Hans Well Schuldig!
"Dieter Wieland ist ein Aufklärer und Volkspädagoge im besten Sinn, ein feiner Mensch, bescheiden, wie besonders kluge Menschen eben sind." Musiker und Kabarettist Hans Well über Dieter Wieland und seinen Einfluss auf Bayern - und auf ihn.
Er is schuld! Ich kann‘s nicht anders sagen, dieser Preisträger hat sich schuldig gemacht, dass ich durch keine Landschaft oder Dörfer mehr fahren kann, ohne meine Mitfahrer durch permanente Hinweise auf schöne, alte, meistens verfallende Häuser zu nerven, dass ich unter seinem Einfluss denkmalgeschützte Häuser hergerichtet und dabei Weib und Kinder vernachlässigt hab, dass ich in Abbruchhäusern unter teils lebensgefährlichen Umständen beim Ausbau alter Türen, Fensterbeschläge, Balken, Bodenbretter herumgekraxelt bin. Er ist schuld daran, dass der BR wegen des durch ihn inspirierten Baywa-Liedes zehn Jahre ohne uns Biermösl senden musste, schuld, dass ich mich im Gegensatz zur Mehrheit meiner Klasse nicht für die Lehren von Mao oder Lenin, sondern für die Auswirkungen der Flurbereinigung interessiert hab, dass ich heute Morgen gegen meine Natur um 8 Uhr aufgestanden bin für einen Veranstalter, wo ich normalerweis nie und nimmer… na ja, ich bin zwar nicht nachtragend, aber vergessen tu ich auch nix, er is schuld, dass Edeka in meiner Heimatgemeinde Türkenfeld…
"I hob ma de ganze Zeit denkt, woher kenn i bloß de Stimm! Jetz woaß i‘s wieda!“ Dieses Heureka einer Kellnerin im vollbesetzten Saal des Unterwirts zu Türkenfeld nach seinem Plädoyer gegen die Außenansiedlung eines Edeka-Supermarktes "vor Ort“ sagt viel über den Wirkungsradius von Dieter Wieland. Seine wohlklingende Stimme aus dem Fernseh-Off, vor allem aber die Wortgewalt, mit der dieser Abraham de Santa Clara bayerischer Architektur und Heimatpflege gegen die Flurbereinigung traditioneller Kulturräume und die Unkultur von Kitsch und Einheitsbaustil zu Felde zog und dabei den Begriff Heimat entstaubte, sprach alle Bildungs- und Altersschichten an.
Einem breiten Fernsehpublikum bekannt wurde Dieter Wieland 1972 durch die Sendereihe "Topographie“. Filme wie der über das Isental schufen ein Bewusstsein für den Verlust von Heimat zu einer Zeit, in der für die Begradigung von Bächen und Landschaft zur Flurbereinigung mehr Sprengstoff verbraucht wurde als für die gesamte Bundeswehr.
Seine Filme sind der Beweis, dass höchstes Niveau höchsten Einschaltquoten keineswegs widersprechen muss. Seine Publikationen sind längst Standardwerke nostalgieferner traditionsbewusster moderner Heimatpflege. Ohne Übertreibung kann man sagen, dass mit ihm heute einer der bedeutendsten Bayern der letzten 50 Jahre geehrt wird.
Dabei wurde Dieter Wieland am 16. März 1937 in Berlin Dahlem geboren. Dieses kleine biographische Missgeschick korrigierte die Vorsehung allerdings fundamental durch eine Kindheit und Jugend in Landshut. Nach dem Abitur 1956 in München und dem Studium der Bayrischen Landesgeschichte sowie der Neueren Geschichte und Kunstgeschichte an der Uni München betätigte er sich ab 1964 hauptsächlich als freier Autor und Fernsehregisseur beim BR, ein Glücksfall für die Zuschauer dieses Senders.
Ich kann mich noch gut erinnern, wie ausgestorben in den 70ern die Dorfstraßen waren, wenn eine seiner "Topographien“ lief. Wie sich Bauerngärten nach einer Sendung zu diesem Thema in mit traditionell gefertigten Zäunen umgebene blühende Oasen wandelten, alte Häuser – vorher als "oids Glump” missachtet – wieder hergerichtet wurden. Mit seinen Filmen und Schriften, die nie besserwisserisch belehrten, sondern mit Beispielen überzeugten, hielt dieser Mann die kulturelle Zerstörung bayrischer Lebensräume vorübergehend auf.
