Fasching und Co. Gespenstischer Realismus
Als gelernter Übersetzer hat Gerhard Polt Ahnung vom Vermitteln: Er versuche die "Berichterstattung von einem in ein anderes Milieu", sagte er einst. Die Milieus können bei Polt äußerst unterschiedlich sein. Meistens prallen Welten aufeinander, zum Beispiel wenn eine Stadtschnepfe (Gisela Schneeberger) aufs Land fährt und aus ihrem schicken Cabriolet heraus einen alten Bauern (Polt) nach dem Weg zur "Désirée-Beauty-Farm" fragt.
Fasching in seiner ganzen Brutalität: Kehraus
In bittere Satire packt Polt seine Milieu-Studien in der Faschings-Groteske "Kehraus", die er mit Hanns Christian Müller zunächst im Werkraum der Münchner Kammerspiele inszeniert und 1983 als Kinofilm herausbringt. Es ist die erbarmungslose Geschichte des Gabelstapelfahrers Ferdinand Weitl.
Sein Verhängnis: Er gerät in einen Faschingsball. Wie ein Außerirdischer tappt Weitl (Polt) durch ein Pandämonium des maskierten Grauens. Die kleinen Versicherungsangestellten entpuppen sich als fast ebenso widerwärtig wie die Vorstände, die in ihrem Suff ausplaudern, dass die ganze Abteilung demnächst aufgelöst wird: Kehraus eben. Gruseliger kann Frohsinn kaum sein, Gaudi kaum zermürbendere Formen annehmen.
"Gespenstischen Realismus" nennen Polt und Müller solche Szenen. Ein ganzes Figurenarsenal steht für dieses Prinzip: Der Spediteur zum Beispiel, der seine ausländischen Mitarbeiter erst einmal desinfizieren lässt.
Der Geländewagenfahrer, der von der Hochkultur der alten Ägypter schwärmt, während er das Altöl seines Autos in einen See kippt. Der Besitzer eines Schäferhundes, der Verständnis für sein Tier einfordert, nachdem es ein Kleinkind ins Krankenhaus gebissen hat - schließlich hätten selbst die Eltern die Schuld des Kindes eingeräumt.
Ebenso gespenstisch: Auch Punks sind bei Polt Oberspießer: Ihr "Rebellentum" erschöpft sich darin, dass sie sich in mauligem Ton beim Bankangestellten nach den Vorteilen des 624-Mark-Gesetzes erkundigen.
"Nikolausi": Crescendo des Zusammenstauchens
Der alltägliche Faschismus, die Abgründe und Brutalitäten des Lebens - Polt spürt sie da auf, wo man sie am wenigsten erwartet, etwa beim Mensch-ärgere-dich-nicht: Die Eltern machen ihren kleinen Sohn fertig, weil er dem Spiel nicht den nötigen "Ernst" entgegenbringe. Oder beim "Nikolausi-Osterhasi"-Sketch, dem berühmten Crescendo des Zusammenstauchens eines Kindes. Nach Sympathieträgern sucht man bei Polt vergeblich, aber - wie Hanns Christian Müller erläutert - selbst wenn Polt in die Haut furchtbarster Typen schlüpft, hört man ihm gern zu. Er ist nämlich dabei so komisch, dass einem ein Licht über die Typen aufgeht. "Humor is a Erkenntnisträger", so Polt.