Migräne: Gewitter im Kopf Die vielen Gesichter der Migräne
Laut Weltgesundheitsorganisation ist Migräne die Krankheit, die den Alltag der Betroffenen so stark wie keine andere beeinträchtigt. Trotzdem: Dass Migräne eine ernste neurologische Erkrankung darstellt, ist weder in der Bevölkerung noch vielen Ärzten bekannt. Etwa acht bis zwölf Millionen Menschen in Deutschland leiden daran. Die Betroffenen haben oft eine umfassende Leidensgeschichte hinter sich, verbunden mit der langwierigen Suche nach der besten Hilfe. Aber die gibt es. Welche Therapien und Medikamente zum Erfolg führen, ist dabei individuell.
Symptome der Migräne
Zentrales Symptom bei einer Migräne sind die häufig einseitigen, pulsierend-pochenden Kopfschmerzen. Dazu kommen heftige Übelkeit mit Erbrechen, extreme Licht-, Geräusch- und Geruchsempfindlichkeit. Frauen sind häufiger betroffen als Männer. Bei Kindern treten die Kopfschmerzen oft im ganzen Kopf auf, zusammen mit den genannten Begleitsymptomen. Eine Attacke kann zwischen vier und 72 Stunden dauern.
Währenddessen ist es für die Betroffenen fast unmöglich, ihren Alltag zu bestreiten und normalen Beschäftigungen nachzugehen. Denn jede Bewegung verstärkt die Kopfschmerzen. Die Attacke zwingt die Betroffenen zu einer Pause, zu Ruhe in einem meist abgedunkelten Raum.
"Diese Schmerzen im Kopf sind stechend. Einfach nur stechend. Es ist, als würde einer mit dem Messer reinstechen. Dann kann ich mich auch kaum bewegen, weil jede Bewegung tut weh, jedes … Bücken oder so was, da platzt einem fast der Kopf. Also da kann ich tatsächlich auch nur liegen. … Ich hatte jede Woche Migräne, immer zwei, drei Tage. Ohne Medikament hört die gar nicht auf. Ich würde es mich gar nicht trauen, gar nichts zu nehmen, weil die Intensität nimmt ja so stark zu. Und ich habe auch festgestellt, diese 72 Stunden, die da immer genannt werden, das Maximum, das kann ich auch übertreffen, das habe ich schon übertroffen."
Julia Kühnel, Migränepatientin
Migräne: Was sind die Ursachen?
Wann und warum eine Migräneattacke entsteht, ist noch in weiten Teilen rätselhaft, auch was die genauen Ursachen der Schmerzen sind. Fest steht, dass sich die Gefäße in der Hirnhaut weiten und entzünden. Dahinter steckt eine unüberschaubare Kaskade von Abläufen im Gehirn, bei der verschiedenste Botenstoffe und Neurotransmitter eine Rolle spielen. Verspannungen in der Schulter- und Nackenmuskulatur scheinen als Auslöser und/oder Treiber bei den Attacken ebenfalls ausschlaggebend zu sein. Symptome, die bei der Diagnose oft auf die falsche Fährte führen.
"Ich war beim Orthopäden, wo sie gesagt haben, die braucht Einlagen in den Schuhen, die hat eine schiefe Wirbelsäule … . Was alles diagnostiziert wurde, was diese Verspannung wohl auslösen könnte, obwohl es eigentlich etwas anderes war."
Julia Kühnel, Migränepatientin
Migräne: Diagnose und akute Hilfe
Die Diagnose ist im Prinzip einfach. Dafür ist aber eine umfangreiche Anamnese erforderlich. Ergänzend kann eine neurologische Untersuchung Gewissheit bringen, sowie der Ausschluss von anderen Ursachen, wie etwa einem Tumor.
"Die Migräne wird sicherlich nach wie vor nicht wirklich als Krankheit gesehen und entsprechend ernst genommen. Die Hausärzte haben sicher das Knowhow, eine Migräne zu diagnostizieren, aber einfach häufig nicht die Zeit dazu. In der Deutschen Migräne- und Kopfschmerzgesellschaft haben wir deshalb eine Initiative gestartet. Wir wollen uns an Hausärzte und an hausärztliche Internisten wenden, ihnen mehr Informationsmaterial zur Verfügung stellen und sie ganz gezielt auf deren Fortbildungen schulen. Es soll mehr Wissen zur Migräne in die Hausarztpraxis kommen und das Ganze soll für die Hausärzte auch praktikabel sein."
