Rechtsextreme in Bayern Wer dahinter steckt
Parteien sind für viele Rechtsextreme längst out. Lieber organisieren sie sich in dezentralen "Freien Kameradschaften". Aber auch diese werden von Führungsfiguren dominiert. Die bekannteste in Bayern ist Martin Wiese.
Von Ernst Eisenbichler
Hoyerswerda in Sachsen, Rostock-Lichtenhagen in Mecklenburg-Vorpommern: In den Jahren nach der Wiedervereinigung kam es in den neuen Bundesländern zu einer Serie ausländerfeindlicher Übergriffe. Aber nicht nur dort - in Mölln in Schleswig-Holstein und im nordrhein-westfälischen Solingen gab es dabei sogar Todesopfer. Alle diese Gewaltakte hatten eines gemeinsam: Die Täter kamen jeweils aus dem rechtsradikalen Milieu. Zwischen 1992 und 1995 wurden in der Konsequenz bundesweit einige Neonazi-Organisationen verboten.
Lose Zusammenschlüsse
Wollte sie nicht von der Bildfläche verschwinden, war die rechte Szene zu einem Strategiewechsel gezwungen - und den vollzog sie auch: Sie etablierten sich seit Mitte der 1990er-Jahre in sogenannten "Freien Kameradschaften": lockere Zusammenschlüsse auf lokaler Ebene - ohne Mitgliedsausweise und ohne Parteiprogramme, die verfassungsfeindliche Ziele beinhalten könnten. Dadurch ist der juristische Zugriff auf diese Organisationen schwieriger geworden. Neben einzelnen lokalen Gruppen organisieren sich Neonazis inzwischen auch in kameradschaftsübergreifenden Netzwerken.
Schlag gegen Dachverband
In Bayern war laut Verfassungsschutz lange das "Freie Netz Süd" das einflussreichste Netzwerk. Das FNS hatte 100 bis 150 Anhänger und 20 angeschlossene lokale Gruppen wie etwa die "Freien Nationalisten Hof", die "Kameradschaft München" oder der "Widerstand Regensburg-Cham". Das FNS wurde zwar im Juli 2014 vom bayerischen Innenministerium verboten. Doch die Neonazis hatten sich auf dieses Verbot bereits eingestellt. Sie sammeln sich seit geraumer Zeit in "Der Dritte Weg". Stark gemacht für diese Kleinstpartei haben sich führende Neonazis in Bayern wie Tony Gentsch, Matthias Fischer, Karl-Heinz Statzberger und Martin Wiese. Insgesamt sind nach offiziellen Angaben in Bayern etwa 700 Kameradschafts-Neonazis aktiv. "Das ist genau der Bereich, von dem die Gefahr ausgeht", sagt Burkhard Körner, Chef des bayerischen Verfassungsschutzes.
Neben der NPD und dem "Dritten Weg" formiert sich in Bayern auch eine weitere rechtsextreme Partei. "Die Rechte" verfügt mittlerweile über Kreisverbände in Rosenheim, Nürnberg, Bamberg und München. Mitglieder der Partei wurden Ende 2015 im Rahmen einer Razzia in Mittel- und Oberfranken verhaftet. Ermittelt wird wegen des Verdachts der Bildung einer kriminellen Vereinigung. Den Beschuldigten wird vorgeworfen, Anschläge auf Flüchtlingsunterkünfte und einen linken Studententreff geplant zu haben. Als führende Aktivisten gelten der Münchner Funktionär Phillip Hasselbach und der Nürnberger Rechtsextremist Dan Eising. Nach Angaben des bayerischen Verfassungsschutzes sind in der rechten Szene Bayerns etwa 1.000 Personen "gewaltorientiert". Körperverletzungsdelikte sind keine Seltenheit. Zu spüren bekommen das besonders Minderheiten, immer wieder Opfer des rassistischen, antisemitischen und antiislamischen Weltbildes der Neonazis. Daneben machen sich Rechtsradikale seit Jahren verstärkt die Sorgen der Bevölkerung zu Nutze und nutzen sie geschickt für vermeintlich sozial orientierte Propaganda aus.
Führungsfiguren und Koordinatoren
Im Gegensatz zu Parteien organisieren sich die Kameradschaften dezentral. Führungslos sind sie deswegen nicht - jede Gruppierung verfügt über eigene Platzhirsche, die jedoch der breiten Öffentlichkeit kaum bekannt sind.
Bundesweit haben Neonazi-"Masterminds" wie Christian Worch oder Thomas Wulff großen Einfluss auf die Kameradschaftsszene. Worch fungierte häufig als Organisator von Veranstaltungen, unter anderem von den inzwischen verbotenen Rudolf-Heß-Gedenkmärschen im oberfränkischen Wunsiedel. Über die diversen Neonazi-Aktionen können die "Kameraden" per Websites oder SMS-Nachrichten bundesweit, aber auch international, einfach und schnell informiert werden.
Prominentester Neonazi Bayerns: Martin Wiese
Der wohl bekannteste Neonazi Bayerns ist der ehemalige FNS-Aktivist Martin Wiese. 1976 in Mecklenburg-Vorpommern geboren, beteiligte sich Wiese im Alter von 16 Jahren an den ausländerfeindlichen Ausschreitungen in Rostock-Lichtenhagen. Später zog er nach Bayern und leitete von seinem niederbayerischen Heimatort Landau an der Isar aus die von den Behörden inzwischen verbotene "Kameradschaft Süd". Diese Münchner Gruppierung besorgte sich mehr als ein Kilogramm des Sprengstoffs TNT. Doch sie flog auf. Ermittler fanden Unterlagen, dass die Kameradschaft einen - wenn auch nicht konkret ausgearbeiteten - Plan eines Anschlags auf die Grundsteinlegung des neuen Jüdischen Zentrums in München am 9. November 2003 hatte. Wiese wurde der Prozess gemacht, bei dem er zu einer Freiheitsstrafe von sieben Jahren verurteilt wurde.
Rückblick
Ab August 2010 war Wiese zunächst wieder auf freiem Fuß - und wurde bald darauf wieder aktiv. Im Juli 2011 gründete er die "Kameradschaft Geisenhausen", die sich dem regionalen neonazistischen Netzwerk "Nationales Bündnis Niederbayern" (NBN) anschloss. Inzwischen ist er wieder "einer der führenden Akteure in der bayerischen Neonazi-Szene", heißt es im Verfassungsschutzbericht. Auch das Münchner Antifaschistische Informations- und Dokumentationsarchiv a.i.d.a. berichtet immer wieder von Wieses Aktivitäten in Bayern. Durch diese geriet er auch wieder ins Visier der Ermittler. So wurde er im September 2013 vom Landgericht Würzburg unter anderem wegen Volksverhetzung zu einer 15-monatigen Haftstrafe ohne Bewährung verurteilt.