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Neonazis in Südtirol NSU-Reportage deckt Verbindungen auf

Die deutschsprachige Neonazi-Szene macht nicht an den Grenzen Halt. Im Rahmen einer groß angelegten ARD-Hörfunkreportage haben BR-Autoren nun Kontakte bis nach Südtirol offengelegt. Die Verbindungen reichen tief in den NSU hinein.

Von: Thies Marsen

Stand: 22.10.2014 | Archiv

Das Südtirol-Wappen im Sonnenbanner der SS - Fundstücke bei Südtiroler Neonazis  | Bild: BR, Ernst Eisenbichler; Polizei

Kaum eine Gegend in Europa hat in den vergangenen Jahrzehnten einen derartigen Aufstieg erlebt wie Südtirol - vom einstigen Armenhaus zur prosperierenden Region. Das Land mit seiner durchaus leidvollen Geschichte, das lange Zeit Spielball war zwischen Italien, Deutschland und Österreich, hat von seiner Zweisprachigkeit und dem Status als autonome Region innerhalb Italiens also durchaus profitiert. Und trotzdem ist der Nationalismus weiterhin virulent - und damit auch neofaschistisches Gedankengut. Die Kontakte Südtiroler Neonazis reichen bis ins enge Umfeld der deutschen Terrorgruppe Nationalsozialistischer Untergrund (NSU).

Beliebt bei Touristen - und bei Neonazis

Das Passeiertal ist auch bei deutschen Touristen beliebt. Üppig blühende rote Geranien an bäuerlichen Holzbalkonen, saftige Almen, ein herrlicher Blick auf die Laugenspitze. Hier zwischen Meran unten im Tal und dem Jaufenpass oben auf fast 2.100 Metern Höhe liegt der Schildhof Baumkirch. In dem historischen Gebäude trafen sich laut italienischem Inlandsgeheimdienst bekennende Neonazis zu sogenannten "Andreas-Hofer-Wander- und Vortragswochen" - und zwar Kameraden aus Südtirol und aus Deutschland, insbesondere aus Bayern. Und im Jahr 2007 mit dabei: Ralf Wohlleben, heute Angeklagter im Münchner NSU-Prozess, mutmaßlicher Waffenlieferant der Terroristen Uwe Böhnhardt, Uwe Mundlos und Beate Zschäpe.

Enge Vernetzung über die Landesgrenzen hinweg

Deutsche und Südtiroler Neonazis sind schon seit Jahren vernetzt, sagt Christine Losso, die damals für eine Südtiroler Tageszeitung recherchiert hat: "Durch das Internet ist das heutzutage natürlich viel einfacher, als es früher war. Die haben da Foren gefunden und sich international oder europaweit organisiert. Die haben sich dann Fahnen bestellt, Hitler, Hakenkreuze. Ganze Wohnungen oder Zimmer waren eingerichtet mit diesen Dingen da, die aus Deutschland gekommen sind."

Verbindungen ins NSU-Milieu

Südtiroler Neonazis machten regelrechte Großeinkäufe bei deutschen Neonaziversänden. Der Wert mancher Einzelbestellungen lag bei mehreren tausend Euro. Sie reisten auch nach Deutschland, liefen mit bei Aufmärschen wie der alljährlichen Neonazidemonstration im Februar in Dresden und sie besuchten in Chemnitz den Rechtsrock-Mogul Hendrik Lasch. Lasch ist ein alter Kamerad des NSU-Terroristen Uwe Mundlos. Als Mundlos bereits untergetaucht war, verschaffte Lasch ihm noch Aufträge, ließ ihn T-Shirt-Motive zeichnen, um das Leben im Untergrund zu finanzieren.

"Nazi-Netzwerk NSU"

"Der NSU war nach dem Ergebnis der Ermittlungen […] stets eine singuläre Vereinigung aus drei Personen", sagt der Generalbundesanwalt. Doch Strategie und Taten des Nationalsozialistischen Untergrunds waren alles andere als isoliert und einzigartig. Rechte Terrorakte gab es in der Vergangenheit in ganz Europa und den USA. Folgt man den Spuren des Terrors, stößt man immer wieder auf das nationalsozialistische Netzwerk "Blood & Honour". Zum harten Kern zählten - laut Ermittlern - auch die späteren NSU-Terroristen Uwe Mundlos, Uwe Böhnhardt und Beate Zschäpe. Doch Vernetzungen spielen bei der Aufarbeitung der NSU-Morde kaum eine Rolle. Stattdessen verfolgen die Behörden lediglich die "erweiterte Einzeltätertheorie". Werden die terroristischen Gefahren von Rechts schon wieder unterschätzt?

Es gab also enge Beziehungen bis hinein ins direkte NSU-Umfeld - insbesondere von Neonazis aus dem Raum Meran, wo sich vor etwa acht Jahren eine militante Neonazi-Szene etablierte, die alles ins Visier nahm, was nicht in ihr braunes Weltbild passte, sagt Aaron Kuttner von der Antifa in Meran: "Die Neonazis haben mit zehn, 20 Leuten vor den Schulen gewartet und dann die Leute bedroht und verprügelt. Auch vor Jugendzentren oder wenn Konzerte waren, sind sie aufgetaucht, zum Teil mit Baseballschlägern und Schlagstöcken und Ketten."