PD Dr. med. Stefanie Förderreuther, Neurologin und Präsidentin der Deutschen Migräne- und Kopfschmerzgesellschaft
Migräne: Helfen Medikamente?
Die Versorgung in Deutschland soll flächendeckend besser werden. Standardschmerzmittel können bei einer akuten Migräneattacke nur bei milden Formen Hilfe leisten. Bei starken Symptomen und Schmerzen ist die Wirkstoffgruppe der Triptane die erste Wahl.
"Ich erinnere mich an den Zeitpunkt, wo ich beruflich in im Hotel Berlin war. Und ich hate auf dem Flug schon so wahnsinnige Kopfschmerzen und mir war übel. Es war so schlimm, dass ich an der Rezeption nach einem Arzt fragte. Der kam dann, hat gesagt: Sie haben Migräne, ich habe hier ein tolles Medikament, ein Triptan, das nehmen Sie mal… Und das war so ein Aha-Erlebnis. Da habe ich gedacht, es gibt ja wirklich etwas, das einem hilft."
Julia Kühnel, Migränepatientin
Allerdings bergen Triptane – wie auch alle anderen Schmerzmittel – ebenfalls eine Gefahr. Vor allem wenn sie aus Angst vor der nächsten Attacke zu früh oder sogar vorsorglich genommen werden.
"Patienten ahnen schon, dass es nicht so geschickt ist, zu häufig Schmerzmittel einzunehmen. Aber sie haben natürlich einen Effekt und funktionieren besser mit einem Schmerzmittel. Dass das dann tatsächlich aber die Migräne chronifizieren kann – Schmerzmittelübergebrauch ist der Risikofaktor für eine Chronifizierung von Migräne und Spannungskopfschmerzen – das ist einfach nicht bekannt."
PD Dr. med Stefanie Förderreuther, Neurologin und Präsidentin der Deutschen Migräne- und Kopfschmerzgesellschaft
Chronische Migräne
Eine chronische Migräne liegt dann vor, wenn die Betroffenen mehr Kopfschmerztage im Monat haben als schmerzfreie Tage. Durch Übergebrauch von Schmerzmitteln kommen die Migräniker auch in den sogenannten Status migraenosus, eine Migräneattacke geht dann in die andere über. Ein Zustand, der nur durch extreme Entzündungshemmer, wie etwa Cortison unterbrochen werden kann.
Migräne mit Aura
Neben der ‚normalen‘ Migräne leiden etwa 10 Prozent der Migräniker auch an Aura Symptomen. Die gehen der eigentlichen Attacke voraus und sind oft mit Seh- und anderen Wahrnehmungsstörungen verbunden. Auch vorübergehende Lähmungserscheinungen können auftreten.
Alexander Schön hatte seine erste Migräne-Attacke mit 12 Jahren. Und von da an immer wieder, zweimal die Woche. Zeitweise konnte er in der Phase der Aura, die bei ihm immer eine halbe Stunde dauerte, nicht mal mehr seine Schultasche tragen. Auf jede Aura folgen sehr starke Kopfschmerzen.
"Wenn man zu schnell Eis isst zum Beispiel, dann hat man auf einmal diesen kompletten Schmerz hier in der Stirn. Das hat man im ganzen Kopf, völlig unkontrollierbar und es geht nicht weg. Man wünscht sich fast, dass man ohnmächtig wird - vor Schmerz. Und dann rennst du im Grunde genommen alle fünf, zehn Minuten auf die Toilette. Ich habe als Kind einen Eimer stehen gehabt neben dem Bett. Das geht dann stundenlang und hört einfach gar nicht auf."
Alexander Schön, Migränepatient
In der Pubertät werden die Attacken bei Alexander Schön zum Glück weniger. Aber als er am Münchner Flughafen einen Job annimmt, ändert sich die Situation dramatisch. Die unregelmäßige Schichtarbeit lässt die Zahl der Anfälle wieder massiv steigen auf zwei bis drei in der Woche.
