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Dyslexie Autor Hans-Ullrich Krause: "Ein Film, der Mut macht!"

Stand: 03.09.2014

Dyslexie | Bild: tellux/BR

Welches Anliegen hatten Sie, als Sie das Drehbuch zum Spielfilm "Dyslexie"schrieben?
Menschen, die nicht oder nur eingeschränkt lesen können, sind von wichtigem kulturellen und sozialen Geschehen wenigstens in Teilen ausgeschlossen. Das hat in unserer Gesellschaft an Bedeutung nicht ab-, sondern zugenommen. Wenn man alleine bedenkt, wie viel Informationen in Schriftform über Handys oder Computer vermittelt werden, wird deutlich, vor welchen Herausforderungen diese Menschen stehen, da sie auf Informationen und Kommunikation angewiesen sind. Darauf sind wir in unserem Spielfilm „Dyslexie“eingegangen.

Mit der Figur Philipp Halbe beschreiben Sie einen Menschen, der auf ersten Blick völlig unauffällig ist und der doch durch sein Geheimnis zum Außenseiter wird…
Wir wollten uns an die Seite eines Menschen stellen, der versucht, durchs Leben zu kommen ohne lesen und schreiben zu können. Der sich eingerichtet hat, der glaubt, mit viel Geschick und großer Aufmerksamkeit, all die Hürden und Herausforderungen umgehen zu können. Diese Filmfigur ist einer, den man sympathisch findet, den man sozusagen kennen könnte. Ein Nachbar zum Beispiel, einer, der in einer Bar prima Drinks zaubern, mit dem man nett plaudern kann. Also jemand, der ganz in der Nähe ist. Dem man sein Problem und die damit verbundenen Schwierigkeiten nicht ansehen kann. Und genau so ist es ja auch, wenn dieser Umstand der Dyslexie wirklich in den Blick gerät. Da leben Menschen neben und mit uns, die es wirklich schwer haben und die versuchen, sich irgendwie angepasst und unauffällig zu verhalten.

Warum verhalten sich Menschen, die nicht lesen und schreiben können, oft so zurückhaltend, so vorsichtig?
Dyslexie ist ein bei Kindern mehr oder weniger anerkanntes und wahrgenommenes Problem. „Lese- Rechtschreibschwäche“, dieser Begriff ist selbst unter Nichtfachleuten gut bekannt. Auch sind bei Feststellung besagter "Schwächen" Hilfen und Fördermöglichkeiten vorhanden. Mehr oder weniger. Doch in einer Gesellschaft, in welcher schon im frühen Kindesalter vor allem diejenigen Achtung und Anerkennung erhalten, die möglichst früh und schnell geforderte Kulturtechniken erlernen und präsentieren können, gerät man schnell ins Hintertreffen, wenn man etwas nicht kann oder damit große Mühe hat.

Und was ist mit denen, die genau das nicht schaffen?
Eben! Diejenigen, die das nicht schaffen, erleben noch immer, und im gegenwärtigen allgemeinen Förderwahn auch wieder zunehmend, Herabsetzung, Ausgrenzung oder auch Intensivförderungen, die am Ende genau das Gegenteil bewirken von dem, was beabsichtigt ist. Und nicht selten wird LRS einer Art Erkrankung gleichgestellt. Krankheit als Defizit, als Anomalie, als Grund besonders behandelt zu werden, als Erklärung für das Anderssein. Es fällt nicht schwer, sich vorzustellen, wie sich Kinder und Jugendliche fühlen, die auf diese Weise stigmatisiert werden.

Was passiert, wenn es wirklich konkret wird? Wenn die Frage nach dem Lesen und Schreiben etwas mit Verantwortung für sich und andere zu tun hat?
Im Film "Dyslexie" taucht der Filmheld ab. Er verweigert sich, verkriecht sich. Immer, wenn es im Sinne von Beziehungen ernst wird, bricht er sie ab. So war es auch, als er Vater wurde. Damals traf er eine folgenschwere Entscheidung: Bevor es die anderen erfahren, gehe ich lieber weg. Ein trauriges Geschehen, denn damit verweigert sich der Mann, Vater für seine Tochter zu sein.

Ist so ein Verhalten typisch?
Ein solches Ausweichen ist gelebtes Muster für viele Menschen, die nicht lesen und nicht schreiben können. Dass sie sich damit auch selbst ins Abseits stellen oder sogar angreifbar machen, ist scheinbar weniger schlimm, als das eigene Defizit öffentlich zu machen. Für jemanden, der dieses Problem nicht kennt, schier unbegreifbar.

Welcher Wirkung erhoffen Sie sich für den Film "Dyslexie"?
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Dyslexie" soll denen, die dieses Problem nur vom Hörensagen kennen, jene Menschen näher bringen, um die es geht. Soll zeigen, dass uns deren Gefühle, Nöte, Ängste eigentlich nicht fremd sind. Der Film soll aber auch Mut machen. Sich solcher Menschen anzunehmen, sie nicht abzustempeln, ihnen vielleicht auch zur Seite zu stehen. Aber er soll auch an diejenigen "appellieren", die von "Lese- Rechtschreibschwäche" betroffen sind, sich nicht zu verstecken und Verantwortung zu übernehmen. Für sich und für andere.

Hat sich die Situation der Betroffenen denn schon etwas gebessert? Und was wäre noch zu tun? Insbesondere seitens der Politik?
Die Möglichkeiten zur Förderung der Betroffenen haben sich verbessert. Auch, weil sich die Methoden zur Unterstützung weiterentwickelt haben. Dennoch ist deutlich zu kritisieren, dass insbesondere bei Jugendlichen und Erwachsenen zu wenig Problemakzeptanz und Unterstützung vorhanden sind. In der Gesellschaft gilt das Vorurteil, dass Erwachsene, die nicht oder unzureichend lesen und schreiben können, als Kinder einfach zu wenig gelernt haben. Und weil das so ist, sei sozusagen die Chance verspielt etwas zu lernen, was man nicht kann. Dieser Fehlschluss verbaut Menschen den Weg dazu, sich eben doch noch darauf einzulassen zu lernen. Und er verhindert möglicherweise gezielte Angebote zur Unterstützung. Politik täte gut daran, die Bedingungen dafür zu schaffen, all diejenigen, die es brauchen, so zu fördern, dass sie an den Möglichkeiten der Gesellschaft auch partizipieren können. Dazu gehört es eben auch, so gut als immer möglich lesen und schreiben zu können.

Hans-Ullrich Krause ist seit 1996 Vorsitzender der Internationalen Gesellschaft für erzieherische Hilfen Frankfurt am Main. Er studierte ab 1973 am Institut für Lehrerbildung und arbeitete in verschiedenen Kinderheimen. Von 1983 bis 1986 studierte er am Johannes R. Becher-Institut in Leipzig Literatur und absolvierte an der Humboldt-Universität in Berlin ein Pädagogikstudium. Von 1990 bis 1992 studiert er zusätzlich an der Fachhochschule "Alice Salomon" im Bereich psychosoziale Arbeit. Von 1989 an leitete er einen Verbund sozialpädagogischer Einrichtungen in Berlin und Brandenburg. Er unterrichtet an der ASH in Berlin. Hans-Ullrich Krause ist außerdem Autor von diversen Fachbüchern, Hörspielen und Drehbüchern. Er schreibt auch Krimis, im September erscheint "Warschauer". In diesem Jahr wird auch sein erster Kinderfilm (Regie Veit Helmer) ins Kino kommen: "Quatsch und die Nasenbärbande".

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