Trend im Sport Kinesiotapes – wirksam oder nur ein Placebo?
Farbige Streifen, die auf dem Oberschenkel oder dem Rücken kleben: Viele Sportler schwören auf die Wirkung von Kinesiotapes. Doch was bewirken sie wirklich? Die Studienlage ist uneinheitlich.
Es ist das Abschlusstraining einer langen und anstrengende Fußballsaison: Die 26-jährige Hobby-Fußballerin Nele Haberstumpf klebt sich Kinesiotape-Streifen in einem auffällig knalligen Pink um das rechte Knie. Nele hatte schon einige Verletzungen und benutzt deswegen regelmäßig Kinesiotapes beim Sport. Sie glaubt, dass es ihr geholfen hat.
Doch was steckt hinter diesen Kinesiotapes? Und welche Wirkung können sie wirklich entfalten?
Kinesiotapes sollen positive Wirkungen haben
Ein Kinesiotape besteht aus dehnbarer Baumwolle. Auf der Unterseite ist eine Klebeschicht, etwa aus Acrylkleber oder auch aus pflanzlichen Extrakten. Die Tapes sollen unter anderem nach Muskelverletzungen helfen und die muskuläre Aktivität verbessern. Außerdem sollen sie die Durchblutung und den Lymphabfluss fördern oder auch Bänder und Gelenke stützen und entlasten.
Die Theorie dahinter: Das elastische Tape wird beim Anbringen auf der Haut gedehnt. Die Zugkräfte heben die Haut leicht an – sowohl Tape als auch die Haut sind so leicht gewellt. Das soll den Druck aufs Gewebe und damit Rezeptoren von Nerven-, Blut- und Lymphgefäßen verringern. So sollen Durchblutung und Lymphabfluss gesteigert und damit die Heilung verbessert werden. Auch der Druck auf Schmerzrezeptoren soll abnehmen und somit Schmerzen reduzieren.
Nach Verletzungen und zur Lymphtherapie
Der Physiotherapeut Christoph Sollors betreut in seiner Münchner Praxis zahlreiche Sportlerinnen und Sportler. Er hat auch Fußballprofis behandelt. Schon seit Jahren setzt er dabei Kinesiotapes ein – zum Beispiel nach Verletzungen.
Auch in der Lymphtherapie werden die Kinesiotapes benutzt: "Weil wir Lymphtapes anbringen können, um den Körper zu unterstützen, damit er diese ganze zusätzliche Lymphflüssigkeit noch besser abtransportieren kann. Wir machen stabilisierende Tapes, zum Beispiel an Sprunggelenken und Knie", erklärt der Physiotherapeut. Der Münchner Physiotherapeut Christoph Sollors rät dazu, sich die Tapes nicht selbst anzulegen, da man einiges falsch machen könne.
"Wenn man die Züge falsch setzt, dann ist die Beweglichkeit eingeschränkt. Gerade am Sprunggelenk kann man sich in eine gewisse Position selber reintapen, es könnte zu einem falschen Laufbild kommen. Wenn man es zu eng zieht, dann könnte das zu einem Rückstau oder Durchblutungsstörungen führen."
Christoph Sollors, Physiotherapeut, München
Auch Philipp Schenk bekommt heute vom Physiotherapeuten ein Kinesiotape ums rechte Sprunggelenk. Der 25-Jährige hat sich beim Handballspielen einen offenen Wadenbeinbruch zugezogen. Seit einem halben Jahr arbeitet er an seinem Comeback. Neben Aufbautraining und Physiotherapie sollen dabei auch Kinesiotapes helfen.
Kinesiotapes: Studien stellen Placebo-Effekt fest
Der Handballer hat gute Erfahrungen mit dem Kinesiotape gemacht. Doch sind die erhofften Effekte wissenschaftlich eindeutig nachgewiesen? Nein, sagt der Orthopäde Prof. Tobias Renkawitz vom Universitätsklinikum Heidelberg. Es gebe viele Studien zur Wirksamkeit der Kinesiotapes – die Ergebnisse seien allerdings sehr uneinheitlich.
"Man konnte keinen eindeutig belegbaren Nutzen rein wissenschaftlich feststellen, beispielsweise wenn man Kinesiotapes mit einer Scheinbehandlung verglichen hat."
Prof. Dr. med. Tobias Renkawitz, Facharzt für Orthopädie und Unfallchirurgie, Universitätsklinikum Heidelberg
Vielmehr gibt es laut Renkawitz Placebo-Effekte.
Kinesiotape nur unterstützender Baustein
Allerdings gebe es durchaus positive Effekte bei Lymph-Abflussstörungen, sagt Renkawitz. Zum Beispiel bei geschwollenem Gewebe, etwa nach Operationen, könnten Kinesiotapes unterstützend eingesetzt werden.
"Aber man muss drauf hinweisen: Ein Kinesiotape alleine hat nicht die Hauptwirkung, es muss immer eingebettet sein in ein Gesamtkonzept."
Prof. Dr. med. Tobias Renkawitz, Facharzt für Orthopädie und Unfallchirurgie, Universitätsklinikum Heidelberg
Dazu gehören laut dem Orthopäden zum Beispiel Physiotherapie, Lymphdrainagen oder Bewegungs- und Kräftigungstherapie.
Zusätzlicher Impuls bei chronischen Schmerzerkrankungen
Diesen multimodalen Ansatz verfolgt auch die München-Klinik Harlaching. In der Klinik für Physikalische Medizin, Rehabilitation und Schmerzmedizin werden Menschen mit chronischen Schmerzerkrankungen behandelt. Dabei kommen neben Physiotherapie auch Wärme- und Kältebehandlungen oder verschiedenen Formen der Elektrotherapie zum Einsatz. Kinesiotapes sollen zu den eigentlichen Behandlungen nur einen zusätzlichen Impuls geben, sagt die Leitende Physiotherapeutin Antje Barnowski.
"Man könnte das in der Akutsituation, also akuten Beschwerdesymptomatik machen oder vielleicht unterstützend, begleitend, wenn jetzt ein Patient noch eine Bewegungskoordination oder eine bessere Bewegungsführung bräuchte."
Antje Barnowski, Leitende Physiotherapeutin, Klinik für Physikalische Medizin, Rehabilitation und Schmerzmedizin, München Klinik Harlaching
Das Kinesiotape wird beispielsweise bei Schwellungen oder Ödemen eingesetzt – das soll den Heilungsprozess unterstützen.
Kinesiotapes auszuprobieren, schadet nicht
Die Farben der Kinesiotapes haben keinerlei Effekt, sagt der Heidelberger Orthopäde Tobias Renkawitz. Im Hobby-Sport vertrauen viele Menschen auf eine positive Wirkung der Kinesiotapes, weil auch zahlreiche Profi-Sportler solche Tapes tragen. Sie auszuprobieren, schadet erst einmal nicht, sagt Renkawitz.
"Es ist kein Verfahren – wenn man nicht eine Allergie auf Acrylkleber hat – was ein hohes Gefahrenrisiko birgt. Aber man muss berücksichtigen, dass es keine stabilisierenden Verbände sind. Und man sollte sich schon mal zeigen lassen, wie man diese Kinesiotapes optimalerweise anlegt."
Prof. Dr. med. Tobias Renkawitz, Facharzt für Orthopädie und Unfallchirurgie, Universitätsklinikum Heidelberg