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Allgäuer Nazis auf Tour

Auf dem rechten Auge hellwach Allgäuer Nazis auf Tour

Stand: 02.07.2014

In einem Auge spiegeln sich die wutverzerrten Gesichter von Neonazis | Bild: colourbox.com; picture-alliance/dpa; br; montage:br

Die Zutaten extrem rechter Ideologie sind stets dieselben: Rassismus, Gewalt, Sehnsucht nach einem starken Führer, Hass auf alles, was nicht ins eigene Weltbild passt. Doch das Gewand, in dem diese Ideologie daherkommt, wandelt sich ständig. Deshalb gilt: Hellwach sein auf dem rechten Auge.

Von: Thies Marsen

Rund 1.300 gewaltbereite Neonazis auf einem der größten Rechtsrockkonzerte Deutschlands und das alles höchstrichterlich genehmigt - es war eine ziemlich gruselige Veranstaltung, die am vergangenen Wochenende in dem 380-Seelen-Dorf Nienhagen in Sachsen-Anhalt über die Bühne ging. Und wie wir bei unseren Recherchen für das ARD-Feature feststellen mussten: Mit dabei waren zahlreiche Neonazis aus Bayern - unten im Publikum ebenso wie oben auf der Bühne.

Eigentlich predigen Rechtsextremismus-Experten und Fachjournalisten ja schon seit Jahren der Öffentlichkeit, dass Neonazis heutzutage kein einheitliches Erscheinungsbild mehr haben, dass sie auch mit Irokesenschnitt, langen Haaren oder als Hip-Hopper daher kommen - kurz: dass sie längst nicht mehr so ausschauen, wie man sie sich als Normalbürger eben so vorstellt: mit Glatze, Bomberjacke, Jeans und Springerstiefeln.

"Alte Schule" der Neonazis

Besucher des Rechtsrockkonzerts in Nienhagen

Aber bei der alljährlichen Skinheadparty in Nienhagen schauen die Neonazis eben doch noch genauso aus. Hier trifft sich die "alte Schule" der Bewegung, teils schon ältere Herrschaften, die in der Neonaziszene der 1990er-Jahre sozialisiert worden sind. Der Frauenanteil bewegt sich bei geschätzten zehn Prozent, der Anteil derjenigen, deren Haare länger als fünf Millimeter sind, dürfte ähnlich gering sein. Aus ganz Deutschland, aus der Schweiz, Bulgarien und Italien sind sie gekommen, um mal wieder die Sau rauszulassen. Allerdings mit angezogener Handbremse, denn angesichts der zahlreichen Polizisten vor Ort kann die Szene ihre nazistische Ideologie dann doch nicht so ausleben, wie sie es ansonsten gerne tut, etwa bei all den geheim veranstalteten Rechtsrock-Konzerten, die jedes Wochenende irgendwo in der Republik stattfinden. Als in Nienhagen von der Bühne die Anweisung kommt: "Der Arm bleibt unten" - was soviel heißt wie: der Hitler-Gruß ist verboten - gibt es denn auch Buh-Rufe aus dem Publikum.

Bühne des Rechtsrockfestivals

Die Skinheads tragen ihre faschistische Gesinnung offen auf ihren T-Shirts zur Schau, ebenso ihre Gewaltbereitschaft: Stahlhelme, Eiserne Kreuze, Beile, Handgranaten, Pistolen.

Auftritt bekannter Rechtsrock-Bands

Mitglieder von "Voice of Anger"

Auf der Bühne oben lärmen Bands wie "KdF", was für "Kraft durch Froide" steht, "Sturmtrupp" oder "Faustrecht". Die letzten beiden stammen aus dem bayerischen Allgäu, "Faustrecht" sind Veteranen der Szene. Es gibt sie seit 20 Jahren und schon ihre erste Veröffentlichung wurde beschlagnahmt und indiziert. Laut Netz-gegen-nazis.de waren sie eine Art Hausband für die Organisation "Skinheads Allgäu". Die Neonazivereinigung wurde zwar 1996 verboten, doch bis heute gibt es im Allgäu eine aktive extrem rechte Szene. Das war am Wochenende auch am Publikum in Nienhagen zu sehen: Im Block marschierten Mitglieder von "Voice of Anger" aufs Festivalgelände, eine Gruppe aus dem Großraum Kempten, Memmingen und Krumbach. Laut Polizei organisieren sie sich ähnlich wie Rockerclubs in sogenannten "Chaptern". Viele von ihnen tragen "Kutten", darauf ihr Logo: das Stadtwappen von Memmingen mit einem gekreuzigten Skinhead. Laut Polizei hatte "Voice of Anger" zuletzt großen Zulauf und zählt inzwischen über 85 Mitglieder. Im Mittelpunkt ihrer Aktivitäten stehe "die gemeinsame Freizeitgestaltung" heißt es im aktuellen bayerischen Verfassungsschutzbericht. Und dazu gehören in diesen Kreisen Veranstaltung wie ein "Braunen Oktoberfestes" vergangenen November im Landkreis Günzburg. Oder eben eine gemeinsame Fahrt zur "Skinheadparty" nach Sachsen-Anhalt.

Genehmigt vom Oberverwaltungsgericht

Mitglieder von "Voice of Anger"

Auf dem Festivalgelände am Nienhagener Ortsrand, das von einem hohen Bretterzaun umgeben ist, versucht die erste Band, das Publikum anzuheizen, der Sänger brüllt ins Mikro: "Wir hassen das System, wir hassen diesen Staat". Und irgendwann fliegen erste volle Trinkbecher in Richtung der Journalisten vor dem Festivalgelände, die für die Neonazis nur "Knechte des Systems" sind und die es angesichts des steigenden Alkoholpegels und der ebenso steigenden Aggressivität der Konzertbesucher irgendwann vorziehen, sich zurückzuziehen.

Dass die Skinheadparty praktisch ungehindert steigen kann, ist dem sachsen-anhaltinischen Oberverwaltungsgericht zu verdanken, das Verbotsanträge und Auflagenbescheide der betroffenen Kommune für null und nichtig erklärt hat. Die deutsche Neonaziszene feiert das wie einen Sieg - zurecht.

Solidaritätsadresse für Beate Zschäpe

Auf Rechtsrockkonzerten wird nicht nur Hass und NS-Propaganda verbreitet, sie sind zudem identitätsstiftend für die Szene, sie mobilisieren neue Anhänger - und sie bringen nicht zuletzt den Veranstaltern jede Menge Geld. Doch Behörden und Justiz zeigen sich oftmals entweder machtlos oder untätig und spielen die Gefahr, die von solchen Events ausgeht, herunter. Nicht nur in Sachsen-Anhalt, auch in Bayern. Etwa vergangenen Oktober, als rund 1.000 Neonazis ins mittelfränkischen Scheinfeld strömten und die Band "Überzeugungstäter" ungehindert und ungestraft ein Loblied auf den NSU singen konnte: "Beate Zschäpe, du bist die Schönste, die Schönste im ganzen Land."