Akademisierung der Pflege Die Corona Krise treibt Pflegestudium voran
Im Bereich Pflege werden Bachelor- und Masterstudiengänge aktuell sehr stark weiter-entwickelt. Immer mehr Universitäten und Hochschulen bieten Studiengänge für Pflegekräfte an - wir zeigen Euch die neuesten Trends und Möglichkeiten in diesem spannen-den Berufsfeld.
Was Jahrzehnte hauptsächlich mit einer Berufsausbildung im Bereich Pflege erlernt wurde, kann heute mit einem Studium kombiniert werden: Bachelor- und Masterstudiengänge im Bereich Pflege bieten wissenschaftliches Knowhow für Pflegekräfte. Die Akademisierung der Pflege eröffnet Chancen, neue Herausforderungen und Zukunftsperspektiven.
Wissenschaftliche Ausbildung - Antwort auf den Pflegenotstand?
Der Pflegenotstand in Deutschland ist seit Jahren bekannt und durch die Corona Krise ist es deutlicher denn je geworden, wie wichtig das Pflegepersonal in den Krankenhäusern und Altersheimen ist. Es fehlt an Pflegekräften, vor allem aber auch an der Umsetzung neuer Konzepte für Ausbildung und Praxis. Die Pflege hat sich generell stark weiterentwickelt, es gibt ganz neue Anforderungen und Herangehensweisen, die wiederum brauchen neue innovative Konzepte für die Ausbildung.
Wer sich für Pflege interessierte, hatte früher in der Regel eine Berufsausbildung gemacht. In Deutschland hatten 2020 im Vergleich zu anderen EU-Ländern die wenigsten Pflegekräfte studiert. In ersten Modellversuchen wurden in den letzten Jahren berufsqualifizierende Bachelorstudiengänge an die Hochschulen verlegt. Oft haben sie noch einen hohen Praxisanteil oder werden dual angeboten, aber wer die Studiengänge belegt, soll nicht nur praktische, sondern auch akademische Fähigkeiten erwerben. Inzwischen werden deutschlandweit Studiengänge in acht großen Pflegebereichen angeboten im Bachelor und Master. Der Trend geht dahin, auch die Praxisausbildung an die Unis und FH’s zu verlegen.
Aktueller Überblick über alle Pflege-Studiengänge:
Anfang 2020 hat die Bundesregierung das grundständige Pflegestudium als zweiten Zugangsweg zum Pflegeberuf gesetzlich verankert.
Nach ersten Modellstudiengängen ziehen nun weitere Hochschulen nach: Die Technische Hochschule Deggendorf etwa gab im Mai 2020 bekannt, dass Studierende ab Herbst einen Pflege-Abschluss mit einem Studium kombinieren können. Auch die Charité in Berlin hat zum Wintersemester 2020 erstmals einen solchen Studiengang angeboten. Die Absolvent*innen können sowohl in der Kranken- als auch in der Kinder- und Altenpflege arbeiten.
Erfahrungsbericht aus München: „Advanced Nursing Practice (ANP)“
Esther Pausch, seit über 35 Jahren Krankenpflegerin und heute Pflegedienstleiterin am Klinikum Rechts der Isar in München, absolvierte neben ihrem Vollzeitjob und nach dem Bachelor auch den Masterstudiengang „Advanced Nursing Practice (ANP)“ an der Hochschule München und schloss ihr Studium 2019 ab. Den Studiengang gibt es erst seit 2017 und daher eröffnen sich nun neue Möglichkeiten für erfahrene Pflegefachkräfte, sich auch wissenschaftlich weiter auszubilden. Denn was sie im Studium gelernt hat, kann Esther Pausch sofort in ihrem Berufsalltag umsetzen.
"Auch, wenn der Aufwand für das Studium enorm hoch war, bin ich begeistert.
Ich habe extrem viel gelernt und vieles vertiefen können.
Vor allem die Verknüpfung von Wissenschaft und Praxis war für mich spannend und wichtig für die tägliche Arbeit"
Esther Pausch, B.A., M.Sc. ANP, Pflegebereichsleitung für Psychiatrie, Psychosomatik und Toxikologie, Klinik rechts der Isar, München
Esther Pausch musste in den letzten Jahren Studium und Job unter einen Hut bringen.
