Monsoon Baby Drehbuchautor Florian Hanig
Wodurch kamen Sie auf das Thema „Leihmutter“ als Filmstoff?
Vor fünf Jahren habe ich für GEO eine Geschichte über indische Schüler recherchiert - und bin bei der Recherche an einer Fruchtbarkeitsklinik vorbeigelaufen, aus der gerade ein europäisches Paar kam. Das hat mich neugierig gemacht. Am nächsten Tag hab ich mich mit dem Leiter der Klinik unterhalten, der mir dann auch stolz die Zimmer gezeigt hat, in der Frauen mit britischen, amerikanischen und australischen Kindern schwanger gingen. Die Inderinnen erzählten mir, dass sie die Leihmutterschaft als Chance sahen, um ihren eigenen Kindern eine bessere Zukunft zu schenken. In den staatlichen Schulen tauchen nämlich oft wochenlang keine Lehrer auf, die privaten und guten Schulen aber kosten Geld.
Wie „nah dran“ waren Sie an der Problematik?
Zu der Zeit hatte ich auch zwei Paare in meinem Bekanntenkreis, die schon seit mehreren Jahren versucht hatten, schwanger zu werden, mit einer Vielzahl von In-Vitro-Versuchen. Ich habe deren Verzweiflung nach jedem neuen Misserfolg mitbekommen und miterlebt, wie sehr dieser unerfüllte Kinderwunsch eine Beziehung vergiften kann. Auf den ersten Blick schien es also wie eine Win-Win-Situation, von der beide Seiten profitieren, die indischen Frauen wie die deutschen Paare. Aber gleichzeitig war es auch ein verstörendes Bild, später zu sehen, wie aus dem Bauch einer dunkelhäutigen Frau im Sari ein weißes Baby gezogen wurde, das ihr dann nicht gezeigt oder an die Brust gelegt, sondern gleich an das europäische Paar gereicht wurde, das vor der OP-Tür wartete. Während sich die indische Frau nur zur Seite drehte und von Krämpfen geschüttelt wurde.
Das Thema „Leihmutter“ verarbeiteten Sie vor dem Film auch in einer Reportage ...
Ja. Ich habe dann eine GEO-Titelgeschichte über dieses intimste Kapitel der Globalisierung geschrieben und ein deutsches Paar über anderthalb Jahre begleitet. Die hatten ihre Leihmutter allerdings in Südafrika angeheuert und nicht in Indien. Aber ich hatte zu dem Zeitpunkt schon so viel in Indien recherchiert, dass ich den Film auch dort spielen lassen wollte. Auch weil ich eine besondere Beziehung zu dem Land habe: Meine Frau stammt aus Bombay, meine Kinder sind Halbinder.
Dann ist die Filmgeschichte in „Monsoon Baby“ ziemlich authentisch?
Ja, auch wenn der hier dargestellte Fall fiktiv ist. Nach der GEO-Geschichte haben sich viele Paare bei mir gemeldet, die in Indien, Thailand, Südafrika oder den USA Kinder haben austragen lassen. Deren Erfahrungen sind in das Drehbuch eingeflossen. Auch die Szene, in der den Eltern der Pass für das Baby verweigert wird, basiert auf einer wahren Begebenheit. Ein deutsches Paar, das auf tragische Weise seine leibliche Tochter im Teenager-Alter verloren hat und danach die Hilfe einer indischen Leihmutter in Anspruch nahm, wurde der Pass für das Kind verweigert. Der Konsularbeamte glaubte der Frau nicht, dass sie mit 50 Jahren nochmal schwanger wurde. Auch bei dem Paar, das ich für GEO nach Südafrika begleitet habe, war das so. Eine Zeit lang sah es sogar so aus, als ob die Deutschen ihre Zwillinge dort unten zur Adoption freigeben müssen. In allen Fällen, die mir bekannt sind, lief die Geburt ohne Komplikationen ab. Aber natürlich habe ich mich auch gefragt: Was wäre, wenn diese Leihmutterschaft nicht nach Plan läuft? Und in Indien läuft vieles nicht nach Plan.
