Terrorgefahr Flüchtlinge und die Rekrutierer des IS
Hassprediger, radikalisierte Flüchtlinge, Angst vor Anschlägen, Salafisten fordern Verfassungsschutz und Polizei heraus - und sie suchen Kontakt zu Flüchtlingen. Eine unübersichtliche Lage. BR24 hat recherchiert.
BR24 recherchiert im Umfeld einer salafistischen Moschee in Bayern. Wir treffen einen Sicherheitsexperten, der die Moschee kennt und anonym bleiben will. Denn das Thema, über das er spricht, ist sensibel. Er fürchtet, angefeindet zu werden. Es geht um Flüchtlinge.
Der Mann berichtet von einer kleinen Zahl von Flüchtlingen, Afghanen sowie eine kleine Gruppe aus Somalia, die die Moschee regelmäßig besuchen. "Die sind schon längst fest etabliert in der Szene", sagt der Sicherheitsexperte. Sie hätten von Anfang an die Moschee bewusst aufgesucht, fühlten sich auch als Salafisten.
Auf Hinweise angewiesen
Schon seit Monaten warnt der Verfassungsschutz im Freistaat, dass Salafisten versuchen, sich an Flüchtlinge heranzumachen. Im Zeitraum September 2015 bis Juli 2016 seien rund 100 Hinweise auf mutmaßliche Kontaktaufnahmen von Islamisten zu Flüchtlingen in Bayern eingegangen. Rund ein Drittel davon hatte einen salafistischen Hintergrund.
Bisher wurde immer davon gesprochen, Salafisten seien nicht erfolgreich. Nun wird aber deutlich: Flüchtlinge suchen durchaus den Kontakt oder werden in die Szene hineingezogen.
"Es gibt einzelne Hinweise, dass sich Flüchtlinge in der in Bayern bekannten salafistischen Szene bewegen. Darüber hinaus findet außerhalb der realweltlichen Szenestrukturen eine Radikalisierung über das Internet statt. Zahlen hierzu können nicht genannt werden."
Bayerischer Verfassungsschutz
Radikale Flüchtlinge - dafür interessieren sich Verfassungsschutz und Polizei. Erst recht nach den Anschlägen von Ansbach und Würzburg sind die Sicherheitsbehörden noch wachsamer. Damit sie von möglichen "Gefährdern" erfahren, sind die Behörden auf die Bevölkerung angewiesen: auf Hinweise von Ehrenamtlichen und Fachpersonal, von Leuten, die nah dran sind an den Flüchtlingen. Und natürlich können Flüchtlinge selbst Informationen liefern.
Denn auch für die Sicherheitsbehörden ist es unmöglich, alles im Blick zu haben, was in einem Menschen vorgeht. Aber wird ihnen immer alles zugetragen? Zweifel gibt es. Attentäter können sich harmlos geben und verstellen. Andere Flüchtlinge haben vielleicht Angst, sich bei der Polizei zu melden. "Unter den Flüchtlingen gibt es natürlich auch viele, die in ihren Heimatländern negative Erfahrungen mit staatlichen Stellen gemacht haben. Das kann dazu führen, dass sie sich auch hier nicht an Behörden wenden, wenn sie wichtige Wahrnehmungen gemacht haben", sagt der bayerische Verfassungsschutz.
Polizei überfordert?
Die Lage wirkt unübersichtlich. Wie gefährlich ist die Salafisten-Szene? Ausgerechnet Flüchtlinge waren es, die in Ansbach und Würzburg Anschläge verübten. Hundertausende sind unregistriert ins Land gekommen. Aber es wäre ungerecht und unsinnig, jeden Flüchtling zu verdächtigen. Gerade die Salafisten-Szene ist viel bunter. Es finden sich darin viele, die in Deutschland aufgewachsen sind. Auch sie sind gefährlich. Erst im April sollen solche Jugendliche einen Anschlag auf einen Sikh-Tempel in Essen verübt haben. Das Bundeskriminalamt geht inzwischen von 500 islamistischen Gefährdern aus – eine unglaubliche Zahl, findet die Deutsche Polizeigewerkschaft.
