lebenswelten zu geben. Im ARD-Verbund sieht sie den BR hier als Vorreiter.
Muslimische Lebenswelten – nicht nur in Bayern
In einigen Podcast-Folgen kommen Muslime aus Bayern vor, aber "Primamuslima" ist kein rein bayerischer Podcast. Merve Kayikci selbst ist in Baden-Württemberg aufgewachsen, lebt in Stuttgart, arbeitet fest beim SWR und zudem freiberuflich, unter anderem für den BR.
Kayikci arbeitet im "SWR X Lab" als Junior Innovationmanagerin daran mit, Impulse für die digitale Zukunft des Senders zu geben. Derzeit planen die BR-Entwicklungsredaktion "Digitale Entwicklungen und Social Media" und das "SWR X Lab" einen gemeinsamen Innovations-Podcast. Merve Kayikci ist mit dabei und bekommt so erneut Kontakt zum BR.