Interview mit Thomas Berger Fragen an den Regisseur und Drehbuchautor
Thomas Berger, Drehbuchautor und Regisseur von "Der Prediger", erläutert seinen Ansatz im Interview.
Die Inspiration zu "Der Prediger" beruht auf einer wahren Begebenheit, über die Sie in der Zeitung gelesen haben. Was hat Sie an dieser Geschichte besonders gereizt?
Thomas Berger: Ernst Ganzert, der Produzent des Filmes, hat den Stoff an mich herangetragen. Uns beide hat sofort fasziniert, dass gerade die Institution Kirche, die ja für Vergebung steht, in die schwierige Situation gerät, ausgerechnet einem verurteilten Mörder vergeben und ein Theologiestudium genehmigen zu müssen. Damit ist für die Kirche ein Konflikt mit der öffentlichen Meinung und den eigenen Gemeinden vorprogrammiert.
Im wahren Leben hat sich die Geschichte über einen Zeitraum von fast 30 Jahren erstreckt. Der Mord und die Übernahme einer Gemeinde lagen für den wahren Täter fast Jahrzehnte auseinander. Für einen Film ist so eine lange Zeitspanne dramaturgisch völlig spannungslos. So hatte ich als Autor die Aufgabe, die Geschichte neu zu "erfinden" und in eine dramatische Form zubringen. Etwas stand für mich sofort fest: der Titel "Der Prediger".
Wie haben Sie sich diesen Stoff zu eigen gemacht, welche Recherchen haben Sie angestellt? Hatten Sie die Möglichkeit, mit Betroffenen (verurteilte Straftäter, Angehörige von Mordopfern, Kirchenvertreter wie z.B. Gefängnispfarrer, ...) über Ihre Erfahrungen zu sprechen und diese Gespräche in das Drehbuch einfließen zu lassen?
Die Hauptaufgabe bestand für mich darin, die beiden Protagonisten in einen Glaubenskonflikt zu bringen. Ralf Remberg, der Referent des Bischofs, steht in dem Film für den Glauben der Institution Kirche, während Jan-Josef Geissler eher eine Art spirituellen Glauben vertritt. Dazu habe ich mich, neben den Gesprächen mit Kirchenvertretern, in die entsprechende Literatur eingelesen und bin den Fragen gefolgt, die in diesen Büchern gestellt werden. Zum Beispiel: Sind Strafe und Verdammnis wirklich das von Gott gewollte Instrument, um den Fehlern der Menschen zu begegnen, die doch so sehr an seine Liebe und Güte glauben?
Was stand für Sie bei der Entwicklung der Geschichte im Vordergrund – die Schuldfrage oder die Bedeutung von Religion und Glaube in unserer heutigen Gesellschaft?
Sicher die Frage, was Glaube für uns heute noch bedeutet. Welche Gedanken machen wir uns über unseren Glauben? Glauben wir überhaupt noch?
Ich denke, dass jeder von uns irgendwann in seinem Leben zu einer Art von Glauben findet. Oder zurückfindet. Meist wenn ein schwerer Schicksalsschlag uns zwingt, einen neuen Weg einzuschlagen. Das kann ein schwerer Verlust oder eine schlimme Diagnose sein. Wenn die Frage nach dem Sinn des Lebens so drängend wird, dass nur die Beschäftigung mit dem Glauben uns noch Antworten gibt. Natürlich muss dieser Glaube nicht in der Evangelischen oder Katholischen Kirche verankert sein. Buddhismus. Hinduismus. Islam. Die Welt ist voller Angebote für denjenigen, der Fragen hat und sich auf die Suche macht. Sie werden erstaunt sein, wie sehr Religion, Philosophie aber auch Wissenschaften wie die Neurologie Schnittmengen bilden. Lesen Sie zum Beispiel mal Gerald Hüter.
Der Bischofsreferent Ralf Remberg (Devid Striesow) lernt im Laufe der Handlung, sich seinem Gegenspieler unvoreingenommener zu nähern. Wie schwierig war es, den Figuren eine Vielgestaltigkeit und Widersprüchlichkeit in ihrem Charakter und psychologische Zwischentöne zu geben?
Eigentlich war das gar nicht schwierig! Im Grunde sprechen Remberg und Geissler nur die Fragen aus, die ich mir selbst stelle. Sie sind zwei Seiten meiner Persönlichkeit, die miteinander diskutieren. Ich möchte jedoch betonen, dass ich mir nicht anmaße, die richtigen Antworten zu finden. Ich glaube aber, dass es für Menschen schon tröstlich ist zu wissen, dass andere sich vielleicht dieselben Fragen stellen. Das ist etwas, das gutes Fernsehen immer schon leisten konnte.
Ralf Remberg hat über die Jahre, die er seinen Beruf ausübt, die wahre Motivation für sein Theologiestudium schon lange verdrängt. Vielleicht weil die verwaltungstechnischen Aufgaben seines Berufes zu übermächtig geworden sind und zu viel Raum eingenommen haben. Das passiert vielen Menschen. In allen Institutionen und Systemen. Fragen Sie mal Ärzte oder Anwälte nach einem langen Berufsweg, warum sie sich für ihr Studium entschieden haben. Da finden Sie viel verlorenen Idealismus. Und Frustration. Nur haben wir alle gelernt, die Fragen danach zu verdrängen. Das macht uns scheinbar überlebensfähig. Scheinbar!
Durch die Auseinandersetzung mit Jan-Josef Geissler erhält Ralf Remberg im Film die Chance, sein Leben neu zu überdenken und die Ziele neu zu justieren. Geissler sagt an einer Stelle, dass das Leben sie beide zusammengeführt hat, damit Remberg sich wieder Gedanken macht. Über Gott und über seinen Glauben.
