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Nach Suizid Al-Bakrs in der JVA Leipzig Merkel fordert umfassende Aufklärung

Nach dem Suizid des Terrorverdächtigen Dschaber al-Bakr in einem Leipziger Gefängnis werden zunehmend Forderungen nach einem Untersuchungsausschuss laut. Auch Bundeskanzlerin Angela Merkel fordert eine umfassende Aufklärung. Sachsens Ministerpräsident Tillich räumt derweil ein: In der JVA wurden Fehler gemacht.

Von: Silke Henning

Stand: 14.10.2016 |Bildnachweis

Justizvollzugsanstalt Leipzig | Bild: picture-alliance/dpa

Einer der wichtigsten Gefangenen Deutschlands erhängt sich in seiner Zelle. Die sächsische Justiz erklärt, bei der Überwachung sei alles nach Vorschrift gelaufen. Doch immer mehr Stimmen werden laut, die einen Untersuchungsausschuss fordern.

Gründliche Untersuchung gefordert

Neben der Vorsitzenden des Bundestags-Rechtsausschusses Renate Künast und Bundesinnenminister Thomas de Maizière hat nun auch Bundeskanzlerin Angela Merkel eine umfassende Aufklärung verlangt. Wenn es zu solch einem Fall komme, sei etwas schief gelaufen, seien Warnzeichen nicht frühzeitig erkannt und Fehleinschätzungen vorgenommen worden, so Regierungssprecher Steffen Seibert am Freitag in Berlin. Der Fall müsse deshalb gründlich untersucht werden.

Kein Alleingang der Sachsen

Grünen-Politikerin Renate Künast sagte der "Berliner Zeitung", es gehe nicht, dass das die Landesregierung und die sächsische Justiz allein bestimmen. Aus ihrer Sicht gebe es nur zwei Möglichkeiten, um dies zu gewährleisten: "Entweder man setzt eine unabhängige Untersuchungskommission ein - oder gleich einen Untersuchungsausschuss." Dass sich der Syrer in der Leipziger Justizvollzugsanstalt das Leben nehmen konnte, nannte Künast "ungeheuerlich". Denn dass ein potenzieller Selbstmordattentäter zum Suizid bereit ist, liege auf der Hand. Außerdem habe die Justiz eine Fürsorgepflicht.

Tillich räumt Fehler ein

Unterstützung zu diesen Plänen kommt auch von Sachsens Ministerpräsidnet Stanislaw Tillich: Auch er will die Vorfälle in Leipzig aufklären lassen. In der JVA Leipzig sei man mit dem Terrorverdächtigen Al-Bakr nicht so umgegangen wie es nötig gewesen wäre.

"Deswegen werden wir die Vorbereitungen auf Häftlinge mit einem solchen Täterprofil verbessern müssen;  zum zweiten werden wir auch die Bedingungen bei der Einstufung und Einordnung eines solchen Täters in den sächsischen Justizvollzugsanstalten verbessern müssen."

Stanislaw Tillich, Ministerpräsident Sachsen

Personelle Konsequenzen aus dem Suizid des Terrorverdächtigen zieht Ministerpräsident Tillich nicht. Passend dazu argumentiert sein Justizminister Gemkow, ebenfalls von der CDU: Würde er zurücktreten, würde er sich aus der Verantwortung stehlen. Nach wie vor sagt Gemkow: Die Bediensteten in der JVA Leipzig hätten gemäß der Vorschriften gehandelt. Heute allerdings würde man einiges anders machen. Politiker der SPD und aus der Opposition sehen das anders.

Parteiübergreifende Kritik

Linken-Chefin Katja Kipping wirft den sächsischen Behörden völliges Versagen vor. Es handele sich um ein totales Fiasko der Staatsregierung, sagte die Dresdner Politikerin der Deutschen Presse-Agentur in Berlin. Kipping verlangte, Gemkow müsse zurücktreten. "Der Justizminister wiegelt ab und flüchtet sich in absurdeste Erklärungsversuche, anstatt einfach mal die Verantwortung zu übernehmen - und zu gehen", sagte Kipping der dpa. Der Selbstmord verhindere die so wichtige Aufklärung über die möglichen Hintermänner des vermeintlichen Attentäters und seine Pläne und Ziele.