Lösungen mit den Patient*innen im Fokus
Durch das Studium haben sich ganz neue Karrierechancen und Tätigkeitsfelder für Esther Pausch ergeben. Sie hat jetzt die Pflegedienstleitung in der Psychiatrie am Klinikum Rechts der Isar in München inne und setzt sich dafür ein, dass Arbeitserfahrungen aus der Pflege-Praxis auch wissenschaftlich ausgewertet werden. Während sich die Medizin technisch und wissenschaftlich rasant weiterentwickelt hat, ist die Pflege - laut Pausch - unterwegs stehen geblieben. Sie möchte dazu beitragen, das zu ändern.
"Jeder Mensch hat ein Recht auf evidenzbasierte Medizin und die entsprechende Pflege. Es müssen dringend Lösungen gefunden werden, wie man den Anforderungen in Zukunft gerecht wird."
Esther Pausch, B.A., M.Sc. ANP, Pflegebereichsleitung für Psychiatrie, Psychosomatik und Toxikologie, Klinik rechts der Isar, München
Pflege auf Augenhöhe mit der Medizin
Gemeinsam mit den Praxisanleitern Johannes Stephan und ihrem ehemaligen Kommilitonen Matthias Prommersberger aus ihrem Masterstudiengang ANP initiierte Pausch im Klinikum Rechts der Isar inzwischen eine langfristige Fortbildung für alle psychiatrisch Pflegenden. Diese Fortbildung behandelt wöchentlich die aktuellen psychiatrischen Pflegethemen - konzipiert nach dem Vorbild der Fortbildungen für Ärzte. Dazu arbeitet sie daran ein psychiatrisches Pflegekonsil zu implementieren, um die Versorgung psychiatrischer Patienten auf den somatischen Stationen des Hauses zu verbessern. Die kontinuierliche berufliche Weiterbildung der Pflegefachkräfte stärkt sie in ihrem Arbeitsalltag.
"Das Pflegekonsil, das wir äquivalent zum Ärztekonsil konzipieren, stützt die inter- und intradisziplinäre Arbeit im Klinikum."
Esther Pausch, B.A., M.Sc. ANP, Pflegebereichsleitung für Psychiatrie, Psychosomatik und Toxikologie, Klinik rechts der Isar, München
"Was mir besonders am Herzen liegt: Man kommt in einer Klinik meist in ein Setting rein, wo es Akademisierung so noch nicht gibt und wo diese auch nicht die Chance hatte, sich zu profilieren. Mir ist sehr wichtig als akademisierte Pflegekraft zu sagen, dass ich Erfahrungswissen im Studium nicht lerne. Ja, ich habe studiert und habe einen Master of Science, aber ich habe meine Kompetenzen auf einer anderen Ebene als die „alten Hasen“ erworben, die ein ganz wichtiges Erfahrungswissen haben, das wir auch brauchen. Also sehe ich mich als Vermittler, den aktuellen Wissensstand aus der Forschung in die Praxis zu übermitteln. Wir brauchen die Akademisierung der Pflege, aber es geht nicht ohne das Erfahrungswissen der Pflegenden, die in Deutschland seit sehr sehr vielen Jahren pflegen und sehr gut pflegen. Es sollte sich keine akademisierte Pflegekraft besser oder höhergestellt fühlen als eine Pflegekraft, die seit Jahren sehr gut pflegt. Es kann nur ein Miteinander werden und kein Gegeneinander."
Matthias Prommersberger, B.Sc.,M.Sc.ANP, Praxisanleiter, Psychiatrie, Klinik rechts der Isar, München
"Die Praxis der Pflege gibt es schon sehr lange, aber parallel zur Medizin hat alles, was auf Wissenschaft beruht, in der Pflege nicht so den Fokus bekommen. Es werden viele Sachen gemacht, die aus Gewohnheit gemacht werden, oder weil es jemand gibt, der sagt, dass ergibt ja Sinn, dass wir das schon immer so machen. Und das wird von uns nun aus der Perspektive der Wissenschaft überprüft. Wir untersuchen, gibt es neue Theorien, neue Modelle, die aus der Pflegepraxis abzuleiten sind. Und das ist auch unser Auftrag, dass was wir sozusagen die Erfahrungen in wissenschaftliche Modelle umwandeln. So können wir das dann ans gesamte Team der Psychiatrie weitergeben."
