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Eine Grünten-Reportage Was Rundfunktechniker alles leisten

Der Sender Grünten versorgt den Landkreis Oberallgäu mit Programmen des Ersten, des ZDF und der Dritten. Auch Mobilfunkanbieter haben hier Antennen stehen, hoch oben auf knapp 1.800 Metern. Wie die BR-Kollegen dort arbeiten, hat sich Simon Jöcker angeschaut. Eine Abenteuergeschichte im Schnee.

Von: Simon Jöcker, Programmbereich BR Fernsehen, ARD-alpha, 3sat

Stand: 05.02.2019

"Achtung! Wir werfen Lebensmittel ab!" Mit einem lauten Rumps verabschiedete sich nach diesem Funkspruch die Kiste aus dem Flugzeug. Wenige Sekunden später landete sie weich im Tiefschnee neben der eingeschneiten Sendeanlage auf dem Grünten (1.738 m) im Landkreis Oberallgäu. Die BR-Mitarbeiter waren schon seit Tagen eingeschneit. Nun bahnten sie sich auf hölzernen Schneeschuhen ihren Weg zu dem "Care-Paket". Doch dieses letzte von insgesamt acht Päckchen wurde nie gefunden. Es war das Wichtigste. Da waren die Zigaretten drin. Das war 1962.

Heute stehe ich in winterlicher Wandermontur am Fuße desselben Berges. Ich will die Sendeanlage am Gipfel erreichen, wie es die BR-Mitarbeiter vor der Errichtung der Seilbahn 1972 getan haben: zu Fuß. Der Winter soll dabei kein Hindernis sein. Schließlich mussten die Sendetechniker damals jede Woche auf dem gleichen Weg zur Arbeit gehen. Ich mache noch ein Foto vom Grünten. Doch es erscheint mir sinnlos. Denn ausgerechnet sein Wahrzeichen, der 94 Meter hohe Sendemast, ist in eine dicke Wolke gehüllt. Für diesen Fall habe ich mir ein Weitwinkelobjektiv geliehen. Damit sollte der Sendemast auch vom Gipfel aus noch ganz aufs Bild passen. Der Berg wirkt harmlos auf mich. Ich bin guter Dinge. Noch.

Die Natur siegt

Viel zu früh endet der befestigte Weg. Und nach dem Glatteis kommt der Tiefschnee. Ich stecke bis zu den Knien fest und gebe auf. Es gibt ja noch die Seilbahn. Kein Grund, sich zu schämen, rede ich mir ein. Ist ja schließlich höhere Gewalt. Doch auf dem Rückweg ist es schon etwas frustrierend, den eigenen Fußspuren im Schnee zu begegnen.

Ulrich und Gerti

Und dann treffe ich auch noch auf Ulrich und Gerti. Die beiden Ausflügler aus Tauberbischofsheim machen eine Schneeschuhwanderung auf meiner angestrebten Route. Als ich mir ihre Wanderstöcke, High-Tech-Schneeschuhe und Gamaschen ansehe, fühle ich mich wie eine halbe Portion aus der Stadt. Ob ich es mit ihrer Ausrüstung geschafft hätte? Ich werde es später auf dem Grünten erfahren, den ich nun mit der Seilbahn erklimme.

Oben in der Sendestation ist es warm und gemütlich. Man trägt Birkenstock. Ich begegne Thomas Lingenhöl. Er wirkt so alt wie ich, Ende 30. Aber vielleicht ist er doch um die 50 und hat sich nur eine Portion Jugendlichkeit bewahrt.

Thomas Lingenhöl

Mir fällt beim Händeschütteln seine trockene Haut auf. Er plaudert direkt los, dass die trockene Luft hier oben ein Problem sei. Creme, nasse Handtücher, Luftbefeuchter – er hat schon alles probiert. Im Moment ist er bei Knochensuppe. Eine Empfehlung vom Betriebsarzt.

Die Arbeit auf dem Grünten

Thomas nimmt mich mit auf seinen Kontrollrundgang. Den macht er auf dem 2.500 m² großen Areal mit 134 Räumen auf vier Stockwerken zweimal am Tag. Unter der Woche sind einige Kollegen vor Ort, sie bringen Leben ins Haus. Doch nachts und am Wochenende sind sie nur zu zweit und es ist ein bisschen wie in einer Raumstation: Allein in teilweise fensterlosen Räumen, umgeben von elektronischen Geräten. Es fährt keine Seilbahn, man ist von der Außenwelt abgeschnitten.