Hetzjagden auf Andersdenkende

Die Situation erinnert frappant an die 1990er Jahre in Jena, wo die späteren NSU-Terroristen groß wurden, früh in die rechte Szene einstiegen und sich immer weiter radikalisierten. Auch in Jena veranstalteten Neonazis regelrechte Hetzjagden auf alternative Jugendliche - so wie zehn Jahre später in Meran. "Da gab es halt auch einmal eine Szene, wo sie zwei Freunde gekidnapped haben, oder halt sozusagen festgehalten haben und mit den Worten: Jetzt zählen wir bis zehn: eins Heil Hitler, zwei Heil Hitler usw. und bei zehn haben sie losgeschlagen."

Braune Terrorpläne nach NSU-Muster

Von Deutschland nach Südtirol wurden nicht nur braune CDs, T-Shirts und Hakenkreuzfahnen exportiert, sondern, laut dem italienischen Inlandsgeheimdienst, auch braune Terrorpläne nach NSU-Muster. Bei einem Treffen im Vinschgau im Juli 2008 diskutierten Neonazis aus Südtirol, Deutschland und Österreich "über die Möglichkeit der Durchführung fremdenfeindlicher 'exemplarischer Aktionen'", heißt es in einem Bericht der italienischen Verfassungsschützer an ihre deutschen Kollegen. Die rechten Aktivisten wälzten demnach Stadtpläne und legten konkrete Anschlagsziele fest. Durchgeführt wurden diese Pläne allerdings nicht, vielleicht auch, weil die Südtiroler Polizei vorsorglich über 50 Geschäfte und Restaurants, die von Migranten betrieben wurden, besonders überwachen ließ.

Alibi-Durchsuchungen?

Neonazi-Aufkleber in Bozen

Schon zuvor hatte die italienische Polizei eine Großrazzia gegen Südtiroler Neonazis gestartet - die Operation "Odessa": 16 Hausdurchsuchungen in einer Nacht, in der Region Meran und im Passeiertal. Christine Losso, damals Lokaljournalistin in Meran erinnert sich noch gut: "Die wurden alle verhaftet und nach Bozen gebracht, wobei dann nach und nach wieder viele freigekommen sind. Aber da wurde dann das erste Mal so richtig massiv eingegriffen. Oder vielleicht war es auch nur ein Alibi, einfach um der Öffentlichkeit zu zeigen: Jetzt machen wir was."

Bozen - Magnet für italienische Neonazis

Immerhin, eine rechte Terrorgruppe wie der NSU scheint sich in Südtirol bislang nicht gebildet zu haben. Dank einer aktiven Antifa, die eng mit Zivilgesellschaft und Stadt in Meran zusammenarbeitet, sind die Neonazis in der Region inzwischen in der Defensive. In der Landeshauptstadt Bozen allerdings sind italienische Faschisten auf dem Vormarsch.

Bücherei der neofaschistischen Organisation "Casa Pound" in Bozen

Dort betreibt die neofaschistische Organisation "Casa Pound" seit Anfang des Jahres ganz offiziell eine Bibliothek, in der Fanszene des örtlichen Eishockeyvereins tummeln sich Neonazis um den "Casa Pound"-Chef Andrea Bonazza, der schon mehrfach vor Gericht stand. "'Casa Pound' startete in Rom durch ein besetztes Haus und sie versuchen mit einem subversiven, rebellischen Lebensstil Jugendliche anzulocken", sagt Michael Schwalt von der Antifa Meran. "Ihr Bestreben ist, in ganz Italien vernetzt zu werden. Und das haben sie in Bozen geschafft." Regelmäßig gibt es Infostände und Demonstrationen. Zu einem Aufmarsch reisten Neonazis aus ganz Italien nach Bozen, selbst aus Sizilien oder Sardinien.

Gleiche Ideologie - unterschiedliche Ziele

Eines ist der rechten Szene in Südtirol allerdings noch nie gelungen: deutsch- und italienischsprachige Neonazis unter einen Hut zu bekommen. In Brixen lieferten sich beide Fraktionen vor Jahren sogar eine Massenschlägerei, die erst durch einen massiven Polizeieinsatz gestoppt werden konnte. Denn auch wenn sie dieselbe menschenverachtende Ideologie teilen - in einem werden sie sich wohl nie einig werden: "Die italienischen Nationalisten sehen Südtirol klar bei Italien, und die deutschsprachigen Nationalisten klar bei einem sogenannten 'Großdeutschen Reich'", sagt Michael Schwalt. "Und dieser Streitpunkt verhindert schon vieles an Netzwerkarbeit hier in Südtirol. Es gab punktuelle Bestrebungen, zusammenzuarbeiten, aber es ist meist kläglich an der Frage gescheitert: Wem gehört Südtirol?"


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