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Polizeigewalt in den USA Der verdrängte Rassismus

Weiße Polizisten erschießen unbewaffnete Schwarze - und bleiben meist straffrei. Die USA werden überrollt von einer Welle aus Wut, tausende Demonstrieren. Der Versuch einer objektiven Einordnung.

Von: Ariane Stürmer

Stand: 08.07.2016 | Archiv |Bildnachweis

Festnahme eines Demonstranten bei Protestkundgebungen in Manhattan, New York, wegen des gewaltsamen Todes von Alton Sterling und Philando Castile | Bild: Reuters (RNSP)/Bria Webb

Eric Garner, Michael Brown, Tamir Rice, Freddie Gray, Alton Sterling, Philando Castile. Sechs Namen, sechs Tote. Sie stehen stellvertretend für hunderte Menschen mit dunkler Hautfarbe, die innerhalb der vergangenen Monate durch weiße Polizeigewalt starben. Jahrzehnte nach Martin Luther King gehen erneut zehntausende Demonstranten auf die Straßen. Sie rufen "Black lives matter", frei übersetzt also "auch schwarze Leben sind wertvoll". Die USA diskutieren über das Ausmaß an Rassismus und Rassenhass, über Weiße gegen Schwarze, über Recht und Unrecht, über angeblich schießwütige Polizisten, die ohne Gerichtsverfahren davonkommen.

Eine neue Stufe auf der Eskalationsleiter

Jüngste Eskalationsstufe: Der Tod von zwei Schwarzen, erschossen vor laufender Kamera, sowie die tödlichen Schüsse auf weiße Polizisten während einer Demonstration.

Wer verstehen will, was dort auf der anderen Seite des Atlantiks genau los ist, der braucht belastbare Daten. Denn während die einen behaupten, es gebe eine regelrechte Hatz auf Schwarze, argumentieren andere, Schwarze seien deutlich gewalttätiger als Weiße und Polizisten müssten sich schließlich verteidigen. Wer aber hat Recht?

Die Faktenlage - Löchrige Daten

So schnöde und mühsam sie auch zu lesen sind, Statistiken ermöglichen eine objektive Einordnung. Doch offizielle Stellen in den USA führen keine Statistiken über Polizeigewalt. Auch die 18.000 US-Polizeiwachen sind nicht verpflichtet, das Wie und Warum von Schüssen ihrer Beamten auf Zivilisten zu dokumentieren - geschweige denn zu vermerken, welcher Ethnie die Opfer angehören. Nur ein Bruchteil der Wachen übermittelt Daten an das FBI. Freiwillig, eine Fallauswahl nach Gutdünken. In anderen Worten: Die statistische Grundlage ist löchrig, nicht objektiv und nicht belastbar.

Das FBI veröffentlicht diese Statistiken über tödliche Polizeigewalt dennoch. Es gibt es nur absolute Zahlen, keine Untergliederung in den Anteil schwarzer und weißer Opfer. 444 Menschen starben dem FBI zufolge 2014 durch den Einsatz von Polizeiwaffen bei einer Bevölkerungszahl von rund 319 Millionen. Zum Vergleich: In Deutschland mit seinen rund 81 Millionen Einwohnern erschossen Polizisten 2014 sieben Menschen.

Neben den nicht-representativen FBI-Statistiken gibt es eine einzige offizielle Studie. Diese aber ist veraltet - und auch die Zahlen sind erneut wenig aussagekräftig: Das Justizdepartment publizierte 2001 eine Analsye mit Fokus auf die späten siebziger bis neunziger Jahre. Allein der Titel wirft die Frage auf, wie objektiv die Autoren zu Werke gegangen sind: "Justifiable homicide by police / police officers murdered by felons" lautet der Untertitel. Zu deutsch: "Rechtmäßige Tötungen durch die Polizei / Polizisten, die von Verbrechern ermordet wurden." Recht vs. Mord also.