"Ich fühle mich wie ein Zombie, wie wenn ich vom normalen Menschen zum Zombie werde. Ich krieche ja teilweise zur Toilette. Das ist nicht, wie wenn man läuft, weil man nicht aufrecht stehen kann vor Schmerzen. Und wenn einen jemand beobachtet, dann wirkt das wie in einem Horrorfilm."
Alexander Schön, Migränepatient
Migräne: soziale Auswirkungen auf den Alltag
Migräniker ziehen sich oft aus dem gesellschaftlichen Leben zurück. Ihre Kopfschmerzen werden in ihrer Dimension von Außenstehenden kaum begriffen, geschweige denn als neurologische Erkrankung ernst genommen. Freizeit zu planen, sich mit Freunden regelmäßig und verlässlich zu verabreden, ist den Betroffenen oft nicht möglich. Alexander Schön war als Kind trotzdem akzeptiert bei seinen Freunden. Aber im Job wird die Erkrankung für ihn plötzlich existenzbedrohend.
"Mein Teamleiter kam irgendwann zu mir und sagte: Pass auf, du hast so viele Krankheitstage, das fällt auf. Bei mir waren es teilweise, wenn man es zusammenrechnet, drei Monate im schlechtesten Jahr. Und dann landete ich regelmäßig in der Personalabteilung. …Einmal wurde mir gesagt, dass ich hier die Migräne vorschiebe, um eben nach Hause gehen zu können. Und dann hatte man mir angedroht, dass das disziplinarische Maßnahmen nach sich zieht. Und diese disziplinarischen Maßnahmen sind im Grunde genommen Abmahnung, Kündigung und das ganze Programm. Und dann kriegst du erst mal einen Schock."
Alexander Schön, Migränepatient
Migräne als anerkannte Berhinderung?
Alexander Schön beginnt zu kämpfen. Der Betriebsarzt schreibt ihn schichtunfähig. Beim Sozialverband VdK erfuhr er, dass auch mit einer chronischen Erkrankung ein Grad der Behinderung erworben werden kann. Der wird bei Alexander Schön auf 30 Prozent festgesetzt. Damit und dem Nachweis, dass ihm seitens des Arbeitgebers aufgrund seiner Erkrankung die Kündigung droht, erwirkt er beim Arbeitsamt eine Gleichstellung. Alexander Schön erwirbt sich schließlich die Rechte eines Schwerbehinderten, mit besonderem Kündigungsschutz und angepassten Arbeitsbedingungen. Der Arbeitgeber muss seine Erkrankung anerkennen und hat eine entsprechende Fürsorgepflicht.
Migräne bei Kindern: Vorsorge und Therapien
Dass Alexander Schön schon im Kindesalter Migräne hatte, ist keine Ausnahme. Auch eine Tochter von Julia Kühnel, Valentina, hat Migräne. Spezielle Medikamente für Kinder mit Migräne gibt es nicht. Gleichzeitig sagen Studien aber: Migräne bei Kindern und Jugendlichen wird immer häufiger. Auch Valentinas Oma litt an der Erkrankung. Migräne steckt also in bestimmten Genen. Die legen fest, dass das Gehirn Migräne ‚kann‘. Ob es aber zur Migräne kommt und wie schwer sie wird, ist eine ganz andere Sache.
Dass Migräne bei Kindern und Jugendlichen immer häufiger wird, beobachtet auch Florian Heinen. Er ist Arzt am Sozialpädiatrischen Zentrum des Haunerschen Kinderspitals in München. Der Neurologe hat auch einen Verdacht, warum die Fallzahlen bei Kindern steigen. Der Hirnstamm, der bei Migräne eine Rolle spielt, steht auch mit der Schulter- und Nackenmuskulatur in Verbindung. Wenn die dauerhaft verspannt ist, fördert das Migräneattacken. Stress in der Schule, mit Freunden oder in der Familie und auch der Umgang mit Smartphone etc. führen seiner Meinung nach zu steigenden Fallzahlen.
