60 x Deutschland - Die Jahresschau Das Jahr 1980
Franz Josef Strauß scheitert als Kanzlerkandidat der CDU/CSU, in der Union beginnt nun die "Ära Kohl". Aus dem Milieu der Umwelt- und Anti-AKW-Bewegung entsteht eine neue Partei: die Grünen. Linke "Fundis" und bürgerlich-linksliberale "Realos" liefern sich von Beginn an heftige Flügelkämpfe.
Eine neue Partei belebt das politische Spektrum
Seit den späten 1970er Jahren schließen sich in der Bundesrepublik regionale Gruppierungen der Umwelt-, Anti-Atomkraft-, Frauen- und Friedensbewegung zu Grünen bzw. Bunten oder Alternativen Listen und Parteien zusammen. Diese Bündnisse werden nötig, um bei Kommunal- oder Landtagswahlen anzutreten. Die Mitglieder der unterschiedlichen Gruppierungen decken ein äußerst heterogenes politisches Spektrum ab. Den linken Flügel dominieren so genannte K-Gruppen, die verschiedenen marxistischen, leninistischen und kommunistischen Strömungen angehörigen. Den rechten Flügel bilden die Grüne Aktion Zukunft (GAZ) um den ehemaligen CDU-Bundestagsabgeordneten Herbert Gruhl, die Grüne Liste Umweltschutz sowie die Aktionsgemeinschaft Unabhängiger Deutscher (AUD) um das CSU-Vorstandsmitglied August Hausleitner.
Um an der Europawahl teilzunehmen, gründen 500 Delegierte von AUD, GLU, GAZ und anderen Initiativen am 16. und 17. Mai 1979 das Listenbündnis "Sonstige Politische Vereinigung (SPV) - DIE GRÜNEN". Als Kandidaten für die Europawahl werden Petra Kelly, Herbert Gruhl, Baldur Springmann, Carl Amery und Joseph Beuys nominiert. Am 12. und 13. Januar 1980 versammeln sich in Karlsruhe rund 1000 Delegierte der Kreis- und Landesverbände der "SVP – DIE GRÜNEN" sowie 259 Delegierte der alternativen und bunten Listen zu Beratungen über die Gründung der Bundespartei "Die Grünen". Die immer wieder in Frage gestellte und hinaus gezögerte Parteibildung soll die Voraussetzung für die Teilnahme an den Bundestagswahlen im Oktober des Jahres schaffen. In seiner Eröffnungsrede beschwört der AUD-Delegierte Wolf-Dieter Hasenclever die historische Chance, "die verkrustete Parteienstruktur der Bundesrepublik von innen her aufzubrechen". Trotz aller Appelle droht der Kongress mehrmals zu platzen.
Die Grünen formieren sich
Von Anfang prägen heftige, teils tumultartige Auseinandersetzungen über programmatische und politische Grundsatzfragen den Kongress. Im Mittelpunkt der Streitigkeiten steht unter anderem die Frage, ob die Mitgliedschaft bei den Grünen mit der Mitgliedschaft in anderen Parteien vereinbar sein soll. Insbesondere die Delegierten der SVP sprechen sich gegen eine Doppelmitgliedschaft aus, um den Einfluss der K-Gruppen zu schwächen. In diesem erbitterten Zank werden Petra Kelly und der 1979 aus der DDR geflohene radikale SED-Kritiker Rudolf Bahro zu entscheidenden Integrationsfiguren. Angesichts der drohenden Umweltkatastrophe und sozialer Probleme plädiert Kelly dafür, die politischen Differenzen hintanzustellen. Um die ökologische und politische Erneuerung Deutschlands voranzubringen, müsse das grüne Projekt ein Sprachrohr "der Minderheiten, der Diskriminierten, der Kranken, der sozial Schwachen, der Kinder, der kommenden Generationen, der Tiere und der Pflanzen" (...) und all derer sein die "im herrschenden System vergessen oder unterdrückt werden". Nach einem hitzigen Abstimmungsmarathon einigen sich die Delegierten der 1. Bundesversammlung am 13. Januar auf die Gründung der "Grünen".