Johannes Stephan B.Sc.N., Praxisanleiter, Psychiatrie Klinik rechts der Isar, München
Pflege in Prozessen denken
Inzwischen gibt Esther Pausch auch selbst als Lehrkraft Seminare an der Hochschule München. Ihre fachlichen Stärken und das wissenschaftliche Fundament, das sie sich im ANP-Studium aufbauen konnte, brachten Pausch auf Augenhöhe in den Gesprächen mit den Ärztinnen und Ärzten. Viele dieser Mediziner*innen waren über die Jahre bereits bei ihr im „Pflegepraktikum“, um selbst Einblick in die Pflege zu erhalten. Die Akademisierung der Pflege ist für Pausch ein dringend notwendiger Schritt:
"Empathie ist wichtig, aber man muss auch in Prozessen denken können. Für die Pflege reicht es nicht, nur nett zu sein."
Esther Pausch, B.A., M.Sc. ANP, Pflegebereichsleitung für Psychiatrie, Psychosomatik und Toxikologie, Klinik rechts der Isar, München
Aufwind für die Akademisierung der Pflege durch Corona Pandemie
Die Corona Pandemie wirkt sich auf alle Fälle positiv auf die Weiterentwicklung der Studiengänge im Bereich Pflege aus. Hier will die Regierung neue Anreize schaffen, damit sich mehr junge Menschen für diesen Beruf entscheiden. Denn durch ein Studium können sie mehr Kompetenz erwerben, mehr Verantwortung übernehmen und auch mehr Gehalt bekommen. Auch wird an der Bandbreite verschiedener Studiengänge gearbeitet und es ist zu erwarten, dass es in Zukunft noch mehr verschiedene Pflege-Studienangebote geben wird, dazu zählen z.B. Pflegewissenschaften, Pflegemanagement, Pflegepädagogik.
Das Thema Corona wird auch bei Esther Pausch weiterhin eine besondere Rolle einnehmen: Gemeinsam mit Prof. Dr. Christine Boldt, Professorin für Pflegewissenschaft an der Hochschule München, ist eine Teilstudie geplant, die Covid-19 in Bezug auf die Pflegediagnosen „soziale Isolation und Angst“ sowie „Furcht“ auf psychiatrischen Stationen untersucht. Damit hat Esther Pausch auch die Möglichkeit zur Promotion bis hin zu einer Habilitation.
"Es gibt viele Karrierechancen. Wir haben ja in der Pflege-Akademisierung auch eine Entwicklung. Wir hatten zu Beginn viele Pädagogische- und Managementstudiengänge und jetzt haben wir die neue Entwicklung hin zu erweiterter Pflegepraxis, wie z.B. den Master „Advanced Nursing Practice“. Beruflich haben die Studierenden insofern viel bessere Chancen, weil sie lernen zu lernen und damit in der Lage sind, sich auch beruflich weiter zu entwickeln. Es gibt verschiedene Karrierewege: in der Pädagogik, in der Wissenschaft bis hin zur Selbstständigkeit oder auch im Technikbereich „assisted living“, mit Robotik, digital gestützte Systeme, die zukünftig eingesetzt werden. Und nicht nur die Kliniken sind Arbeitgeber, z.B. auch Krankenkassen brauchen Sachverständige für Gutachten. Hier können sich viele berufliche Perspektiven eröffnen."
Prof. Dr. Astrid Herold-Majumdar, Fakultät für angewandte Sozialwissenschaften: Pflegewissenschaft, Hochschule München
Die Hochschule München bietet seit 2017 den konsekutiven Master-Studiengang „Advanced Nursing Practice“ (ANP) an. Geeignet ist er für Fachkräfte, die ihre evidenzbasierte Pflegepraxis vertiefen möchten. Ziel ist es, eine bessere Pflegequalität in einem selbst gewählten Bereich der Pflegepraxis „an und mit den Menschen“ zu verwirklichen.