Der Film ist gleichzeitig eine kritische Betrachtung der Kirche. Der Titel "Der Prediger" wird vom Gefängnisleiter nicht als positive Bezeichnung für die seelsorgerischen Tätigkeiten Geisslers (Eidinger) seinen Mitinsassen gegenüber verwandt. Welche Rolle kommt dem Seelsorger im Gefängnis zu?
Der Titel "Der Prediger" ist gewählt, weil er Assoziationen zu den Wanderpredigern überall auf der Welt (auch in den modernen Staaten wie den USA) wecken soll. Das sind selbsternannte Diener Gottes, die über kein Theologiestudium verfügen. Studierte Theologen mögen zu ihnen ein ähnliches Verhältnis haben, wie studierte Mediziner zu einem Wunderheiler. Da muss man sich nur das Verhältnis der Schulmediziner und der Homöopathen anschauen. Dabei wird nur gerne vergessen, dass Jesus auch nur ein Prediger war.
Ich denke, dass ein gesunder und neugieriger Geist in der Lage ist, die richtigen Fragen zu stellen, und mit der richtigen Empathie zu Menschen anderen zu helfen. Auch ohne Studium.
Die Kirchenvorsteher wiederum werden als eine Gemeinschaft dargestellt, denen die öffentliche Darstellung wichtiger als der Dialog mit Gott geworden ist. Das ist ein starker Vorwurf, sehen Sie die Kirche wirklich so?
Ach, wissen Sie, das beschreibt natürlich nur eine Seite der Medaille. Die Kirche ist wie jede Institution auf der Welt am eigenen Machterhalt interessiert. Damit funktionieren sie genauso wie wirtschaftliche und politische Systeme. Das sagt aber natürlich nichts darüber aus, ob die Ziele einer Institution positiver oder negativer Natur sind.
Lassen Sie uns mal von der These ausgehen, dass die Kirche positive Ziele verfolgt. Dann muss sie dafür Sorge tragen, ihren gesellschaftlichen Stand zu erhalten. Nur der versetzt sie in die Lage, ihre Ziele auch durchzusetzen. Aber dieser gesellschaftliche Stand ist nun mal von der öffentlichen Meinung abhängig. Und die bestimmt durch Ein- oder Austritte die Höhe der Einnahmen der Kirche. Das konnte man im letzten Jahr doch beobachten.
Also: Kann man Bischof Blum einen Vorwurf machen? Er versucht das Ansehen seiner Kirche zu schützen. Gegen einen Mann, dessen Motivation er nicht beurteilen kann. Verantwortung tragen heißt doch immer auch, unpopuläre Entscheidungen treffen zu müssen. Und Blum ist am Ende bereit, seine Meinung zu revidieren.
Mit Devid Striesow und Lars Eidinger sind die beiden Hauptrollen des Films mit zwei faszinierenden Schauspielern besetzt, die Rollen wirken wie auf den Leib geschrieben. Inwiefern hatten Sie die beiden Rollen schon während der Arbeit am Drehbuch mit den beiden besetzt?
Gar nicht. Es hat schon oft für Überraschung gesorgt, dass ich mir beim Schreiben nie einen bestimmten Schauspieler vorstelle. Komischerweise beschneidet das meine Fantasie statt sie zu beflügeln.
Dennoch bin ich mehr als glücklich, mit den beiden großen Talenten an diesem Projekt gearbeitet zu haben. Obwohl wir nie über die Texte diskutieren mussten, waren die Gespräche über deren Inhalt sehr befruchtend. Jeder von uns hatte das Gefühl auf eine Reise zu gehen, auf der man noch einmal etwas lernen darf.
Was prädestiniert Lars Eidinger für die Rolle des zum Glauben konvertierten Mörders?
Ich denke, was Lars befähigt, diesen komplexen Charakter zu spielen, ist seine enorme Kraft und Qualität seines Könnens. Er ist mit Sicherheit einer der talentiertesten Schauspieler, die wir in Deutschland haben.
Obwohl er ein kleines Instrumentarium bemüht, sind alle Emotionen in seinen Augen zu sehen. Niemand, der den Film bisher angeschaut hat, konnte die Frage nach der Schuld oder Unschuld von Jan-Josef Geissler vor dem Ende beantworten. Das ist sicher Lars Eidinger zu verdanken.
Wie haben Sie die Zusammenarbeit mit den beiden Darstellern Devid Striesow und Lars Eidinger erlebt?
Mit einfachen Worten: Es war ein Fest für mich! Wir waren schnell in der Lage, uns mit kleinen Gesten und Blicken zu verständigen. Devid ist ein sehr intuitiver Schauspieler. Er nutzt die Stimmung am Set und die Verbindung zu seinem Partner und dem Regisseur. Er erkennt am "Danke", ob es einen weiteren Take geben wird oder nicht. Sein Vertrauen ist groß genug, um zu wissen, dass es dann auch keine weitere Einstellung mehr braucht. Das ist für einen Regisseur ein großes Geschenk.
Nicht nur Lars und Devid haben mehr als einmal betont, dass sie (außer am Theater) schon lange keine Szenen mehr von dieser Länge erarbeiten mussten. In einem Bild haben wir Takes von neun Minuten Länge gedreht. In diesen langen neun Minuten hing das Team gebannt an den Lippen der beiden Schauspieler. Aber auch der großartige Erwin Steinhauer und Gerhard Liebmann haben jeden Tag eine wunderbare Arbeit abgeliefert. In der Tonmischung hat ein Techniker einmal gesagt, dass man bei allen Beteiligten spürt, dass sie mit Herzblut ein Teil des Filmes sind.
Ich finde das auch!