Persönliche Geschichten Coronavirus in Bayern: Von Angst, Trauer und Solidarität
Das Coronavirus hat weitreichende Folgen für Bayern: Die Grenzen sind geschlossen. Der Katastrophenfall ist der neue Alltag. In Laboren wächst die Sorge um Testkapazitäten. Wie ergeht es den Menschen damit? Persönliche Geschichten aus dem Freistaat.
Das hat Bayern in dieser Form noch nie erlebt: Die Schulen sind geschlossen, die Fußball-EM ist verschoben. Viele Menschen arbeiten von zu Hause aus, und Bundeskanzlerin Angela Merkel fordert alle auf, ihre sozialen Kontakte einzuschränken. Das Coronavirus wird das Leben eine ganze Weile lang stark verändern.
In den Münchner Kliniken wie im "Rechts der Isar" landen die schweren Covid-19 Fälle. Der Ausbruch hinterlässt Spuren bei den Menschen. München hat aktuell gut 200, Bayern schon mehr als 1.300 Infektions-Fälle.
Telefon als letzte Verbindung zur Nonna in Italien
Giulia Maniezzo hofft, dass die Epidemie in Deutschland nicht so dramatisch verläuft wie in Italien. Die Mutter von drei Monate alten Zwillingen kommt ursprünglich aus der Provinz Alessandria bei Mailand. Ihre Verwandten dort schildern ihr immer wieder, wie die aktuelle Lage ist.
"Sie erzählen, dass die Maßnahmen sehr stark sind. Sie sind natürlich davon betroffen. Meine Eltern schicken mir auch Videos. Es ist unglaublich, wie leer der Ort ist."
Giulia Maniezzo über ihre Verwandten in der Nähe von Mailand
In ganz Italien zeigt sich ein gespenstisches Bild: Die Straßen sind leer, viele Läden geschlossen, Menschen tragen Masken. Das Land hat drastische Maßnahmen ergriffen, die Bewegungsfreiheit seiner Bürger extrem eingeschränkt. Auch vor den wenigen offenen Geschäften bilden sich keine Schlangen. Vielmehr halten die Leute zwei Meter Abstand zueinander und treten einzeln ein.
Wie für viele Bayern, die ihre Eltern und Großeltern nicht anstecken wollen, bleibt auch für Giulia nur das Telefon als letzte Verbindung in ihre alte Heimat. Ihre Oma Nella ist 91 Jahre alt. Beide sprechen jeden Tag per Video-Call miteinander.
"Es ist traurig. Meine Oma hat die Kinder noch nie in echt gesehen."
Giulia Maniezzo
Eigentlich wollte Giulia diesen Monat mit den Kindern zu Besuch nach Italien fahren – doch das geht nun nicht mehr. Sogar Giulias Mutter nähert sich der Nonna nur noch mit Maske.
Kein Test für vermutlich coronakranken Opa
Auch ihrem Opa geht es nicht besonders gut. Er hat Fieber, Husten und fühlt sich sehr schwach. Auf Corona wurde er nicht untersucht, weil es zu wenige Tests gibt. "Ich habe kein gutes Gefühl", sagt Giulia.
Kurz darauf erfährt Giulia, dass ihr Opa gestorben ist, wahrscheinlich am Coronavirus. Er hatte die typischen Symptome. Doch das Gesundheitssystem dort ist offenbar so überlastet, dass man ihn noch nicht mal getestet hat.
Große Sorge um Großeltern
Die Sorge um die Großeltern steigt auch in Bayern. Die meisten Eltern halten ihre Kinder von ihnen fern. Dabei wären Omas und Opas für viele Familien die Rettung in dieser Zeit, in der Schulen und Kitas geschlossen sind.
Altersheime haben aus Sorge ein Besuchsverbot erlassen. Und auch am Klinikum rechts der Isar in München heißt es: Besucher draußen bleiben! Hier arbeitet Professorin Ulrike Protzer. Die Virologin hält das Besuchsverbot für unausweichlich.
"Jeder Besucher, der von draußen reinkommt, kann schon potenziell das Virus mitbringen. Und wir haben einfach schwer kranke Patienten. Und wir wollen unsere Patienten schützen, denn die können so einen Infekt nicht so einfach wegstecken."
Prof. Dr. med. Ulrike Protzer, Virologin, Klinikum rechts der Isar, München
Der Rat von Virologin Ulrike Protzer ist im Moment extrem gefragt. Alle suchen nach Fachexpertise, gerade wenn es darum geht, wie weit die Maßnahmen gegen Corona gehen müssen. Sie fordert, dass alles was nötig ist, unternommen wird.
"Weil wir vermeiden müssen, dass unser Gesundheitssystem zusammenbricht. Was wir in Italien gesehen haben, ist ein exponentielles Wachstum. Das heißt: Sie fangen mit wenig Infizierten an. Jeder Infizierte steckt zwei neue an. Und dann geht die Kurve steil nach oben. In Deutschland sind wir im Moment noch in diesem unteren Teil der Kurve. Wir sehen aber diesen Anstieg schon. Wenn wir jetzt noch ein paar Tage abwarten, geht es bei uns genauso steil nach oben. Das müssen wir verhindern. Und zwar mit allen Kräften."