Polizei und Verfassungsschutz seien mit gewaltbereiten Gruppierungen in Deutschland konfrontiert. Gleichzeitig müsse man die Herausforderungen des "täglichen Dienstes" bewältigen, sagt die Gewerkschaft. Das Ergebnis sind Millionen von Überstunden, hohe Arbeitsverdichtung und Dauereinsätze vieler Einheiten.
Konkret nennt die Polizeigewerkschaft auf BR-Anfrage auch Hassprediger als Problem. Diese müssten schärfer ins Visier genommen werden. Bisher können viele dieser Prediger frei agieren.
Der Prediger Abul Baraa
Der Berliner Prediger Abul Baraa ist ein gutes Beispiel. Immer wieder kommt er nach Bayern, hält Vorträge in salafistischen Moscheen. Erst letzte Woche war er wieder auf Tour, etwa in der Münchner Al-Salam Moschee im Stadttteil Mittersendling sowie in Schwandorf in der Oberpfalz. Es gibt viele, die seine Youtube-Vorträge auf Facebook teilen. Abul Baraas Themen klingen nach Gehirnwäsche. So bezeichnet der Prediger die Sonnenfinsternis als schwere Drohung von Allah. Oder er erklärt, warum man keine Instrumentalmusik hören sollte.
Baraa lehnt die Terrormiliz IS zwar ab. Allerdings gibt es auch andere dschihadistische Gruppen in Syrien, etwa die frühere Al-Nusra-Front, neuerdings "Dschabhat Fatah Scham", also "Eroberungsfront der Levante". Den Kampf jener Gruppierung hat Baraa in der Vergangenheit als gesegnet bezeichnet.
Der Prediger aus Hildesheim
Im Hintergrund agiert auch der in Salafistenkreisen deutschlandweit bekannte Hildesheimer Prediger Abu Walaa, der selten sein Gesicht zeigt. Walaa gilt als IS-Anhänger. Es ist längst ein offenes Geheimnis, dass er auch verdächtigt wird, Kämpfer für Syrien und den Irak zu rekrutieren. Bisher wirkte Abu Walaa in der Moschee des "Deutschsprachigen Islamkreises Hildesheim". In dieser Woche wurde in der Moschee eine Razzia durchgeführt. Niedersachsens Innenministerium kündigte ein Verbot des Vereins an. Denn 19 der 74 bislang ins Kampfgebiet des sogenannten Islamischen Staats ausgereisten Menschen aus Niedersachsen sollen dort radikalisiert worden sein.
Es gibt allerdings die Befürchtung, dass die Salafisten um Abu Walaa Beweismaterial haben verschwinden lassen. Vorab wurde über die bevorstehende Razzia in einer Zeitung berichtet.
"Kreuzritter" Pierre Vogel
Die Szene wirkt nach der Razzia zwar geschockt. Dennoch können die Salafisten weiter ungehindert ihre Propaganda verbreiten. In einem Messengerdienst werden Bilder und Videos von der durchwühlten Hildesheimer Moschee präsentiert. Entsprechende Chat-Protokolle liegen dem BR vor. In einem Chat wird der salafistische Prediger und IS-Gegner Pierre Vogel indirekt für die Razzia verantwortlich gemacht. Vogel hatte im Vorfeld Abu Walaa mit der Terrormiliz in Verbindung gebracht. Entsprechende Wünsche schicken die "Feinde" jetzt an den Glaubensbruder:
"Möge Allah diesen dreckigen Kreuzritter Pierre Vogel töten."
Mitteilung in einem Chat
Klingt ganz nach IS. Denn Pierre Vogel steht auch auf der Tötungsliste der Terrormiliz.
Potentielle Terroristen: Über die Balkanroute nach Deutschland
Wer zur Tötung von Mitmenschen aufruft, der scheint gedanklich nicht all zu weit entfernt vor Anschlägen zu sein. Es gibt ganz offensichtlich kaum ein Mittel, derartige Propaganda im Netz zu stoppen. Sind die Gesetze zu lasch? Kann der Staat seine Bürger schützen? Der islamistische Terror sei in Deutschland angekommen, sagt Bayerns Ministerpräsident Horst Seehofer - sicherlich auch mit Blick auf die Anschläge von Würzburg und Ansbach. Die Attentäter waren unbestritten Flüchtlinge. Und sie sind längst kein Einzelfall.
