6

"Kasperlgraf" und Hofbeamter

Von: Ernst Eisenbichler

Stand: 27.08.2012 | Archiv

Franz Graf von Pocci | Bild: SZ Photo / Scherl

Obwohl der Gemeinplatz der nördlichsten Stadt Italiens immer wieder bemüht wird, verweist in München doch kaum ein Straßenname auf das Land im Süden. Eine der wenigen: die Poccistraße. Einem Münchner fallen dazu wohl zuallererst das dort gelegene Kreisverwaltungsreferat und die damit verbundenen bürokratischen Herausforderungen ein - womit er auch schon beim Namenspatron der Straße gelandet ist: Franz Graf von Pocci. Der Schriftsteller, Zeichner und Komponist hatte nicht nur tatsächlich italienische Wurzeln - sein Vater war ein aus Italien stammender adeliger Offizier -, sondern kannte als Beamter am bayerischen Königshof die administrativen Mühlen ebenfalls zur Genüge.

Die Krux mit der Doppelexistenz

Pocci litt unter dem Doppelleben Künstler/Beamter, wie vor ihm die deutschen Prototypen dieser Existenzform: Eichendorff und E.T.A. Hoffmann. In seinen Texten hat Pocci erkenntnistheoretisch und poetologisch gewiss nicht so tief geschürft wie die beiden Schriftsteller der literarischen Romantik.

Franz Graf von Pocci (Bleistiftskizze von Wilhelm von Kaulbach)

Aber analog zu Hoffmann hatte auch Pocci einen starken Hang zur Satire und fand ein Ventil im Karikieren von Autoritätspersonen, Honoratioren und Amtsschimmel-Reitern. Als Bühne wählte er dafür das Puppentheater, als Figur den Kasperl Larifari, der Pocci auch das Attribut "Kasperlgraf" eingebracht hat. Am 7. März 1807 wurde in München der Mann geboren, in dessen Werk sich nicht nur bayerisches Wesen - und Unwesen - spiegelt, sondern der vor allem eine Figur berühmt machte, die bis heute auf Puppenbühnen, in Kinderbüchern und im Fernsehen fortlebt.

Ausgewählte Werke

1855

Neues Kasperl-Theater

Diese sechs "Spektakelstücke", die Pocci 1855 für das Jahrmarkt-Puppentheater geschrieben hat, begründeten seinen Ruhm als "Kasperlgraf". Dazu gehören: Kasperl, Heldenthaten. / Kasperl als Professor. / Madame Kasperl. Ein Schauspiel, in welchem auch der Teufel in Person vorkommt / Kasperl als Nachtwächter / Kasperl in China / Die Prüfung. Im Gegensatz zu Poccis späteren Kasperlkomödien dominiert hier noch der "Klamauk" das Geschehen.

1857

Der Staatshämorrhoidarius

Der Faksimile-Nachdruck von 1857 lässt noch einmal das karikierende "Denkmal" für den emsigen Staatsbeamten lebendig werden. Die Bildergeschichten erschienen in Fortsetzungen ab 1845 in den Münchner "Fliegenden Blättern". Der unentwegt am Schreibtisch sitzende und der Obrigkeit vollständig ergebene Staatsdiener leidet an mangelnder körperlicher Bewegung. Ein Leiden stellt sich ein, das diesen biedermeierlichen Beamtentypus zum "Staatshämorrhoidarius" macht.

1858

Kasper und das Krokodil

"Kasper und das Krokodil" war von Pocci 1858 wie alle seine vierzig Kasperlkomödien für Josef Leonhard Schmids Münchner Marionettentheater geschrieben worden. Für diese Leporello-Ausgabe wurde Poccis Geschichte von der Leipziger Puppenspielerin Rosi Lampe weitererzählt und von der Holzschneiderin und Zeichnerin Christa Jahr illustriert. Nicht nur eine bibliophile Edition für Kinderbuch-Sammler, sondern selbstverständlich auch für Kinder.

2007

Werkausgabe

Die ersten Bände der von Ulrich Dittmann, Wilfried Hiller und Michael Stephan herausgegebenen Werkausgabe erschienen zum 200. Geburtstag Poccis im Jahr 2007 in der Edition Monacensia. Es ist die erste vollständige Dokumentation seines veröffentlichten vielseitigen Gesamtwerks als Dichter und Illustrator, Komponist und Kommentator des bayerischen Biedermeier. Die Gesamtausgabe wird nach Abschluss dreißig Bände umfassen.


6