Es gibt keine Feuerwehr, die löscht. Keinen handwerklichen Notdienst, der repariert. Und wenn die Sendeanlage ausfällt, gibt es zwischen den Alpen und Augsburg keinen Empfang. "Schäden müssen hier schon bei der Entstehung erkannt werden", erklärt mir Thomas. "Deswegen die regelmäßigen Kontrollrundgänge."

"Und wenn man sich mit dem Kollegen nicht gut versteht, mit dem man eine Schichtdienst-Woche am Stück zusammenlebt?", frage ich auf dem Weg zum ersten Kontrollpunkt. "Das kann wie eine Zwangsehe ohne Scheidungsmöglichkeit sein," sagt er und zeigt mir mit einem kleinen Lächeln, dass er das nicht ganz ernst meint. Er verrät mir seinen Trick, wie er mit der dienstlichen Zweisamkeit umgeht: "Man muss mit sich selbst im Reinen sein. Man muss mit sich selbst klarkommen. Dann klappt‘s auch mit den anderen."

Nach und nach alle Orte kontrollieren

Unser erster Kontrollpunkt ist die Digitalsenderkühlung. Ein Labyrinth aus roten und blauen Rohren. Irgendwie unspektakulär, finde ich. Doch dann erklärt mir Thomas, dass die Sendeanlage so viel Wärmeenergie produziert, dass sie damit das gesamte Gebäude mit Warmwasser versorgt. Dusche, Waschmaschine, Heizung – alles vom Radiosender abgenommene Wärmeenergie. Faszinierend.

Lingenhöl prüft die Temperaturen der Warmwasseranlage

Auch im nächsten Raum ist ein Rohr, sechs Meter hoch und so breit, dass ein Mensch hineinpasst. Thomas klettert die Leiter darin ein paar Sprossen hinauf. Es ist ein maßstabsgetreuer Nachbau des Inneren der DVB-T2-Antenne, die draußen auf der Spitze des riesigen Sendemastes sitzt. Hier üben sie die Rettung von Kollegen, falls in der Antenne jemand bei der Arbeit bewusstlos wird. So langsam verstehe ich, dass einem hier oben wirklich niemand hilft.

Nachtmoderatoren halten Techniker wach

Es ertönt ein schriller Alarm, der uns schneller als geplant in den digitalen Senderaum bringt. Ein steriler Ort mit lauter Geräteterminals. Thomas wirft einen Blick auf einen Monitor: "Das war eine Störmeldung. Aber die Kollegin hat schon übernommen." Ich frage, wie oft so Alarme kommen. "Ständig", erklärt er. "Allein letzte Nacht bin ich viermal raus. Manche Störmeldungen kommen, wenn die Radioansager eine zu lange Moderationspause machen. Dann denkt das System, die Verbindung ist unterbrochen. Beim Deutschlandfunk und Klassik-Radio wird das gerne aus stilistischen Gründen gemacht." Ob die Nachtmoderatoren wohl wissen, dass sie mit ihren Kunstpausen Menschen auf Berggipfeln aus dem Schlaf reißen?

Dann gehen wir nach draußen. Es ist komplett vernebelt. Keine Sicht. Weder ins Tal noch auf den Sendemast. Ich bin enttäuscht. Fotografisch ist meine Mission gescheitert. Zu gerne hätte ich der Redaktion ein aktuelles Bild von dem freistehenden gigantischen Sendemast, der aus der märchenhaften Winterlandschaft ragt, präsentiert.

Oben mit Heizung, unten ohne

Lange bleiben wir nicht in diesem Wald aus Antennen. Minus 10 Grad zeigt meine Wetter-App. Ich habe vier Balken Empfang. Denn viele große Mobilfunkanbieter haben hier auch einen Antennenplatz. Einige Richtfunksender sind komplett vereist. Andere sind beheizt.

Erst jetzt sehe ich, dass sich der Schnee vier Meter hoch getürmt hat. Ich bin ein bisschen erleichtert. Denn es wäre unmöglich gewesen, hier hochzuwandern – auch mit Schneeschuhen. Ulrich und Gerti werde ich wohl nicht mehr wiedersehen.

