"Menschen im BR": Notenlektorin und Musikbibliothekar Verrückt nach Noten
Endlich ist es wieder so weit, ein paar Menschen im BR kennenzulernen. Diesmal stellen wir Ihnen Hilde Harrer und Michael Fritsch vor. Beide arbeiten hinter den Kulissen des BRSO als Notenlektorin und Musikbibliothekar – und sind verrückt nach Noten.
BR-Intranet: Michael Fritsch, Sie sind Musikbibliothekar. Beschreiben Sie uns mal, was Sie genau für das BRSO, unser Symphonieorchester, machen?
Michael Fritsch: Das Management und der/die Dirigent*in überlegen sich, welches Programm sie aufführen möchten, teilen uns das mit - und dann recherchiere ich: Haben wir die gewünschten Noten selbst, möchten die Künstlerinnen und Künstler mit unseren Archivmaterialien arbeiten? Haben wir kein Archivmaterial: Welche Möglichkeiten haben wir, das Material zu bestellen: käuflich erwerben oder mieten?
Das biete ich den Dirigent*innen an und frage ab, ob unsere Vorschläge in Ordnung gehen. Nach den Antworten wird entweder im Falle von Mietmaterial bei den Verlagen bestellt, die die Materialien für eine bestimmte Mietzeit liefern und/oder die Archivmaterialien bereitgestellt. Anschließend spreche ich mich mit Hilde ab, wann ich die Materialien zum Orchester schicken kann (wir sind örtlich getrennt). Zuvor prüfe ich, ob Partitur und Stimmen übereinstimmen und wie sich die rechtliche Situation darstellt.
Wie sieht Ihr Arbeitsplatz aus - wie darf man sich das Notenarchiv genau vorstellen? Regale mit tausenden von Noten?
Michael Fritsch: Es ist wirklich wunderschön, man kommt ins Schwärmen (lacht). Es ist kein historisches Archiv, sondern ein Gebrauchsarchiv. Wir haben circa 70.000 Titel im Keller lagernd - Orchestermaterialien, Partituren (also die Drehbücher der Werke), Klavierauszüge, Kammermusik-Noten, Taschenpartituren, ganze Opernmaterialien. Ich sitze zwei Stockwerke höher im Büro und wenn wir etwas brauchen (ich habe noch fünf weitere Kolleg*innen), dann gehen wir runter. Es gibt einen Aufzug, aber inzwischen mache ich es zu Fuß, weil es einfach sportlicher ist. Und da komme ich dann in das Reich, wo ich wirklich auch wahnsinnig gern bin. Interessant ist, wenn man mal zu Gast bei anderen Archiven ist: Es riecht überall gleich.
Hilde Harrer: Alte Noten riechen anders als neue Noten. Für die einen ist der Geschmack der alten Noten ein bisschen muffelig, aber ich mag‘s. Es ist eine Geschichte, die man riecht.
Und Sie, Hilde, was machen Sie dann damit als Notenlektorin?
Hilde Harrer: Wenn der Dirigent eigenes Material mitbringt, ist es das Einfachste. Dann können wir es übernehmen. Ich mache lediglich noch die Übestimmen für die Streicher. Es sitzen ja in der Regel immer zwei Streicher an einem Pult, das heißt. es gibt nur eine Stimme für zwei Musiker. Deshalb stelle ich für den zweiten Musiker eine Übestimme her. So können sich alle gut auf die erste Probe vorbreiten.
Wenn es aber Leihmaterial ist und der Dirigent keine eigenen Wünsche hat, dann gehe ich Stimme für Stimme durch und passe die Bogenstriche an, so dass alle Streicher zusammenpassen. Um ein Streichinstrument zum Klingen zu bringen, muss man mit dem Bogen über die Saiten streichen und dabei gibt es zwei Richtungen. Nun könnte man meinen, dass es egal ist, wie rum ein Musiker streicht.
Es ist zum einen optisch einheitlicher, wenn alle synchron streichen. Viel ausschlaggebender ist aber die Tatsache, dass sich die Richtung des Bogenstriches sehr auf die musikalische und klangliche Gestaltung auswirkt. Entschieden werden die Striche vom Dirigenten oder Konzertmeister, aber auch im Verlauf der Probe gibt es immer mal wieder Änderungen, und die sorgen gelegentich für heiße Diskussionen.
Können Sie noch mal genauer erklären, wie Sie die Noten "einrichten", also für die Musiker vorbereiten?
