Campus Doku Erst tüchtig, dann süchtig - Die Droge Arbeit
Sie sind die Leistungsträger der Gesellschaft und das, was Arbeitgeber sich von ihren Mitarbeitern erhoffen: engagiert, flexibel, immer bereit und erreichbar. Sie leben, um zu arbeiten. Was treibt Menschen dazu, bis zum Zusammenbruch zu arbeiten?
Wird aus der Arbeit pausenloser und von der Sehnsucht nach Anerkennung und Erfolg getriebene Dauerarbeit, hat das katastrophale Folgen für den Einzelnen und die Gesellschaft als Ganzes. 300.000 bis 400.000 Menschen in Deutschland leiden laut Studien des Arbeitssucht-Forschers Stefan Poppelreuter an dieser Sucht.
Campus DOKU beleuchtet das "Phänomen Arbeitssucht" aus verschiedenen Perspektiven und anhand von Menschen, die davon betroffen sind: Welche Faktoren sind es, die sie in die Arbeitssucht und schließlich in den Zusammenbruch trieben? Warum leiden immer mehr Menschen unter "Arbeitssucht"? Welche Ursachen dafür lassen sich finden und welche Therapien helfen Betroffenen, wenn sie einmal ihre Arbeitssucht erkannt haben? Und was getan werden, um die "Arbeitsgesellschaft" gesünder zu machen, damit es erst gar nicht zur Arbeitssucht kommt?
Wann wird Arbeit zur Sucht?
Fest steht: Arbeitssucht ist eine echte Sucht, bei der sich Prozesse im Gehirn verändern. Bei Süchtigen gewöhnt sich das Gehirn sozusagen an den Botenstoff Dopamin, der für Glücksgefühle verantwortlich ist. Und dann setzt ein fataler Prozess ein: Das sogenannte Belohnungssystem im Gehirn braucht immer mehr von dem künstlichen Glücksgefühl - bei der Arbeitssucht heißt das: Betroffene arbeiten immer länger und verbissener. Die Sucht deckt einen Wahrnehmungsschleier über die eigenen Gefühle und Bedürfnisse wie Essen oder Trinken.
Psychologen gehen davon aus, dass Menschen arbeitssüchtig werden, weil die psychosozialen Beziehungen in ihrer Kindheit sie "falsch" geprägt haben: Kinder, die immer funktionieren müssen, die nur über ihre Leistungen anerkannt werden, lernen früh, dass Leistung zu Anerkennung führt und definieren sich darüber. Später, im Beruf, suchen sie die Anerkennung über Dauereinsatz, Vielarbeit und Perfektionismus. Aus hohem Arbeitseinsatz kann dann Sucht entstehen. Man erkennt sie daran, dass der Mensch nicht mehr ohne seine "Droge", die Arbeit, leben kann, dass er immer mehr davon braucht, dass sie vollständig seine Gedanken und das Sein bestimmt und er davon richtig abhängig wird.
Die Sucht nach Arbeit hat katastrophale Folgen für den Einzelnen und die Gesellschaft als Ganzes: Mediziner rechnen damit, dass aufgrund ihrer "Arbeitssucht" ca. 20 bis 30 Prozent aller Berufstätigen in Zukunft mindestens einmal am Burn-Out-Syndrom erkranken. Eine klare Benennung dieser Sucht fällt oft schwer, bislang ist sie vielerorts nicht als Krankheit anerkannt. Sie wird auch als die "stille Sucht" bezeichnet, denn sie wird oft nur auf den zweiten Blick erkannt, meist erst, wenn derjenige bereits körperlich und seelisch zusammengebrochen ist. "Burnout" - das ist dann meistens die Diagnose, unter der sich Arbeitssucht verbirgt.
Arbeitssucht - Krankheit ohne Ausweg?
Die Zahl der Burnout Fälle hat in den letzten zehn Jahren nach einer Studie der AOK-Bayern unter ihren Versicherten um 80 Prozent zugenommen. Alarmierende Zahlen, nun geht es darum, dass Unternehmen auch bei ihrer Arbeitskultur umdenken. Denn bisher sind viele Arbeitnehmer rund um die Uhr erreichbar und es werden diejenigen gelobt, die bis nachts im Büro bleiben und nicht diejenigen, die nach Hause zu ihrer Familie gehen. Unternehmen müssen daher Strukturen schaffen, in denen Arbeit nicht auch noch nach Feierabend und im Urlaub erledigt werden muss und sie sollten ganz individuell die Belastungsgrenzen ihrer Mitarbeiter im Auge haben und Maßnahmen ergreifen, wenn ihnen Überarbeitung droht.
Die betroffenen Arbeitnehmer wiederum müssen ihre zwanghafte Haltung zu Leistung und Arbeit aufgeben und lernen, ihr Selbstvertrauen nicht auf eine vermeintliche und stetig höhere Arbeitsleistung zu gründen. Perfektionismus in der Arbeit als einziger Lebenssinn führt zu sozialer Isolation und kann krank machen: schwere Depressionen, Angstzustände und Herz-Kreislauf-Störungen sind oft die Folge. In der Endphase der Erkrankung kommt es zu einem massiven Knick in der Leistungsfähigkeit. Workaholics gehen oft schon Mitte 50 in Rente oder sterben sehr früh. Tatsächlich kann man an Überarbeitung sterben. Meist ist die direkte Todesursache als Folge der Überarbeitung Herzversagen, Herzinfarkt oder Schlaganfall.
Der Teufelskreis "erst tüchtig, dann süchtig" kann erst dann wirklich durchbrochen werden, wenn die Arbeitssucht als solche klar erkannt und die Betroffenen therapiert werden. Und wenn die Gesellschaft die Arbeitssucht nicht mehr indirekt durch das Paradigma fördert, dass Leistung und Erfolg Voraussetzungen für soziale Anerkennung sind und in der globalisierten Arbeitswelt der einzelne Mensch nicht mehr nur als Leistungsträger, sondern wieder mehr als Individuum - mit Stärken und Schwächen - wahrgenommen wird.