Unternehmen - Mein BR - Entdecken und Erleben


11

STATIONEN Mit Wut in die Pedale

Es war ein Wagnis für neun Betroffene sexuellen Missbrauchs in der katholischen Kirche: Sie wollten mit dem Fahrrad von München nach Rom radeln, um dort beim Papst ihre Sorgen, ihre Wut, aber auch ihre Wünsche abzuladen. Für die Redaktion Religion und Orientierung des Bayerischen Rundfunks war klar, diese Tour zu begleiten - für die aktuelle, crossmediale Berichterstattung, aber auch als Reportage für die Sendung STATIONEN und für eine Nahaufnahme auf Bayern 2, in Kooperation mit dem ARD-Studio Rom.

Von: Christian Wölfel

Stand: 23.05.2023

 Die Gruppe der Missbrauchsbetroffenen mit Papst Franziskus. | Bild: BR/Robert Kiderle

Und so haben sich Reporterin Antje Dechert, STATIONEN-Moderatorin Irene Esmann und Regisseur Eckhart Querner am 6. Mai am Münchner Marienplatz mit aufs Rad geschwungen, um die Alpen zu überqueren. Das Ziel: Nah dran sein an der Gruppe, an den Schicksalen der Betroffenen, die teils zum ersten Mal öffentlich über das Erlittene sprechen, 13 Jahre nach Bekanntwerden des Missbrauchsskandals in der katholischen Kirche. Auch wenn seitdem das Thema Missbrauch in der Berichterstattung der Redaktion Religion und Orientierung immer wieder präsent ist: Die intensiven Erlebnisse auf der Radtour sind bis dato einzigartig. Ebenso die Aktion, die auch in italienischen und internationalen Medien Aufmerksamkeit fand.

Die Missbrauchsbetroffene radeln morgens in Bozen los.

"Es war schon sehr beeindruckend für mich - vor allem aber ein Zeichen von großem Vertrauen, dass wir die Betroffenen auf diesem Weg begleiten durften. Sie haben mit uns Medienvertretern sehr intime Momente geteilt. Mir ging das ganz schön unter die Haut", erinnert sich Irene Esmann. Wichtig dabei: Bei aller Nähe zu den Betroffenen auch die nötige journalistische Distanz zu wahren.

In der Reportage "Mit Wut in die Pedale" in STATIONEN am 24. Mai in BR Fernsehen (Redaktion: Christian Wölfel) und in der Nahaufnahme auf Bayern 2 am 16. Juni geht es auch darum, Themen zu vertiefen und bei Verantwortungsträgern kritisch nachzufragen: Bei Kardinal Reinhard Marx, Ministerpräsident Markus Söder oder beim katholischen Kinderschutzexperten Hans Zollner. Wie umgehen mit Bildern oder gar Denkmälern von Würdenträgern, die durch Missbrauchsgutachten belastet werden? Wieviel Verantwortung will der Staat übernehmen, wenn es um die Aufarbeitung von sexualisierter Gewalt geht? Und warum wird das Thema im Vatikan immer noch nicht konsequent behandelt?

Die Tour selbst war für die Betroffenen schon allein eine sportliche Herausforderung, widrige Wetterbedingungen machten ihnen auf den rund 1.100 Kilometern zusätzlich zu schaffen. Aber auch emotional kamen die Radler an ihre Grenzen. Mit jedem Tag rückte die Gruppe enger zusammen, die Betroffenen nahmen sich wenn nötig gegenseitig in den Arm, bauten sie sich auf, motivierten sich.

Richard Kick (links), Sprecher des Betroffenenbeirats des Erzbistums München-Freising, im Gespräch mit Papst Franziskus in Rom.

Dann, am 17. Mai, die Begegnung mit Papst Franziskus auf dem Petersplatz, direkt vor dem Petersdom. Die Betroffenen sind die einzige Gruppe, für die sich Franziskus aus dem Rollstuhl erhebt und auf sie zugeht. Es folgen fünf bewegende Minuten, in denen der Papst eine dreidimensionale Herz-Skulptur erhält. Das Geschenk soll ein Symbol sein für die fragilen, durchlöcherten Herzen der Missbrauchsbetroffenen.

Die intensive Begleitung der Radtour, gerade auch der Papst-Audienz, ermöglicht ungewöhnliche Perspektiven auf das Thema "sexualisierte Gewalt", bietet eine Nähe zu Betroffenen und Papst. Gleichzeitig beziehen Verantwortungsträger in einer Deutlichkeit Stellung zum Thema, an der sie künftig gemessen werden können.

"Das Motto 'Wir brechen auf! – Kirche, bist Du dabei?' war immer wieder zu spüren. Mancher Betroffene hat erst während der Radtour und gestärkt durch die gemeinsame Aktion die Kraft gefunden offen über den Missbrauch zu sprechen. Da ist auch in den Betroffenen selbst etwas aufgebrochen. Ob die Kirche dabei ist – dahinter steht weiter ein großes Fragezeichen. Oft genug sind die Betroffenen auf Vertreter der Institution getroffen, die sich hinter Ritualen und Floskeln zu verstecken schienen."

Fazit von Stationen-Moderatorin Irene Esmann


11