"Die CDU-Sachsen redet immer von Recht und Ordnung, ist aber in Wahrheit ein Sicherheitsrisiko für das ganze Land."

Katja Kipping, Parteivorsitzende Die Linke

Unzureichende Überwachung

Auch der CDU-Politiker Wolfgang Bosbach kritisierte das Vorgehen der Justizbehörden. "Es gab offenbar Fehleinschätzungen", sagte der Innenexperte der "Passauer Neuen Presse". "Angesichts der Bedeutung des Tatvorwurfs und der gesamten Umstände wäre eine lückenlose Überwachung des Häftlings nicht unverhältnismäßig gewesen", sagte Bosbach. "Und wenn Videoüberwachung und anderweitige Unterbringung nicht möglich oder nicht zulässig sind, dann eben durch eine permanente Sitzwache."

Doch der Mann sei in Haft einfach wie ein Kleinkrimineller behandelt worden, kritisierte selbst Sachsens Vize-Ministerpräsident Martin Dulig (SPD). Er sieht bei der Justiz des Landes eine Mitschuld für die Selbsttötung des Terrorverdächtigen Dschaber al-Bakr.

"Es ist offensichtlich zu einer Reihe von Fehleinschätzungen sowohl über die Bedeutung, als auch den Zustand des Gefangenen gekommen"

Sachsens Vize-Ministerpräsident Martin Dulig, SPD.

Ausführliches Gespräch mit Psychologin

Die Selbsttötung des Terrorverdächtigen hätte nicht geschehen dürfen, räumte der sächsische Justizminister Sebastian Gemkow (CDU) auf einer Pressekonferenz ein. Al-Bakr habe sich mit seinem T-Shirt am Vorgitter seines Haftraums in einem Leipziger Gefängnis stranguliert.

Nach der Einlieferung Al-Bakrs in das Gefängnis sei ein Gespräch geführt worden, um seinen Zustand zu beurteilen, auch eine erfahrene Psychologin sei involviert gewesen. Alle Experten hätten keine akute Selbstmordgefahr festgestellt.

"Er war ruhig und ausgeglichen"

Bei seiner Einweisung ins Gefängnis sei Al-Bakr ruhig und ausgelichen gewesen, erklärte JVA-Chef Rolf Jacob. Für den Folgetag sei ein Gespräch mit einer Psychologin und einem Dolmetscher vorgesehen gewesen.

Rolf Jacob, Anstaltsleiter der JVA Leipzig

Al-Bakr sei in seiner Gefängniszelle zunächst alle 15 Minuten kontrolliert worden. Am Mittwochnachmittag sei eine Runde von Experten und Psychologen zu dem Ergebnis gekommen, dass man den Zeitabstand auf 30 Minuten ausdehnen könne. Jacob erläuterte weiter, Al-Bakr habe am Dienstag eine abgerissene Deckenlampe in seiner Zelle gemeldet. "Man hat das als Vandalismus eingestuft." Im Sinne einer Suizidgefährdung sei das nicht gedeutet worden. Später sei bemerkt worden, dass auch eine Steckdose manipuliert gewesen sei. Die letzte reguläre Kontrolle habe 19.30 Uhr stattgefunden. Um 19.45 Uhr sei er von einer Auszubildenen stranguliert gefunden worden. Die Reanimation blieb erfolglos.

"Alle Vorschriften wurden eingehalten"

Um einen Suizid innerhalb einer so kurzen Überwachungslücke zu bewerkstelligen, müsse man sich intensiv mit einer Selbsttötung befassen, erklärte der JVA-Chef. Personalmangel habe im Fall Al-Bakr keine Rolle gespielt. Alle Vorschriften seien eingehalten worden, doch im Nachhinein weiß man, man war zu gutgläubig und habe sich zu sehr auf den äußeren Eindruck verlassen.

Der zweite Verdächtige befindet sich in der JVA Dresden. Er werde jetzt wegen möglicher Suizidgefahr in seiner Zelle durch eine Sitzwache dauerhaft kontrolliert, erklärte das Justizministerium.

Anwalt: Suizidgefahr war offensichtlich

Al-Bakrs Pflichtverteidiger, Alexander Hübner, sprach von einem Skandal. Den Verantwortlichen der Justizvollzugsanstalt sei das Suizidrisiko des Beschuldigten bekannt gewesen. Es sei auch im Protokoll vermerkt worden.