Was möchten Sie mit Ihrem Film bewirken?
Ich habe den Film nicht geschrieben, weil ich etwas bewirken wollte, sondern mehr, weil ich mir selbst klar werden wollte, wo ich stehe. In Deutschland ist Leihmutterschaft ja strikt verboten, aber es ist wie mit der Abtreibung in den 1970er Jahren. Damals sind Frauen über die Grenze gefahren, um Kinder abtreiben zu lassen, heute fliegen sie ins Ausland, um Kinder zu zeugen. Und Leihmutterschaft ist ein Thema, das uns in Zukunft immer stärker beschäftigen wird. Denn bei jedem sechsten Paar in Europa, das Kinder haben möchte, klappt es inzwischen nicht mehr. Das liegt an der Lebensplanung heute - es ist einfach viel schwerer, mit 35 noch schwanger zu werden, als mit 25 - , vielleicht auch an Umweltgiften. Auf alle Fälle nimmt die Unfruchtbarkeit im Westen zu. Und Adoption ist auch keine Lösung, weil einem Kind, das zur Adoption freigegeben wird, inzwischen fast ein Dutzend Wunsch-Eltern gegenübersteht. Paare, die wertvolle Zeit mit künstlicher Befruchtung vertan haben, kommen da überhaupt nicht mehr zum Zug.
Wie denken Sie persönlich über Paare, die mit allen Mitteln versuchen, Nachwuchs zu bekommen?
Schwieriges Thema. Ich hab selber zwei Jungs, ich weiß um das Glück, das einem Kinder bescheren. Es wäre anmaßend, jetzt zu sagen, ich darf Kinder haben, ihr dürft es nicht. Und ich halte Leihmutterschaft nicht für Teufelswerk. Die allererste Leihmutter war ja eine Südafrikanerin, die Drillinge für ihre Tochter austrug. Die Frau wurde also bei der Geburt gleichzeitig Mutter und Großmutter der Kinder. Und sie hat das aus Liebe zu ihrer Tochter getan und im vollen Wissen des Risikos. Ich finde es gut, dass der südafrikanische Staat dieser Frau nicht das Recht zu dieser Entscheidung genommen hat. Schwieriger wird es, wenn Geld ins Spiel kommt.
Inwiefern?
Man kann wohl Argumente für die kommerzielle Leihmutterschaft vorbringen, wenn medizinische Indikationen vorliegen. Auch von Ärzten erwarten wir ja nicht, dass sie selbstlos heilen. Also sollte auch eine Leihmutter eine Entschädigung für ihre Arbeit bekommen. Aber was, wenn Schauspielerinnen oder Bank-Managerinnen, was in den USA auch geschieht, das Kinderkriegen outsourcen, um ihren Körper zu schonen oder mehr Zeit für die Karriere zu haben? Kant hat einmal geschrieben, dass alles entweder einen Preis oder eine Würde hat. Und eine Leihmutterschaft aus kosmetischen oder finanziellen Gründen empfinde ich als menschenverachtend. Sie nimmt dem Leben die Würde und gibt ihm einen Preis. Hinzu kommt: Wenn europäische oder amerikanische Paare in die dritte Welt fahren, um dort Kinder gebären zu lassen, sind sie mit einer anderen Kultur konfrontiert, in der sie vieles nicht verstehen oder einordnen können - zum Beispiel, ob sich die Leihmutter in einer Notlage befindet oder von ihrem Freund oder Mann prostituiert wird. Und laufen so natürlich große Gefahr, die Frauen dort auszubeuten.
Haben Sie eine Erklärung dafür, warum das Thema „Leihmutter“ in Deutschland so restriktiv gehandhabt wird und hier sogar weltweit die strengsten Regeln zur Fortpflanzungsmedizin gelten?
