Löwengrube Haidhausen: Von Hungerleidern zu Schicki-Mickis
Die Geschichte der Familie Grandauer ist eine Erfindung von Autor Willy Purucker. Doch viele Zuschauer der Kultserie haben bestätigt: Ja, genau so war das damals. Das liegt zum einen daran, dass Autor Willy Purucker genau wusste, wovon er schrieb, als er die Drehbücher verfasste: Schließlich wuchs er genau in dem Haidhausen auf, in dem auch seine Grandauers leben.
In der Fernsehserie wohnt die Familie Grandauer - Vater Karl, Mutter Traudl, die Söhne Maxi und Rudi sowie Oma Soleder - in einer bescheidenen Beamtenwohnung in Haidhausen im Münchner Osten. Auch die Bäckerei Kreitmeier, über all die Jahre hinweg Dreh- und Angelpunkt der Schicksale der Familien Grandauer, Soleder und Kreitmeier liegt in Haidhausen und hat ein historisches Vorbild. Drehbuchautor Willy Purucker, in Haidhausen geboren, hat die Menschen und die Umgebung dieses Stadtviertels zur Vorlage für die Geschichten um das private Leben seiner Figuren genommen.
Die wirkliche Löwengrube
Karl Grandauers berufliches Leben spielt sich dagegen im von zwei mächtigen Löwen am Eingang bewachten Münchner Polizeipräsidium ab. Dort, in der "Löwengrube" löst er als pflichtbewusster bayerischer Beamter seine Kriminalfälle.
Durch Haidhausen führt schon seit dem 9. Jahrhundert die wichtige Handelsstraße von München nach Wien. Deswegen gibt es dort seit jeher Wirtshäuser und Herbergen für Fuhrleute. In der Vorstadt auf dem rechten Isarhochufer siedeln sich im Mittelalter Handwerker, Tagelöhner aber auch Hungerleider an, also all diejenigen, denen die Stadt München das Bürgerrecht verweigerte.
Ziegeleien
Von Haidhausen bis nach Ismaning im Münchner Norden ziehen sich Lehmgruben. Daran werden zahlreiche Ziegeleien aufgebaut, in denen vorwiegend Arbeiterkolonnen und Subunternehmer aus Italien arbeiteten.
Brauereien lagern Bier im Hochufer
Ende des 19. Jahrhunderts wächst die Haupt- und Residenzstadt München sehr schnell und der Bedarf an Baumaterial ist groß. Die Arbeiter schuften im Akkord.
Die Brauereien bauten zum Kühlen ihres Gebräus in das Hochufer die Bierkeller, pflanzten Schatten spendende Kastanien, schenkten dort in den Stuben Bier aus und bei schönem Wetter konnte man seine Maß auch im Garten trinken. So entstand in München eine der liebenswertesten gastronomischen Traditionen: Der Biergarten. Bald gab es entlang der Rosenheimer Straße an die 50 Bierkeller. Als Gäste kamen Bohemiens und Arbeiter und - in den zwanziger Jahren - die Nazis.
Fruchtbarer Boden für Hitlers Propaganda
Zu Beginn des 20. Jahrhunderts wohnen in Haidhausen die "kleinen Leute": Handwerker, kleine Beamte, Arbeiter und Tagelöhner: Alles Menschen, denen der Zusammenbruch der Monarchie, die anarchistischen Zustände und die Inflation schwer zusetzt.
Die Mischung aus Angst um die eigene Existenz, politischer Orientierungslosigkeit und Bierseligkeit bietet Adolf Hitler das Podium für seine politischen Hetzreden. Der Bürgerbräukeller an der Rosenheimer Straße bildet den Ausgangspunkt für seinen missglückten Putschversuch 1923. Dort entgeht er 1939 einem Bombenattentat von Georg Elser. Heute ist der Bürgerbräukeller abgerissen. Auf dem Gelände wurde ein Luxushotel und das Münchner Kulturzentrum am Gasteig gebaut.
München boomt
Nach dem Krieg bleibt Haidhausen zunächst ein Viertel der "kleinen Leute". Das ändert sich in den 70er-Jahren. Verschiedene Großfirmen und nicht zuletzt die Olympischen Spiele machen München zur uneingeschränkten Boom- und Modestadt der beginnenden 70er-Jahre.
Invasion der Besserverdienenden
Als dann die Mietpreisbindung für Altbauten wegfällt, werden viele Wohnungen in Haidhausen saniert und die Mieten steigen kräftig. Der junge Geldadel erobert das Viertel und mit ihm kommen die Cabriolets und die Schicki-Micki-Lokale rund um den Wiener Platz. Die einstige Vorstadt mit ihren "Hungerleidern" wird zur Heimat der "Werbeszene", die Bierkeller mutieren zu sündteuren Szene-Restaurants und in den Ziegeleien wird Literatur gelesen. Diese Invasion der Besserverdienenden hat Haidhausen bis heute zu einem teuren Wohnviertel mit vielen Bars und In-Lokalen gemacht.