"Ich erlebe etwas Stresshaftes und die Schultern gehen nach oben. Eine ganz archaische, biologisch sehr fixierte Reaktion. Jemand mit Migräne kommt unter Stress, die Schultern gehen mehr nach oben, als bei dem, der gar keine Migräne kennt. Und dann spielt natürlich unsere Alltagskultur eine Rolle. Ich nehme ein Smartphone, schaue da lange rein und reguliere den Abstand für Lesen und Betrachten mit Kopf und Nacken, bin mit Inhalten beschäftigt, die wiederum Stress auslösen. Und das ist schon sehr plausibel, dass das etwas mit mehr Anspannung im Muskel und dann mit mehr Migräne zu tun hat."
Prof. Dr. med. Prof. h.c. Florian Heinen, Direktor iSPZ Hauner, Ärztlicher Leiter, Kinder- und Jugendarzt, Neurologe
Wie sich die Migräne bei Kindern ohne Medikamente unter diesen Voraussetzungen am besten therapieren lässt, untersucht im Rahmen einer Studie ein Team am iSPZ Hauner, dem Integrierten Sozialpädiatrischen Zentrum im Dr. von Haunerschen Kinderspital des Klinikums der Universität München. Die Ärzte sind davon überzeugt, dass Psychologie und Soziales bei der Migräne mit der Biologie und mit den Muskeln von Nacken und Schultern zusammenspielen.
"Das Gehirn sagt dem Muskel, du bist zu hart. Und der Muskel sagt dem Gehirn, es tut weh. Daraus ergibt sich ein Kreislauf, der die Migräne fördert und den wir unterbrechen wollen. Und zwar an der Stelle der Muskeln. Wir können sie untersuchen, wir können sie aber eben auch therapeutisch bearbeiten, so dass aus einem harten Muskel, einem Muskel mit Triggerpunkten, ein Muskel wird, der wieder weich ist und keine Triggerpunkte hat. Wenn ich das frühzeitig richtig mache, dann bekomme ich nicht so viel Migräne. Und ganz wichtig: Es kommt nicht zu einer Chronifizierung der Migräne."
Prof. Dr. med. Prof. h.c. Florian Heinen, Direktor iSPZ Hauner, Ärztlicher Leiter, Kinder- und Jugendarzt, Neurologe
Migräne bei Kindern: frühe interdisziplinäre Therapien
Die Frühtherapie bei Kindern mit Migräne baut deshalb nicht auf Medikamente, sondern auf verschiedene interdisziplinäre Therapien. Physiotherapie steht dabei ganz oben, um die Muskeln wieder weich zu machen. Und sind die Muskeln weicher, wirkt das auch auf die Psyche zurück: Viele Migräniker wollen es allen Bezugspersonen recht machen. Auch unlösbare Aufgaben versuchen sie zu lösen. Die eigenen Bedürfnisse und Gefühle wahrzunehmen, fällt dagegen schwer. Verhaltenstherapie kann diese Kanäle öffnen. Daneben können auch Entspannungsverfahren helfen. Stress abbauen, den Umgang mit Schmerzen trainieren – so verschwindet die Furcht vor der nächsten Attacke.
Multimodale Therapien und Biofeedback bei Erwachsenen
Solche multimodale Therapien gibt es auch für Erwachsene. Einige spezialisierte Zentren in Deutschland bieten sie an, stationär oder ambulant. Neben Physiotherapie, Verhaltenstherapie und Entspannungsverfahren kommen dabei noch zusätzliche Verfahren zum Einsatz, wie zum Beispiel das sogenannte Biofeedback.
Mit dieser Methode kann der Migräniker erlernen, seine unbewusst ablaufenden Prozesse, wie Anspannung im Körper oder die Weite der Gefäße im Kopf zu beeinflussen. Die Anspannung muss für die Patientin dabei aber wahrnehmbar und erfahrbar werden. Im Fall der Migräne übernehmen das Sensoren am Kopf und ein Computer. Der zeigt eine Art Donut, einen schlauchförmigen Ring auf dem Display.
Der Patient kann damit ausprobieren, wie er durch Entspannung und Gedanken, seine Gefäße beeinflussen kann. Wenn der Ring auf dem Bildschirm kleiner wird, heißt das, die Gefäße ziehen sich zusammen. Diese Selbststeuerung erfordert sehr viel Konzentration. Aber sie hilft im Alltag, Migräneattacken zu mildern.