Prof. Dr. med. Ulrike Protzer
In Bayern drohen Corona-Tests eher nicht knapp zu werden
Könnten die Tests auch in Bayern knapp werden? Die Teststäbchen liefern hier im Labor am Klinikum rechts der Isar laufend Ergebnisse aus dem ganzen Freistaat. Typischerweise ist ein Ergebnis innerhalb von 24 Stunden fertig. Dass diese Tests ausgehen, droht eher nicht, sagt Virologin Prof. Dr. med. Ulrike Protzer.
Knappheit könnte es aber bei den Laborkapazitäten geben. Davor warnen Virologen eindringlich.
"Aktuell sind die Labors überlastet. Wir testen im Moment einfach zu viel. Und wir testen nicht zielgerichtet. Es werden viele Abstriche gemacht von Personen, die gar nicht symptomatisch sind, wo es gar keinen wirklichen Grund gibt, einfach nur, weil man denkt, man muss irgendwas machen. Diejenigen, die Symptome haben, die Fieber und Husten haben, die müssen einer Diagnostik zugeführt werden. Und dann haben wir auch wieder genügend Möglichkeiten, Abstriche zu machen, dann haben wir genügend Reagenzgläschen, um diese im Labor zu testen. Denn wenn wir ungezielt weitermachen, dann haben wir das Problem: Uns gehen die Kapazitäten aus."
Prof. Dr. med. Ulrike Protzer
Eine Familie mit infiziertem Papa
In Bayern gilt nun der Katastrophenfall, die Zahl der Infizierten steigt. Familienvater Andreas Römer gehört zu den Infizierten. Ihm geht es trotz Coronavirus gut. Einige Tage hatte er Erkältungssymptome, Fieber und Kopfweh – im Moment nicht. Er und seine Frau Susi sind in Quarantäne, ebenso wie ihre Söhne Xaver und Jakob. Die sind symptomfrei und nutzen die Zeit zum Fußballspielen.
"Da kann ich viele so in meinem Alter, die eigentlich gesund sind, beruhigen: Das war wie eine leichte Grippe, wirklich harmlos – und mir geht es blendend."
Familienvater Andreas Römer, Infizierter
Seine Frau Susi hat keine Angst, sich anzustecken. Sie hat auch gute Erfahrungen rund um das gefährliche Virus gemacht.
"Jeder hat seine Hilfe angeboten. Ich glaube, man hält durch das Ganze wieder mehr zusammen."
Susi Römer
In der Nachbarschaft fragen alle, ob die Familie Unterstützung braucht. "Die Leute werden vielleicht wieder mal etwas mehr geerdet", sagt Andreas Römer: "Vielleicht hat es so etwas auch mal gebraucht in unserer Zeit, wo wir alle sehr verwöhnt sind."
Um sich selbst machen sich die Römers keine Sorgen. Um den Uropa von Xaver und Jakob dafür umso mehr. Sepp Strassberger hat seine Dorfwirtschaft erst einmal geschlossen. Seine Urenkel kann er jetzt nicht sehen – zu gefährlich, weil ältere Menschen als Hauptrisikogruppe gelten.
"Gut, das ist jetzt schon gravierend, gell! Ich bin über 90 und einfach ein bisschen vorsichtiger!"
Uropa Sepp Strassberger
Die Römers haben die ganze Woche gebangt, ob die Kinder infiziert sind oder nicht. Es gab eine richtige Test-Odyssee. Insgesamt dreimal mussten die Kinder zum Abstrich ins Gesundheitsamt. Dreimal gab es Probleme und keine Ergebnisse. Dann kam endlich die Nachricht: Die Kinder sind gesund.
"Die sind natürlich völlig überfordert, sind immer freundlich am Telefon, das muss man echt sagen. Hut ab vor den Leuten, weil die ja Stress pur haben, aber die sind immer nett und freundlich, aber halt überfordert. Und haben einfach keinen Überblick, weil die anscheinend keine Dateien haben, sondern wirklich mit Zettel und Stift arbeiten."
Andreas Römer
Nachtleben verboten – für viele Künstler existenzgefährdend
Auch das Nachtleben in Bayern steht still. Besonders hart trifft das Virus die Kulturwelt – alle Theatervorführungen sind gestrichen. Für Theater-Gründerin Betty Engelke ist das Coronavirus zur Existenzgefährdung geworden. Bis zuletzt hatte sie noch gehofft, dass es irgendwie weitergeht – vergeblich.
"Mein Lebenswerk ist zerstört. Alles, was man jahrelang aufgebaut hat, einfach vernichtet! Es ist unsichtbar und heimtückisch, dieses Virus. Wenn wir es sehen könnten, dann würde sich jeder in Acht nehmen. Oder wenn man plötzlich mit einer blauen Nase rumlaufen würde, dann wüssten wir Bescheid."
Theater-Gründerin Betty Engelke
Corona-Krise fördert Kreativität und Zusammenhalt
Aber es gibt auch schöne Dinge im Ausnahmezustand. Überall in Bayern haben Menschen kleine Ideen, wie sie in der Krise anderen Menschen eine Freude machen. In München-Haidhausen zum Beispiel macht Buchhändlerin Katrin Rüger ein Bilderbuchkino für Familien, denen die Decke auf den Kopf fällt. Auf dem Monitor im Schaufenster laufen animierte Bilderbücher.
"Wir haben uns gedacht, dass die Kinder jetzt Zeit haben und die Eltern überlegen müssen, was man unternimmt. Und wenn sie einen Spaziergang an der Luft machen, können sie vielleicht einfach zehn Minuten Halt machen."
Katrin Rüger, Buchpalast Haidhausen