Vom 21 bis zum 23. März treffen die Grünen in Saarbrücken zu ihrer 2. Bundesversammlung zusammen. Sie verabschieden das erste Bundesprogramm und wählen Petra Kelly, August Haußleiter und Norbert Mann zu Sprechern und Sprecherinnen. In der Präambel zum Parteiprogramm präsentieren sich die Grünen als "soziale, ökologische, basisdemokratische, gewaltfreie" Alternative zu den etablierten Parteien. Obwohl prominente Gallionsfiguren wie Joseph Beuys den Wahlkampf der Grünen unterstützen, bringen die Bundestagswahlen am 5. Oktober nicht das erhoffte Ergebnis. Mit einem Stimmanteil von 1,5 Prozent scheitert die junge Partei an der Fünf-Prozent-Hürde.
Helmut Schmidt bleibt Kanzler, Strauß verliert
Nachdem Helmut Kohl bei der Bundestagswahl 1976 äußerst knapp gegen Helmut Schmidt gescheitert war, steigt nun Franz-Joseph Strauß für die Union in den Ring. Die politischen Überzeugungen und nicht zuletzt die deftige, bisweilen äußert aggressive Rhetorik des bayerischen Ministerpräsidenten und CSU-Vorsitzenden sorgen für eine zunehmende Polarisierung der Wählerschaft. Das Motto "Stoppt Strauß!" wird zur Kampfparole des linken Spektrums, die den CDU/CSU-Kanzlerkandidaten als Kalten Krieger und Friedensrisiko verteufelt. Strauß kontert mit dem Slogan "Freiheit statt Sozialismus", den schon Helmut Kohl vier Jahre zuvor auf seine Fahnen geschrieben hatte, und saftigen verbalen Angriffen. Im Laufe des Jahres spitzt sich der emotionsgeladene, ausgesprochen harte Wahlkampf zur persönlichen Auseinandersetzung zwischen Kanzler Schmidt und seinem Herausforderer zu. Dabei kommt es am Rande der Wahlveranstaltungen des Unionskandidaten wiederholt zu tumultartigen Auseinandersetzungen zwischen randalierenden Straußgegnern und Ordnungskräften. In Hamburg werden bei Anti-Strauß-Krawallen am 25. August 102 Polizisten und vier Demonstranten verletzt.
Das Ergebnis der Wahlen zum 9. Deutschen Bundestag ist ein schmerzlicher Dämpfer für den so siegesgewiss angetretenen CSU-Chef. Am 5. Oktober erringt die SPD 42,9 Prozent der Stimmen und 218 Mandate. Die FDP kommt auf 10,6 Prozent der Stimmen und 53 Sitze. Mit insgesamt 271 Sitzen gewinnt die sozial-liberale Koalition im Vergleich zu den Wahlen von 1976 nochmals 18 Mandate hinzu. CDU und CSU kommen zusammen auf 44,5 Prozent und 226 Sitze. Im Vergleich zu den vorhergegangenen Wahlen büßen sie 3,3 Prozent der Wählerstimmen und 17 Mandate ein.
Mit der enttäuschenden Wahlniederlage ist der Mythos Strauß zumindest auf Bundesebene gebrochen. Der bayerische Ministerpräsident hat auch den unionsinternen Machtkampf gegen Helmut Kohl verloren, der sich nun endgültig als neuer starker Mann und Hoffnungsträger durchsetzt.
Informationen zur Sendereihe
Mit der Reihe "60 x Deutschland" präsentiert das Schulfernsehen einen bunten, von Sandra Maischberger moderierten History-Mix. Ausgehend von der doppelten Staatsgründung 1949 ist jedem Jahr eine 15-minütige Folge gewidmet. Schwerpunkt der Chronik ist der Konkurrenzkampf zweier jahrelang miteinander konkurrierender Gesellschaftssysteme. Dabei beschränken sich die einzelnen "Kalenderblätter" nicht auf politische Ereignisse, sondern geben auch Einblicke in Unterhaltung, Kultur und Sport in beiden deutschen Staaten.