"Manchmal merke ich, wenn ich Kopfweh habe, dass es weggeht oder leichter wird. Ich übe das Biofeedback seit einem halben Jahr täglich. Die Migräne ist zwar noch da, manchmal ist sie schon auch noch stark und manchmal nehme ich auch noch Tabletten. Aber sie ist insgesamt leichter geworden. Ich empfinde das Kopfweh nicht mehr als so extrem."
Elfriede Macht, Migränepatientin
Es gibt also eine Reihe von nicht medikamentösen Werkzeugen, um Migräne-Attacken vorzubeugen, sie seltener und erträglicher zu machen. Daneben gibt es aber auch vorbeugend wirkende Medikamente. Das wissen immer noch viel zu wenige Migräne-Patienten.
Medikamentöse Prophylaxe
Bei den Medikamenten, die vorbeugend gegen Migräne wirken können, handelt es sich ausschließlich um Pharmazeutika, die eigentlich für andere Erkrankungen entwickelt wurden, wie zum Beispiel Betablocker, Anti-Epileptika oder Psychopharmaka. Dass sie auch bei Migränikern einen positiven Effekt haben können, hat man durch Zufall entdeckt. Diese Mittel sind neben der Akuttherapie ein wichtiger Baustein in der Behandlung von Migräne.
"Entscheidend ist, dass man sowohl medikamentös, als auch nicht medikamentös behandeln kann und dass die Kombination wahrscheinlich das Effektivste ist. Bei Patienten, bei denen bestimmte Stressauslöser eine Rolle spielen, kann man auch verhaltenstherapeutische Maßnahmen anwenden. Bei jemandem, der rein hormonell gebundene Attacken hat, wird man da nicht so viel erreichen, da wird man mehr mit Medikamenten tun müssen. Entscheidend ist, dass man durch eine Prophylaxe in der Regel erreicht, dass die Migräneattacken-Frequenz zurückgeht, die Attacken weniger heftig und leichter behandelbar sind."
PD Dr. med Stefanie Förderreuther, Neurologin und Präsidentin der Deutschen Migräne- und Kopfschmerzgesellschaft
Allerdings kann es für Arzt und Patient eine Herausforderung sein, das richtige Medikament zu finden. Denn oftmals sind sie mit erheblichen Nebenwirkungen verbunden.
"Das erste war, dass ich sehr, sehr großen Appetit, fast Sucht nach Süßigkeiten hatte. Ich hatte so eine Knabberbox mit Schokolade, Chips, alles durcheinander. Die war am Abend weggefuttert. Ich hab 15 Kilo in einem Jahr zugenommen. Ich hab nachts Schweißausbrüche bekommen. Ich hatte Bewegungsdrang, war immer am Zittern mit dem Fuß, in der Arbeit hab ich auf dem Stuhl hin und her geschaukelt. Und Depressionen habe ich bekommen. Ich hab nur noch auf der Couch gelegen und hatte keine Lust zu gar nichts mehr."
Alexander Schön, Migränepatient
Unter Umständen dauert es lange, bis das richtige Medikament zur Prophylaxe gefunden ist. Aber auch Alexander Schön findet schließlich ein Medikament, das ihm hilft. Seitdem ist sein Leben insgesamt entspannter. Er plant seine Freizeit, geht regelmäßige aus. Sozial ist er voll integriert und im Beruf ist er sicher.
"Entweder kontrollierst du die Migräne oder sie kontrolliert dich. Und ich kontrolliere die Migräne, auch wenn sie natürlich immer kommt. Die schlägt ein wie ein Blitz, man weiß nicht wann und wo. Aber ich lass mich davon nicht beeinflussen. Ich weiß ganz genau, was ich tun muss. Und wenn ich es genauso hinkriege, dann hilft es."
Alexander Schön, Migränepatient
Migräne: Antikörper als letzter Ausweg
Auch Martina Wagner suchte lange nach einer Therapie, die ihre Attacken seltener werden lässt. Bei ihr ist die Migräne rein hormonell getriggert. Gekoppelt an bestimmte Tage ihres Zyklus kommen die Anfälle. Und bei ihr konnte keines der zur Verfügung stehenden prophylaktischen Medikamente helfen. Die Nebenwirkungen waren zu deutlich und der Effekt auf die Häufigkeit und Schwere der Attacken gleich Null. Schließlich probierte sie ein neues Medikament aus. 2018 kamen in Deutschland Präparate auf den Markt, die Antikörper enthalten. Die ersten spezifischen Medikamente gegen Migräne. Denn die Antikörper sind gegen ein ganz bestimmtes Protein im Gehirn gerichtet, das die Mediziner CGRP (Calcitonin Gene-Related Peptide) nennen.
