Campus Doku Volksdroge Alkohol – warum dürfen wir uns zu Tode trinken?
Jährlich sterben über 70.000 Menschen in Deutschland durch Krankheiten, die maßgeblich durch Alkoholkonsum verursacht werden. Den Steuereinnahmen von etwa 3,3 Milliarden Euro durch den Verkauf von Alkohol stehen etwa 40 Milliarden Euro Kosten für die Allgemeinheit gegenüber, die sich durch die Behandlung von alkoholbedingten Krankheiten jährlich summieren. Warum hält sich der Staat bei der Reglementierung der Alkoholindustrie zurück?
Beim ersten Brauereien-Lauf in Oberfranken bei Bamberg trinken die Marathonläufer Bier statt isotonischer Getränke. Neben Bierführungen, Bierverkostungen und Bierkellern ist dieser Wettbewerb ein weiterer Mosaikstein, um durch das Traditionsgetränk Touristen anzulocken. Etwa ein Drittel aller Gäste kommen mittlerweile wegen des Bieres in die sogenannte „fränkische Toskana“. Und sie ist natürlich nicht die einzige Region in Deutschland, die mit alkoholischen Getränken für sich wirbt.
Eine Praxis, die angesichts der gesundheitlichen und gesamtgesellschaftlichen Folgen übermäßigen Alkoholkonsums durchaus hinterfragt werden kann. Anders als bei der Tabakwerbung gibt es für Alkoholwerbung in Deutschland kaum Einschränkungen.
Alkoholkonsum macht krank
Im Durchschnitt werden 135 Liter alkoholische Getränke von jedem Bundesbürger ab 15 Jahren in einem Jahr konsumiert. Mehr als die Hälfte davon ist Bier und das hat enorme Folgen auf unsere Gesundheit. Einen Zusammenhang von Alkohol und Krebserkrankungen hat Professor Helmut Seitz, Direktor des Alkoholforschungszentrums in Heidelberg, bereits vor 40 Jahren erkannt.
"Nach den neuesten Untersuchungen der WHO sind es 200 Erkrankungen, die durch Alkohol verursacht werden. Natürlich ist es der Gastrointestinaltrakt, also die Leber und die Bauchspeicheldrüse, die unter Alkohol massiv leiden. Und vor allem auch Krebsarten: Alkohol führt zu Krebs in der Mundhöhle, im Kehlkopf, in der Speiseröhre, im Dickdarm. Und es gibt Stoffwechselerkrankungen, auch Herz-Kreislauferkrankungen. Alle Welt sagt, Alkohol ist gesund für das Herz. Aber Alkohol schädigt die Herzmuskulatur, führt zu Herzrhythmusstörungen, Vorhofflimmern und Alkohol führt zu Bluthochdruck."
Prof. Helmut Seitz, Uni Heidelberg
Was unternimmt der Staat gegen die Volksdroge Alkohol?
Die Alkoholindustrie macht weiterhin Gewinne, trotz zahlreicher Studien, die den Konsum von Alkohol als Suchtmittel mit extremen Folgeerkrankungen belegen.
"In Deutschland sind ungefähr 10 Prozent der Konsumenten die, die riskant trinken, die abhängig trinken. Diese Menschen, die 10 Prozent, trinken 50 Prozent der Menge. Das heißt also: Die Industrie sagt immer: Wir wollen ja immer nur unsere Getränke an die Menschen verkaufen, die vernünftig damit umgehen können. Wenn sie das tun würden, wäre das eine Umsatzeinbuße von 50 Prozent."
Rolf Hüllinghorst, ehemaliger Geschäftsführer Deutsche Hauptstelle für Suchtfragen
Einer der prominentesten Kritiker der deutschen Alkoholpolitik, Rolf Hüllinghorst, sieht die Hauptgründe, warum der Staat so wenig gegen die Volksdroge Alkohol unternimmt darin, dass sich das Gesundheitsministerium nicht gegen das Wirtschaftsministerium durchsetzen könne. Im Arbeitskreis "Alkoholkonsum reduzieren" haben sich Politiker mit Wissenschaftlern und Vertretern der Alkoholindustrie 2015 zusammengesetzt, um ein Maßnahmenpaket zu schnüren. Einigen konnte man sich auf besser koordinierte Hilfen für Alkoholkranke und auf mehr Prävention, nicht aber auf Maßnahmen wie ein Alkoholverkaufsverbot nach 22 Uhr an öffentlichen Tankstellen oder eine niedrigere Promillegrenze im Autoverkehr. Der Arbeitskreis existiert offiziell immer noch, tagt aber inzwischen nicht mehr. Dr. Reiner Hanewinkel, ein ehemaliger Teilnehmer, hat den Arbeitskreis inzwischen verlassen, da für ihn wissenschaftliche Erkenntnisse von der Politik nicht aufgenommen würden.
"Alkohol ist verdammt billig. Wenn Sie in einen Discounter gehen und mal schauen, was so eine Palette Bier kostet oder eine Flasche Korn, also Hochprozentiges: Das kriegen Sie unter 5 Euro. Tankstellen verkaufen Alkohol. Das muss man sich mal vorstellen: Wir fahren Auto, möchten doch, dass wir ganz klar sind beim Autofahren und dass niemand benebelt ist. Klar, die Unfallgefahr geht hoch und dann bietet die Tankstelle eine Menge Alkoholika an und das häufig 24 Stunden."
Dr. Reiner Hanewinkel, Leiter Institut für Therapie- und Gesundheitsforschung, Kiel
Autofahren unter Alkoholeinfluss - ein Selbsttest
Beim Fahrertraining unter Aufsicht der Polizei können junge Menschen testen, wie ihre Reaktionsfähigkeit nach zwei Gläsern Wein oder Bier beeinträchtigt wird - Erfahrungen, die ihre Wirkung zeigen. Der Gesetzgeber erlaubt Autofahren bis 0,5 Promille. Fahranfänger dürfen hingegen bis 21 Jahren gar keinen Alkohol getrunken haben, wenn sie Auto fahren.
Verbote allein werden den Konsum der Volksdroge Alkohol sicherlich nicht aufhalten. Doch könnten mehr Prävention und eine Einschränkung der Verfügbarkeit sowie eine andere Preisgestaltung den Alkoholkonsum gerade bei jungen Menschen sicherlich reduzieren.