Laut Bundesinnenministerium sind bei den Strafverfolgungsbehörden von Bund und Ländern aktuell 53 Ermittlungsverfahren anhängig. Im Februar wurde in Brandenburg ein Mann verhaftet, dem Bezüge zum IS nachgesagt werden. Anfang Juni wurden mehrere Syrer gefasst. Die mutmaßlichen IS-Anhänger waren offenbar über die Balkanroute nach Deutschland gereist und wollten in der Düsseldorfer Innenstadt wohl ein Blutbad anrichten. In Bamberg wurden zwei Männer verhaftet, gegen die jetzt der Generalbundesanwalt ermittelt. Sie sollen in Syrien für eine islamistische Gruppe gekämpft haben. Weitere Fälle werden aus Österreich gemeldet.
Mögliche Gegenmaßnahmen und Grenzen
All diese Fälle sind eine Herausforderung für Verfassungsschutz, Polizei und auch für die Politik. Der Freistaat reagiert mit einem neuen Sicherheitskonzept. In den nächsten vier Jahren will die Staatsregierung jedes Jahr 500 neue Polizisten einstellen.
Zudem soll die Ausrüstung der Polizei weiter verbessert werden. Eine neue Dienstwaffe war ohnehin geplant, dazu kommen mehr Schutzwesten, ballistische Helme, gepanzerte Fahrzeuge. Auch die Zentralstelle zur Bekämpfung von Cyberkriminalität in Bamberg soll personell verstärkt werden, damit sie besser gegen den Handel mit Waffen und Drogen im Internet vorgehen kann. Angesichts der Anschläge in Bayern scheinen diese Maßnahmen nicht übertrieben. Es braucht aber auch Ideen, wie man im Internet und vor Ort in den Moscheen die Salafisten ideologisch bekämpfen kann. Diese Aufgabe dürfte Jahre dauern, ist aber dringend notwendig.
Verfassungsschutz bittet um Hinweise aus der Bevölkerung:
Das sagt der Verfassungsschutz: "Um auf Radikalisierungsprozesse von Einzelpersonen aufmerksam werden zu können, brauchen wir einen sogenannten Anfasser. Das können Kontakte in die von uns beobachtete salafistische Szene sein. Das können insbesondere aber auch Hinweise sein, die wir aus der Bevölkerung heraus bekommen. Solche Hinweise sind sehr wichtig für unsere Arbeit. Sie können aus dem familiären Umfeld kommen, aus der Schule, aus Moscheen, oder - bei Flüchtlingsunterkünften - von den Flüchtlingen selbst oder von den Mitarbeitern in den Unterkünften. Mit unserem Infoflyer haben wir deshalb auch gezielt dazu aufgerufen, bei Verdachtsmomenten, die auf Radikalisierungsprozesse hindeuten können, den Kontakt zu uns zu suchen.
Unter den Flüchtlingen gibt es natürlich auch viele, die in ihren Heimatländern negative Erfahrungen mit staatlichen Stellen gemacht haben. Das kann dazu führen, dass sie sich auch hier nicht an Behörden wenden, wenn sie wichtige Wahrnehmungen gemacht haben.
Als Nachrichtendienst können wir allen Hinweisgebern völlige Vertraulichkeit zusichern. Wir gehen mit jedem Hinweis sensibel um. Niemand muss befürchten, dass ein Verdacht, der sich letzten Endes als unbegründet herausstellt, irgendwelche negativen Konsequenzen für den Betroffenen hat. Deshalb sollte man auch nicht aus Scheu davor, Unschuldige in die Bredouille zu bringen, davor zurückschrecken, Auffälligkeiten zu melden. In vielen Fällen mag sich ein Verdacht als unbegründet erweisen. Es kann aber auch Fälle geben, wo aus einem Verdacht am Ende schreckliche Realität wird. Und um das zu vermeiden, müssen die Sicherheitsbehörden rechtzeitig Kenntnis davon erlangen. Nur dann sind auch Maßnahmen der Deradikalisierung möglich, die beginnende Radikalisierungsprozesse stoppen können."