dorfgeschichten Bärnau. Die Zukunft liegt im Mittelalter
Die Häuser haben geflochtene Wände, die mit Lehm verkleidet sind, das Dach ist mit Holzschindeln gedeckt und aus dem Giebel dringt dichter Rauch. Über der Feuerstelle im Wohnraum dampft in einem eisernen Kessel Hirse und Lauch.
Hungrig sitzen fünf Arbeiter auf dem Lehmboden und warten darauf, dass die Köchin ihre Holzteller füllt. Draußen fegt der böhmische Wind das Laub der Kastanien über den Dorfplatz.
Eine faszinierende Zeitreise ins 10. Jahrhundert
Im weiten, sanften Hügelland der Oberpfalz, ganz dicht an der tschechischen Grenze liegt Bärnau. Wer hierher kommt, kann eine Zeitreise zurück ins Mittelalter unternehmen. Nicht in eine Fantasy-Szenerie, wie sie auf zahlreichen Festivals zelebriert wird, sondern eine richtige, eine authentische mittelalterliche Welt. Die fünf Arbeiter, unter ihnen Alfred Wolf, haben heute das Dach des Langhauses genauso gedeckt, wie das die Menschen im 10. Jahrhundert getan haben. Beraten hat sie der Archäologe Stefan Wolters: er ist der wissenschaftliche Leiter des Geschichtsparks Bärnau. Alfred Wolf ist mittlerweile ein gefragter Experte für das Dachdecken mit Lärchenschindeln geworden. Nach und nach haben er und seine Mitstreiter alle Kunstgriffe und Raffinessen der mittelalterlichen Baukunst erlernt. Im „richtigen“ Leben ist Alfred Wolf Polizist und Stadtrat der kleinen Gemeinde. Damals – vor sechs Jahren – war die Aufregung groß, als er den Plan, einen Geschichtspark zu entwickeln, präsentierte. Heute sind alle skeptischen Stimmen verstummt.
Zusammen mit Benjamin Zeitler, dem Geschäftsführer des Projekts, gelang es, die Unterstützung der EU zu gewinnen. Nach und nach wurden zehn Häuser errichtet, eine Herberge, eine Kirche und eine gewaltige Turmhügelburg. Möglich war das nur, weil mittlerweile viele Bärnauer ehrenamtlich und voller Leidenschaft mithelfen. Genauso wie zahlreiche „Hauspaten“, die an den Wochenenden oft von weit her kommen, um an „ihrem“ Gehöft weiter zu bauen.
Übers Mittelalter in die Zukunft
Vor allem aber ist der Geschichtspark zum Symbol für einen neuen Aufbruch geworden. Vor 20 Jahren war die Verzweiflung groß, als die Knopfindustrie in die Krise geriet und zahlreiche Arbeitsplätze verloren gingen. Heute setzen viele Bärnauer ihre Hoffnungen auf den Tourismus. Allein im ersten Jahr strömten 30.000 Besucher in das Mittelalterdorf.
Mittlerweile ist im benachbarten tschechischen Tachov ein Partnerprojekt entstanden, nachdem man zwischen den beiden Gemeinden Spuren der Goldenen Straße wiederentdeckt hat. Ob es dem kleinen Ort jemals wieder so gut gehen wird wie damals, als er noch an der großen Handelsroute von Nürnberg nach Prag lag? Das ist dann eine andere, noch ferne Vision, von der vielleicht manche Bärnauer heute schon träumen.
Buch und Regie: Eva Severini / Redaktion: Peter Giesecke