"Man kann dieses CGRP in der Attacke im Blut von Patienten nachweisen, und zwar auf der Seite, wo der Schmerz ist. Wir können auch, wenn man das jemandem spritzt im Experiment, damit Attacken auslösen. Und bei Leuten, die mehr Migränetage haben als migränefreie Tage, bei denen ist es sogar dauerhaft im Blut erhöht. Und deswegen hat man gedacht, das ist ein super Angriffspunkt für eine neue Therapie. Und man hat Medikamente entwickelt, die das CGRP und die Wirkung von CGRP blockieren. Das sind diese Antikörper."
PD Dr. med Stefanie Förderreuther, Neurologin und Präsidentin der Deutschen Migräne- und Kopfschmerzgesellschaft
Martina Wagner versucht die neue Therapie. Einmal pro Monat bekommt sie den Antikörper nun unter die Haut gespritzt. Anfangs war sie skeptisch, da sie ja schon alles ausprobiert hatte. Aber es schien die vorerst letzte Möglichkeit für sie zu sein, die Migräne doch noch mildern zu können. Und zu ihrer Überraschung wirken die Antikörper tatsächlich.
"Seit ich die Spritze bekomme, habe ich so gut wie gar keine Anfälle mehr. Die Lebensqualität ist deutlich besser geworden. Früher habe ich mir immer gedacht: Kann ich da hingehen? Was ist das für ein Tag? Ich habe auf den Kalender geschaut: Ist das vielleicht gerade die Zeit, wo ich meine Migräne kriegen müsste? Kann ich da zusagen, gehe ich da hin, gehe ich da nicht hin? Das macht jetzt alles keinen Unterschied mehr. Ich mache mir keinen Kopf mehr. Ich mache, was ich will, ohne mir überlegen zu müssen, was hat‘s möglicherweise für Konsequenzen auf meine Migräne."
Martina Wagner, Migränepatientin
Fazit: Die richtige Therapie ist individuell
Auch Valentina Kühnel hat mittlerweile ein besseres Gefühl im Umgang mit ihrer Erkrankung. Regelmäßig dehnt sie ihre Nacken- und Schultermuskeln mit den Übungen, die sie gelernt hat. Und sie massiert sich selbst mit einem Tennisball. Das alles ist für sie noch keine Routine, aber zusammen mit den therapeutischen Sitzungen in der Kinderklinik ergibt das ein ganz wirkungsvolles Paket für sie.
Ihre Mutter Julia hat den Sport als eine Art Prophylaxe wiederentdeckt. Regelmäßig steigt sie aufs Rennrad. Aber sie weiß auch, dass sie es damit nicht übertreiben darf. Es geht um einen bewussten Ausgleich. Auf diese Weise kann sie Stress abbauen, der ansonsten bei ihr leicht eine Migräne Attacke auslöst. Und sie ist noch auf eine weitere Prophylaxe gestoßen, die ihr Linderung verschafft.
"Meine Neurologin hat mir Botox empfohlen als Prophylaxe. Und seitdem, muss ich sagen, geht’s mir um einiges besser. Ich bekomm das in die Stirn gespritzt, also hier rauf, über die Kopfhaut, hinter den Ohren, den Nacken herunter. Die Anfallshäufigkeit hat sich schon reduziert, von monatlich 14 Tagen auf jetzt 6 bis 8. Und tatsächlich muss ich sagen, geht’s mir dadurch viel, viel besser."
Julia Kühnel, Migränepatientin
Die Migräne akzeptieren, sich aber von ihr nicht das Leben diktieren lassen. Das ist das Ziel für jeden Migräniker. Die eine wirksame Therapie bei Migräne gibt es aber nicht. Jeder Betroffene muss zusammen mit Ärzten und Spezialisten nach der Kombination von Medikamenten und Verhaltensweisen suchen, die bestmögliche Linderung verschafft.
Heilen lässt sich die Krankheit nicht. Jeder Patient muss unter Umständen ein Leben lang mit ihr umgehen.