Das Embryonenschutzgesetz ist natürlich durch die eugenischen Experimente der Nazis geprägt. Wir sehen bei der Reproduktionsmedizin Missbrauchsmöglichkeiten, wo andere Möglichkeiten sehen. Aber ich glaube, es steckt noch mehr dahinter. Wenn man international vergleicht, sieht man, dass die Leihmutterschaft in vielen angelsächsischen Ländern erlaubt ist und in den mitteleuropäischen, katholisch geprägten und skandinavischen Länder nicht. Da verläuft eine Trennlinie, die auf zwei unterschiedliche Auffassungen von Selbstbestimmung zurückgeht. In den angelsächsischen Ländern, vor allem in den USA, gilt „Yes, we can“. Jeder ist seines Glückes Schmied. Und wer nur fest genug an sich glaubt und für sein Ziel kämpft, der schafft es auch. Fast jeder amerikanische Film hat diese Message im Subtext. Wir Kontinental-Europäer sind da in gewisser Hinsicht fatalistischer: Wir glauben nicht, dass jeder Tellerwäscher das Zeug zum Millionär hat. Der Herrgott gibt es, der Herrgott nimmt es. Ob man Kinder bekommt oder nicht, ist eine Frage des Schicksals, dem man sich fügen muss. Das ist ja auch die Position der katholischen Kirche: Wer ein Kind auf künstlichem Weg zur Welt bringt, pfuscht dem Allmächtigen ins Handwerk und fordert das Schicksal heraus.
Waren Sie bei den Dreharbeiten in Indien dabei?
Nein, in Deutschland ist das nicht üblich, dass die Autoren noch auf dem Set dabei sind wie in den USA. Hier ist die Zusammenarbeit zwischen Autor und Regisseur mehr ein Hintereinander als ein Miteinander. Schade eigentlich, aber in dem Fall hat es mich auch nicht gestört, weil ich schon so oft in Indien war. Wenn ich alle Stempel im Pass zusammen zähle, komme ich auf knapp 30.
Was fasziniert Sie an dem Land – was erschreckt Sie?
Was mich fasziniert, ist, dass Indien die einzige antike Hochkultur ist, die überlebt hat. Azteken, Mayas, die alten Griechen, Ägypter, Chinesen - alle untergegangen. Indien aber hat sämtliche Invasionen absorbiert. Und es ist eins der wenigen Länder, in denen Gott nicht tot ist. Das steht schon auf jedem Lastwagen: Gott ist groß. Bitte hupen. Und auch wenn ich selber keiner Religionsgemeinschaft angehöre, berühren mich die Spiritualität und der Glaube der Menschen dort tief. Und ich bin dankbar für die Werte, die Indien in die Welt gebracht hat, von Buddha bis Gandhi. Was mich erschreckt, sind die Nachrichten, die wir alle in den Zeitungen lesen. Manchmal kommt mir Indien wie eine Schichttorte durch alle Zeiten vor: Zwischen finsterem Mittelalter und strahlender Zukunft liegt in Delhi oft nur eine U-Bahn-Station.
Ihr Film „Monsoon Baby“ wirkt stellenweise wie eine spannende und einfühlsame Langzeitdokumentation. Sie sind beides, Journalist und Drehbuchautor. Was können denn Drehbuchschreiber von Reportern lernen?
Den dokumentarischen Charakter verdankt der Film natürlich auch der Inszenierung und der tollen Kamera-Arbeit. Was das Lernen angeht, kann ich da nur für mich sprechen: Ich schreibe gerne Drehbücher, weil Filme den Menschen viel direkter in die Seele greifen, aber ich bin jetzt auch nicht der Typ, der sich monatelang mit seinen fiktiven Figuren in ein Zimmer einsperren könnte. Ich bin gerne Reporter, ich bin gerne in der Welt unterwegs, treffe spannende Leute und begleite sie ein bisschen auf ihrem Weg. Und stelle dabei immer wieder fest: Oft ist die Wirklichkeit viel aufregender als alles, was ich mir vorgestellt habe.