"Ich bin wahnsinnig schockiert und absolut fassungslos, dass so etwas passieren kann."

Rechtsanwalt Alexander Hübner gegenüber Focus

Noch am Mittwochnachmittag habe ihm der stellvertretende JVA-Leiter telefonisch versichert, dass der in Einzelhaft sitzende Al-Bakr "ständig beobachtet" werde. Sein Mandant befand sich seit seiner Festnahme im Hungerstreik. Er habe seit Sonntag nichts gegessen und getrunken.

Fassungslosigkeit über Pannen-Serie

Viele Politiker reagierten bestürzt. Bundesinnenminister de Maiziere sagte, der Suizid erschwere die Ermittlungen nach Hintermännern und sonstigen Beteiligten an den mutmaßlichen Anschlagsplanungen, eine Schlappe im Anti-Terror-Kampf.

"Das, was da gestern Nacht passiert ist, verlangt nun wirklich nach schneller und umfassender Aufklärung der örtlichen Justizbehörden."

Bundesinnenminister Thomas de Maizière im ZDF

SPD-Fraktionschef Thomas Oppermann spricht von einer beispiellosen Aneinanderreihung von Polizei- und Justizversagen. Es fehle in Sachsen offensichtlich jede Voraussetzung für eine professionelle Terrorbekämpfung.

Die rechtspolitische Sprecherin der Grünen im sächsischen Landtag, Katja Meier fordert den Rücktritt des sächsischen Justizministers Sebastian Gemkow. Die Grünen beantragten eine Sondersitzung des Innenausschusses des Bundestags. Von den ersten geheimdienstlichen Informationen zu Anschlagsplanungen bis zum Tod Al-Bakrs in der JVA Leipzig sei der gesamte Fall von Ungereimtheiten und Fragen geprägt. Der Ausschuss soll sich am Montagvormittag mit dem Fall befassen.

Eine Pannenserie

Misslungene Festnahme

Die Festnahme des 22-Jährigen am vergangenen Samstag scheiterte. Der Zugriff des SEK in dem nicht geräumten Plattenbau im Chemnitzer Fritz-Heckert-Viertel wurde abgebrochen. Es war nicht klar, in welcher Wohnung er sich aufhielt. Später war das SEK nicht nah genug dran, um Al-Bakr zweifelsfrei zu identifizieren. Ein Mann verließ das Haus noch während der Umstellung des SEK und flüchtete trotz Warnschusses. Ein gezielter Schuss war laut LKA zu riskant, da Unbeteiligte in der Nähe waren.

U-Haft wegen Terrorverdacht

Fahndungsbild der Polizei Sachsen | Bild: Polizei Sachsen/dpa

Der Terrorverdächtige Dschaber Al-Bakr: Mit diesen Fotos fahndete die Polizei nach ihm.

Al-Bakr hatte unter Terrorverdacht in Untersuchungshaft gesessen. Nach Hinweisen des Verfassungsschutzes waren in seiner Chemnitzer Wohnung anderthalb Kilogramm hochexplosiven Sprengstoffs gefunden worden. In der Nacht zum Montag wurde er von der Polizei festgenommen, nachdem ihn Syrer in einer Leipziger Wohnung festgehalten und der Polizei übergeben hatten. Er soll Anschläge auf Züge beziehungsweise Flughäfen geplant haben.

Einreise als Flüchtling

Al-Bakr war Anfang 2015 als Flüchtling nach Deutschland gekommen. Nach Recherchen des MDR war er zwischenzeitlich wieder in Syrien. Dem MDR zufolge reiste al-Bakr im Herbst vergangenen Jahres zwei Mal in die Türkei und hielt sich auch einige Zeit in der syrischen Stadt Idlib auf. Mitbewohner aus dem nordsächsischen Eilenburg hätten ebenfalls von seinem Aufenthalt in Idlib berichtet. Sie hätten den 22-Jährigen aber nicht als besonders religiös beschreiben. Nach seiner Rückkehr soll er sich jedoch verändert haben.

Der Fall Al-Bakr - eine Chronik

2015

12. Februar 2015 - Der Syrer reist nach Deutschland ein, wird in München registriert und zur Erstaufnahme in Chemnitz weitergeleitet.