Hilde Harrer: Viele denken, Beethoven zum Beispiel, hat das Stück komponiert, der Verlag druckt es und dann legen wir los. Aber so ist es eben nicht. Jeder Dirigent hat seine eigene Auffassung, wie er das Werk aufführen möchte. Und da beginnt meine Aufgabe. Da sind zunächst die Basics, das heißt: Ich kontrolliere, ob es genügend Studienziffern gibt und die Takte gezählt sind. Dann geht es an die Bogenstriche, wie vorher schon beschrieben. Nur so ist gewährleistet, dass die Probenarbeit, zumindest von meiner Seite her, reibungslos funktioniert.
Oder aber ich bekomme vom Dirigenten seine Partitur mit seinen Bogenstrichen und anderen Eintragungen, wie etwa dynamische Änderungen. Ich übertrage diese dann in die einzelnen Stimmen der Musiker. In den Noten zeigt sich sozusagen, welchen Plan ein Dirigent hat. Mariss Jansons hat zum Beispiel sehr viel reingeschrieben.
Im Gegensatz zu Michael haben Sie kein Büro, richtig?
Hilde Harrer: Die Kantine im Herkulessaal ist mein Büro. Ich liebe es. In den Pausen kommen die Musiker, man trinkt einen Kaffee, unterhält sich über dies und das. Oft braucht aber einer auch meine Hilfe, wenn sie oder er zum Beispiel nicht blättern kann. Dann bastle ich eine Wendestelle und kleb' sie in die Noten rein.
Michael, Sie haben bestimmt schon das eine oder andere mit einem Dirigenten erlebt?
Michael Fritsch: Oh ja (lacht), zum Beispiel mal mit Carlos Kleiber. Ich saß im Büro und bekam einen Anruf vom Management des Symphonieorchesters durchgestellt. Am Telefon war Carlos Kleiber. In wienerisch-südamerikanischen Deutsch fragte er mich, wer für die Rücksendung der Noten verantwortlich sei. Ich antwortete: "Dafür bin im Grunde genommen ich verantwortlich. Aber worum geht es?"
Hörbar aufgebracht meinte er: "Es ist nur die Hälfte des Materials zurückgeschickt worden. Das ist doch Wahnsinn. Also, ich finde der, der verantwortlich ist, den müsste man standrechtlich erschießen!" Und ich, der von Spontanität im Normalfall weit entfernt ist, meinte darauf: "Von Ihnen, Maestro, erschossen zu werden, wäre mir eine große Ehre." Es war Stille, absolute Stille, und dann ein Riesenlacher: "Na, dann schicken Sie mir die Noten einfach zu!"
Und zu guter Letzt: Wir leben heute in einem digitalen Zeitalter – hat das Orchester vor, irgendwann Tablets zu verwenden statt Papier?
Hilde Harrer: Da haben wir zwei verschiedene Meinungen (lacht). Das Lesen über Tablet spart ganz klar viel Papier und ist vermeintlich umweltschonender. Andererseits hängen wir eh schon im Alltag so viel am Computer oder am Handy, dann finde ich es schön, beim Musizieren noch eine haptische Stimme zu benutzen. Aber ich weiß, da bin ich etwas "old school".
Michael Fritsch: Wir im Notenarchiv stehen der digitalen Bereitstellung der Aufführungsmaterialien sehr positiv gegenüber. Es laufen, wie Hilde auch schon angeführt hat, immer wieder Tests. Von der Soft- wie auch Hardware aus, könnte man sofort loslegen und alles digital liefern. Aber so einfach ist es nicht. Auf der einen Seite sind die Bildschirme für die Ausführenden in der Anzeige einfach zu klein, für den praktischen Gebrauch ist das unmöglich. Und andererseits sind die Verlagsrechte so eng ausgelegt, die Verlage sehr skeptisch gegenüber digitalen Veröffentlichungen, dass das eine ganz große Bremse darstellt. Es wird dauern bis zur digitalen Anzeige auf den Notenpulten, vielleicht noch fünf Jahre oder gar zehn Jahre.
Mehr spannende Geschichten aus dem BRSO
An dieser Stelle wollen wir natürlich ergänzen: Hilde Harrer und Michael Fritsch sind nicht die einzigen aus dem BRSO, die eine spannende Geschichte zu erzählen haben! Um noch mehr Musiker:innen und Mitarbeiter:innen des Bayerischen Symphonieorchesters kennenzulernen, hören Sie rein in den Podcast Schoenholtz - der Orchester Podcast.