NSU-Prozess Die Hauptverhandlung gegen den NSU
Fünf Angeklagte, mehr als 90 Nebenkläger und am Ende wohl weit über 600 Zeugen. Seit 6. Mai 2013 verhandelt das Oberlandesgericht München im wichtigsten deutschen Terrorismus-Prozess der letzten rund 40 Jahre.
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"Morgen, morgen, morgen. Nehmen Sie bitte Platz." So beginnt Manfred Götzl, der Vorsitzende Richter, jeden Verhandlungstag. Das Gericht ist zuständig, weil Fälle von Terrorismus immer vor Staatsschutzsenaten verhandelt werden. In Bayern gibt es davon nur einen. Fünf der zehn Morde, die dem NSU zugerechnet werden, wurden im Freistaat verübt.
Manfred Götzl führt meist ruhig und souverän durch das Verfahren. Er ist ein erfahrener Jurist, der die Zeugen mit großer Akribie teils über Stunden intensiv befragt. Manfred Götzl kann aber auch äußerst impulsiv werden. Gelegentlich wird auch geschrien im Saal A 101. Vor allem mit den Opferanwälten gibt es immer wieder Konflikte darum, was Gegenstand dieses Strafverfahrens ist und was nicht.
Große Herausforderung für das Münchener Gericht
Das Verfahren stringent zu führen ist eine Herausforderung. Häufig sind mehr als 100 Prozessbeteiligte anwesend. Aufgrund der umfangreichen Vorwürfe gegen sie hat alleine Beate Zschäpe drei Pflichtverteidiger: Wolfgang Heer, Wolfgang Stahl und Anja Sturm. Der ehemalige NPD-Funktionär Ralf Wohlleben wird von Olaf Klemke und Nicole Schneiders verteidigt. Der Wohlleben-Verteidigung wird von Beobachtern eine Nähe zur rechtsextremen Szene nachgesagt.
Beengte Platzverhältnisse beim NSU-Prozess
Medienhickhack im Vorfeld
Dem Prozess ging ein wochenlanger Streit über die Vergabe der Presseplätze voraus. Weil nach dem ursprünglichen Akkreditierungsverfahren türkische Medien zunächst leer ausgegangen waren, ordnete das Bundesverfassungsgericht eine Neuvergabe der Plätze an - und der Prozessauftakt musste verschoben werden.
Infografik
Der Saal ist zwar der größte im Münchner Strafjustizzentrum. Angesichts der hohen Zahl von Nebenklägern und Opferanwälten und dem großen Interesse von Medien und normalen Besuchern ist der Raum allerdings zu klein. An besonders interessanten Verhandlungstagen bilden sich Schlangen vor dem Gerichtsgebäude.
Jahrelanger Mammutprozess
Zwei bis zweieinhalb Jahre. So hatte die Münchner Justiz die Prozessdauer vorab eingeschätzt, und diese Prognose könnte sich am Ende als realistisch erweisen. Die Beweisaufnahme zu zehn Morden, zwei Sprengstoffanschlägen und 15 Raubüberfällen ist äußerst umfangreich. Die vielen Opferanwälte haben natürlich auch viele Fragen. Außerdem ist vor allem die Befragung von Zeugen aus dem Umfeld der Angeklagten außergewöhnlich mühsam. Sie leiden häufig unter teils nicht nachvollziehbaren Erinnerungslücken, und ihre Befragungen ziehen sich zum Teil über mehrere Verhandlungstage hin.
Überraschung in der Anfangsphase
Nur wenige Wochen nach Beginn brachte der Prozess bereits eine Riesenüberraschung. Der Angeklagte Carsten S. erklärte, Mundlos und Böhnhardt hätten ihm von einem Anschlag in Nürnberg mit einer Taschenlampe berichtet, der nicht geklappt habe. Im Juni 1999 explodierte in einer von einem Türken betriebenen Pilsbar in Nürnberg tatsächlich eine als Taschenlampe getarnte Rohrbombe und verletzte einen türkischen Mitarbeiter der Bar leicht. Die Bombe hätte nach Einschätzung der Ermittler eine deutlich stärkere Wirkung haben sollen, funktionierte aber nicht richtig. Die Bundesanwaltschaft geht mittlerweile davon aus, dass auch diese Tat ein Anschlag des NSU war.
Autor: Tim Aßmann