10. März - Al-Bakr zieht nach Eilenburg in Nordsachsen.

9. Juni - Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge gibt dem direkt am 19. Februar gestellten Asylantrag von al-Bakr statt. Der Syrer erhält einen auf drei Jahre befristeten Aufenthaltstitel.







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thorie, Donnerstag, 13.Oktober 2016, 11:39 Uhr

31. wenn ein patient im

krankenhaus nur 2x am tag durch ne fachkraft "besucht" wird, regt sich keiner auf.
wenn der syrische terrorist 15 min aus dem auge verloren wird, is es eine katastrophe.....
gehts noch?

  • Antwort von oxnfiesl, Donnerstag, 13.Oktober, 11:48 Uhr anzeigen

  • Antwort von Isjagut, Donnerstag, 13.Oktober, 11:57 Uhr anzeigen

  • Antwort von Leo Bronstein, Donnerstag, 13.Oktober, 13:12 Uhr anzeigen

  • Antwort von Truderinger, Donnerstag, 13.Oktober, 13:38 Uhr anzeigen

Shitter, Donnerstag, 13.Oktober 2016, 11:35 Uhr

30. Shit happens

Dümmer als die Polizei erlaubt? Billige Kopie eines TV Tatortes? - Nein, alles total echt.
Trotzdem bin ich nicht sonderlich traurig darüber.

Ein Grünen-Notz sollte sich mal an die Nase fassen und überlegen, was die Alternative wäre. Gefangene per Video überwachen? Gefangene fixieren? - Na, da hätte ich den Aufschrei der Unmenschlichkeit hören wollen. Dieser Unmensch hatte alles versucht, um in Deutschland viel Leid und Terror zu verbreiten. Dies wurde wirksam verhindert. Wie im Einzelnen ist jetzt egal. Dass der geistig fehlgeleitete Irre sich nun selbst getötet hat ist für mich konsequent. Die, sorry, allseits beste Lösung, denn mit dieser unmenschlichen Lebenshaltung andere zu vernichten habe ich kein Verständnis für dessen Existenz.
Schade nur, daß Hintergründe nicht weiter erhellt werden können. Aber vielleicht wäre das sowieso nicht gelungen.

Die drei anderen Syrer sind Helden!

  • Antwort von oxnfiesl, Donnerstag, 13.Oktober, 11:52 Uhr anzeigen

  • Antwort von nicht nachvollziehbar, Donnerstag, 13.Oktober, 12:42 Uhr anzeigen

  • Antwort von Shitter, Donnerstag, 13.Oktober, 13:49 Uhr anzeigen

ec, Donnerstag, 13.Oktober 2016, 11:29 Uhr

29. Justizskandal?

Woher nehmen all die Wichtigtuer ihre Kenntnisse über die tatsächlichen Vorgänge und Fakten?

Conny, Donnerstag, 13.Oktober 2016, 11:28 Uhr

28. Selbstmord in Leibzig

Ich verstehe nicht warum sich die Politiker so aufregen .Es konnte nicht verhindert werden das der Gefangene sich umbringt ,wenn jemand so was machen will
dann macht er es auch . warum hat sich kein Politiker zu Ihm in die Zelle gelegt und auf Ihn aufgepasst. Jetzt haben Sie alle eine grosse Klappe. Die Politiker sollen sich um andere Ding kümmern

thorie, Donnerstag, 13.Oktober 2016, 11:19 Uhr

27. totalversagen

...aller politiker, die heute vorwürfe erheben.
warum saß keiner dieser besserwisser neben dem auf der gefängnispritsche?
die wussten doch alles (besser) ?!
wie hätten diese politiker reagiert, wenn der sofort in die psychiatrie mit zwangsjacke verfrachtet worden wäre?
hätten die da auch das haar in der suppe gefunden.
und !! heutige überschriften wie " was ist denn in sachsen los..." sind sowas von daneben.die frage ist doch: was ist in deutschland los?---aber das will keiner hören.

  • Antwort von PeterZä, Donnerstag, 13.Oktober, 11:36 Uhr anzeigen

  • Antwort von Kommendadoren, Donnerstag, 13.Oktober, 11:52 Uhr anzeigen