Zivile Datensammlungen

Um sich nicht allein auf die löchrigen offiziellen Daten verlassen zu müssen, haben Journalisten der US-Ausgabe der britischen Tageszeitung Guardian eine eigene Datensammlung gestartet. "The Counted. People killed by police in the US" basiert auf Meldungen aus der Bevölkerung, die die Autoren anschließend verifizieren. Das Problem: Die Daten sind nicht objektiv, weil die Sammlung auf der Bereitschaft der Bevölkerung fußt, ihre Beobachtungen mitzuteilen. Nicht gemeldete Fälle bleiben damit weiter im Dunklen - sowohl auf Seiten weißer als auch schwarzer Opfer. Klar wird aber mit Blick auf eine Karte der USA, die sämtliche Fälle dokumentiert: Polizeigewalt gibt es im ganzen Land - und zwar gleichermaßen gegen Schwarze wie Weiße.

Mehr Meldungen erhielten die Datenbank-Autoren aus den Oststaaten. Eines der zahlreichen Ergebnisse: 2015 war die Todesrate junger schwarzer Männer fünf Mal höher als die gleichaltriger Weißer. Unbeantwortet lassen die Autoren aber die entscheidende Frage, ob die Opfer von weißen Polizisten erschossen wurden. Genau das ist aber der Dreh- und Angelpunkt der derzeitigen Demonstrationen, der Vorwurf nämlich, weiße Polizisten würden Schwarze leichtfertig erschießen.

Die Namen der Toten

Michael Brown

Der 18-Jährige starb am 9. August 2014 in Ferguson (Missouri), getroffen von sechs Kugeln aus einer Polizeiwaffe. Er war unbewaffnet. Brown soll zuvor einen Ladendiebstahl begangen haben. Gegen den Polizisten wurde kein Stafverfahren eingeleitet.

"Mapping Police Violence" ist ein weiteres groß angelegtes Daten-Sammelprojekt. Betrieben wird es von vier Bürgern mit unterschiedlichen professionellen Hintergründen. Ihren Recherchen zufolge sind die Opfer bei tödlichen Polizeieinsätzen drei Mal häufiger schwarz als weiß. Im Fokus der Analysen stehen anders als beim Datenprojekt des Guardian nicht sämtliche Fälle von Polizeigewalt unabhängig von der Ethnie der Opfer, sondern speziell jene Fälle, bei denen Schwarze getötet wurden.

Viele Thesen, keine Antworten

Was bleibt, ist eine unbefriedigende Erkenntnis: Polizeigewalt gegen Schwarze in den USA ist objektiv kaum greifbar. Die offiziellen Stellen scheinen kein Interesse an einer Aufarbeitung zu haben, um die Gewaltspirale zu stoppen, zivile Datensammlungen können nur bedingt herangezogen werden. Damit bleiben entscheidende Fragen unbeantwortet: Ist es nur eine Frage der öffentlichen Wahrnehmung, dass mehr Schwarze als Weiße bei Polizeieinsätzen getötet werden oder ist dieser zentrale Vorwurf der "Black lives matter"-Bewegung auch objektiv Fakt? Ist die US-Polizei rassistisch oder muss sie sich schlicht häufiger gegen Schwarze als gegen Weiße wehren?

Es wäre leicht, der medialen Wahrnehmung nachzugeben. Dann würde die Antwort wohl eindeutig lauten: Ja, weiße Polizisten erschießen ohne mit der Wimper zu zucken unbewaffnete Schwarze.

Genau das aber lässt sich eben nicht belegen. Und so bliebe nur eine fahrlässige Schlussfolgerung, mehr Bauchgefühl als Fakt, mehr Spekulation als Analyse. Vor diesem Problem stehen auch die USA - und damit vor einer explosiven Mischung aus Mutmaßungen, Beobachtungen und Meinungen.