Hintergründe bei Kaffee und Keksen

Drinnen kürzen wir den Kontrollrundgang ausnahmsweise ab. Bald fährt die letzte Seilbahn und wir wollten beim Kaffee noch ein bisschen plaudern. Thomas reicht mir eine große Gebäckdose. Von seiner Freundin. Es sind mindestens 20 verschiedene selbstgebackene Plätzchensorten darin. Vielleicht erhofft sie sich auf diese Weise, auch während seines einwöchigen Schichtdienstes ständig in seinem Herzen zu sein. Ich frage lieber nicht. Ich habe das Gefühl, dass er eher auf technische Fragen vorbereitet ist. Und so will ich von Thomas wissen, wozu dieser ganze Aufwand hier oben eigentlich betrieben wird.

"Unser Auftrag ist die Grundversorgung. Wir gewährleisten, dass es für alle zu jeder Zeit an jedem Ort unverschlüsselten Rundfunkempfang gibt. Analog und digital,"

erklärt der gelernte Radio- und Fernsehtechniker Thomas Lingenhöl

Ich stelle mir vor, dass das vor allem in Krisensituationen wichtig ist. Die Leute müssen informiert sein. Weil hier oben auch Mobilfunkanbieter senden, ist das bestimmt ein strategisch wichtiger Ort für die Region. Warum braucht es aber auf einem Berg noch mal zusätzlich eine 94 Meter hohe Antenne? Thomas erzählt, dass die Sendestation nicht auf dem höchsten Punkt des Berges liegt: "Deswegen gibt es den Antennenmast, der den Gipfel überragt. Sonst würde der einen großen Sendeschatten in Richtung Westen werfen, wo die Leute keinen Empfang mehr hätten." Sendeschatten. Ich habe ein neues Wort gelernt.

Beruflicher Zweitwohnsitz

Das Zimmer von Thomas Linge

Zum Schluss zeigt mir Thomas noch sein Zimmer. Es ist einfach möbliert und ich verstehe, warum die Mitarbeiter den Grüntensender liebevoll "Frequenzkloster" nennen. Mein Blick fällt auf seinen Schreibtisch, wo die Lokomotive einer Modelleisenbahn wohl mehr oder weniger auf dem Abstellgleis steht.

"Das ist ein Nachteil hier oben", seufzt der Schichtdienstler. "Ich bin noch nicht dazu gekommen, meine Modelleisenbahn aufzubauen. Und der Bahnhof, an dem ich arbeite, ist auch noch nicht fertig."

Trotz der langen Zeit, die man auf dem Sender verbringt, käme man wegen der vielen Aufgaben und Alarme kaum zu privaten Dingen. Als ich Thomas nach den Vorteilen dieses Arbeitsplatzes frage, leuchten seine Augen. Im Sommer läuft er dreimal die Woche im Sonnenaufgang den Berg zur Arbeit hinauf. Er schwärmt: "Dann denke ich immer, wie geil ist das denn? Das genieße ich sehr. Das ist riesig."

Mission erfüllt

Im Flur hängt ein Bild vom Sendemast draußen.

Und dann, auf dem Weg zur Seilbahn, entdecke ich doch noch mein Motiv: Der gigantische, freistehende Sendemast auf dem Grünten. Allerdings eingerahmt an der Wand im Flur. Ich fotografiere ihn mit meinem Smartphone noch schnell ab. Eine sinnlose Verzweiflungstat. Neben dem Bild entdecke ich eine historische Schwarzweißaufnahme vom Bau des Senders aus den 40er Jahren. Ich erkenne Esel und andere primitive Hilfsmittel. Und ich frage mich, was die Arbeiter damals für unsere Grundversorgung geleistet haben müssen.

Wie selbstverständlich gleite ich lautlos mit der Seilbahn innerhalb von wenigen Minuten zurück ins Tal. Auf dem Rückweg im Auto höre ich Radio. Es rauscht. Doch das Rauschen ärgert mich nicht. Denn für mich ist es diesmal keine nervige Störung, sondern ein Sendeschatten. Und ich weiß: Durch Menschen wie Thomas Lingenhöl wird viel dafür getan, dass es davon in Bayern möglichst wenige gibt. Ich habe mein ersehntes Foto nicht bekommen. Doch trotz der schlechten Sicht auf dem Grünten, habe ich das Gefühl, heute meinen Horizont erweitert zu haben.


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