Sprossenfenster, Haustüren, einheimische Baumsorten, mäandernde Bäche hatten auf einmal wieder ihren Wert. Die Langweiligkeit des akkurat Geraden, die feindselige Schärfe eckiger Putzkanten, die Hässlichkeit drahtgeriffelter Aluminiumhaustüren – es fiel einem wie Schuppen von den Augen. Seine Gegenüberstellung von Bildern stimmiger Häuser mit verhunzten Alt- oder Neubauten, unterlegt mit Sätzen von präziser Wucht, schlugen ein.
Beispielhaft der lakonische Kommentar zum Bild eines eternitversauten Wirtshauses:
"Aus alt mach neu. Aus echt mach Synthetik. Gesims weg. Verzierung weg. Proportion und Baukörper weg. Eingesargt!"
Dieter Wieland
Die "Renovierung“ alter Häuser mit großen, gleich leeren Augenhöhlen in die Fassade gestanzten Fenstern und Türen aus Aluprofilen nennt er "Hausschlachtung“! Viele seiner Formulierungen gängiger Bausünden wie der Glasbaustein-"Harakirischlitz“, der "Warzenputz“, die "Bajonettbepflanzung“ mit Blautannen und Koniferen wurden Volksgut. Auf einmal genierte man sich für seine Plastikzäune oder Waschbetontröge, "den Grünersatz in Dosen“ vor dem Haus, sah ihre Schäbigkeit, entwickelte wieder ein Selbstbewusstsein für traditionell Gewachsenes.
Seine Arbeit wirkte in der Bevölkerung, man diskutierte in Wirtshäusern über seine Sendungen. Weniger Erfolg allerdings hatte er bei Politik und Baubehörden, den Keimzellen der normativen Kraft des Faktischen.
Bayern verändert sich in nie dagewesener Weise, verkommt rasant zum gesichtslosen Gewerbemischgebiet. Das Gegenrezept zu dieser Katastrophe wird heute geehrt. Dieter Wieland ist ein Aufklärer und Volkspädagoge im besten Sinn, ein feiner Mensch, bescheiden, wie besonders kluge Menschen eben sind. Er ist ein Evoluzzer, zum Revoluzzer stand ihm wohl sein humanistisches Weltbild im Weg. Er ist ein sehr politischer Mensch, der sich auch im Bund Naturschutz oder als Kreisrat einbringt. Vor kurzem hab ich den Essay von Stephanie Hessel "Empört Euch!“ gelesen. Aus allen Schriften, Filmen und Ausstellungen wie "Grün kaputt“ von Dieter Wieland spricht dieselbe Forderung, sich zu empören. Dagegen, dass unsere Lebensräume weiterhin geplündert und verschandelt werden, dass eine skrupellose Politik unsere Heimat, Lebensqualität und Zukunft an Auto-, Bau- und Lebensmittelkonzerne verscherbelt.
Dieter Wieland hat nie Architektur studiert, aber er hat Architektur als Raum der Geborgenheit und des Sich-Wohlfühlens wieder vom Kopf auf bodenständige Füße gestellt. Am besten ehrt man ihn nicht nur mit Preisen, sondern indem man seine Thesen zur Maxime bayerischer Landesentwicklung macht. Könner wie er sind ein seltener Glücksfall. Es braucht viel Dieter Wieland im Fernsehen, in den Ämtern, Zeitungen, an den Schulen. Zeigt seine Filme, bekniet ihn, neue zu machen! Die Rettung des "Seidl Parks“ in Murnau beweist, welche Energie dieser Mann nach wie vor hat. Er muss mit seinen Werken wieder ins Bewusstsein der Gesellschaft, der jungen Leute, sonst verlieren wir uns noch ganz.
Übrigens: Edeka hat seine Außenansiedlungspläne für Türkenfeld im Juni zurückgezogen. Das Prinzip Heimat, das Prinzip Dieter Wieland hat in diesem Fall gesiegt.
Hans Well, Musiker und Kabarettist - Laudatio (gekürzt) bei der Verleihung des „Oberbayerischen Kulturpreises 2011“ an Dieter Wieland