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Tom, Freitag, 08.Juli 2016, 23:20 Uhr

10. USA / Deutschland - Konsequenzen

Die Verhältnisse in den USA zeigen, dass es grundsätzlich nicht funktioniert, wenn Menschen unterschiedlicher Herkunft zusammenleben. Statt "Rassismus" anzuklagen sollte man dies endlich als Tatsache akzeptieren und die Konsequenzen ziehen. Die Lehre für Deutschland sollte sein, dass es grundfalsch ist, Millionen Afrikaner und Araber aus falsch verstandener "Menschlichkeit" nach Deutschland zu holen. Unsere ohnehin bereits gespaltene Gesellschaft wird sonst unweigerlich in Konflikte gestürzt, wie es sie in den USA bereits gibt. Das brauchen wir wirklich nicht und das kann man auch den Flüchtlingen nicht zumuten. Es wäre für alle seiten sinnvoller und nachhaltiger, wenn man nicht Milliarden für die "Integration" von Flüchtlingen ausgeben würde, die nicht funktionieren wird. Das Geld sollte man besser verwenden, um die Fluchtursachen zu bekämpfen und die Verhältnisse in den Heimatländern der Flüchtlinge zu verbessern, damit sie dort Frieden und eine Perspektive für die Zukunft haben.

  • Antwort von BR-Fan, Samstag, 09.Juli, 07:23 Uhr anzeigen

Batzi , Freitag, 08.Juli 2016, 22:01 Uhr

9. Vorgeschmack

was bei uns so ansteht die nächsten Jahre...

  • Antwort von Franz, Samstag, 09.Juli, 09:34 Uhr anzeigen

  • Antwort von Cosi, Samstag, 09.Juli, 10:55 Uhr anzeigen

Anton A., Freitag, 08.Juli 2016, 20:45 Uhr

8. "Black Panther"-Gruppe übernimmt Verantwortung und kündigt weitere Morde an

US-Medien berichten, dass die radikal-schwarze Terrororganisation "Black Panther" die Verantwortung für die Ermordung von fünf Weißen übernommen hat und kündigt weitere rassistisch motivierte Morde an Weißen an.
Dieser Kommentar wurde von der BR-Redaktion entsprechend unseren
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KSLL, Freitag, 08.Juli 2016, 20:10 Uhr

7. Polizist im Fall Philando Castille nicht weiß

Der Polizist, der mutmaßlich die Schüsse auf Philando Castille abgegeben hat, ist asiatischer Abstammung.

Uwe R., Freitag, 08.Juli 2016, 19:57 Uhr

6. Bessere Recherche und sachlichere Berichterstattung helfen

Verschwörungstheorien gibt es in allen gesellschaftlichen Kreisen, sie haben nur andere Namen: "Rassismus", "Fremdenfeindlichkeit", "Islamophobie" ... . Guckt man in den vom US-Justizministerium herausgegebenen Bericht Homicide Trends in the United States, 1980-2008, stellt man schnell fest, dass ca. 90% der Schwarzen von Schwarzen umgebracht wurden. Man recherchiere selbst: Race and crime in the United States, Wikipedia, Quellen dortselbst. Seit den 1960ern kennt man in den USA: Nation of Islam (1930 gegründet), Black Panther, Black Liberation Army, Black Power, Black Supremacy und damit einhergehend eine steigende Gewalt Schwarzer gegen die weiße Gesellschaft. Übrigens verlieren pro Jahr ca. 150 Polizeibeamte in den USA ihre Leben durch Gewalttäter. Der Supreme Court stützt deshalb seit 1989 die "officer safety", aufgrund derer die Polizisten zu ihrer Sicherheit schnell tödlich schießen dürfen. Deshalb gibt es "nur" so wenige getötete Polizeibeamte. Sonst wären es noch mehr.

  • Antwort von KSLL, Freitag, 08.Juli, 21:30 Uhr anzeigen

  • Antwort von HM, Samstag, 09.Juli, 03:57 Uhr anzeigen

  • Antwort von BR-Fan, Samstag, 09.Juli, 07:31 Uhr anzeigen

  • Antwort von Rumplhanni, Samstag, 09.Juli, 09:34 Uhr anzeigen

  • Antwort von Cosi, Samstag, 09.Juli, 10:40 Uhr anzeigen

  • Antwort von KSLL, Samstag, 09.Juli, 10:56 Uhr anzeigen