Der Prediger Interview mit Lars Eidinger
Sie spielen oft psychologisch komplexe Rollen, den Stalker, den Sohn einer zerrütteten Familie, die Transsexuelle und nun als Jan-Josef Geissler einen inhaftierten Frauenmörder. Was reizt Sie an diesen Rollen?
Erstmal gehe ich davon aus, dass diese Art von Rollen generell reizvoll für Schauspieler sind. Kein Mensch wird Schauspieler um sich selbst zu verkörpern. Die Sehnsucht ist immer die Verwandlung, sich von der eigenen Persönlichkeit zu entfernen und in Bereiche vorzudringen, die einem unbekannt und fremd sind. Das ist bei mir nicht anders. In erster Linie bin ich froh darüber, dass mir derartige Rollen angeboten werden. Ich finde es auch wesentlich lustvoller den Abgründen nachzuspüren, als immer nur dem Alltäglichen. Was mich aber vor allem reizt, ist diesen extremen Charakteren Glaubwürdigkeit zu verleihen und nicht in Klischees und Allgemeinplätze zu verfallen. Die Voraussetzung dafür ist, dass ich eine Figur aus ihrer ihr innewohnenden Logik heraus nachvollziehen kann, um mich überhaupt mit ihr als Spieler identifizieren zu können. Nur so erschließt sich mir die Figur. Die Gefahr ist immer, sich als Schauspieler zu sehr von der Rolle zu distanzieren und sie vorzuführen.
Die Zwiegespräche zwischen Jan-Josef Geissler und dem Bischofsreferenten Ralf Remberg (Devid Striesow) sind sehr pointiert, präzise und scharf. Geissler scheint keinen Respekt vor dem Gottesmann zu haben. Woher nimmt er diese Kraft und Selbstsicherheit?
Geissler ist in gewisser Weise geläutert. Er hat durch seinen Gefängnisaufenthalt und die Auseinandersetzung mit der Bibel viel über sich selbst begriffen und ist mit sich weitgehend im Reinen. Das ermöglicht ihm auch Remberg gegenüber eine große Offenheit. Die Faszination Jan-Josef Geisslers geht in erster Linie von einer entwaffnenden Direktheit und Aufrichtigkeit aus. Das bringt ihn trotz seiner defensiven Ausgangssituation in die Offensive.
Mit einer stoischen Gelassenheit und Überlegenheit gegenüber allen erträgt Jan-Josef Geissler seine Haftzeit und die gegen ihn erhobenen Vorwürfe. Eine realistische Reaktion oder eher ein Schutzmechanismus?
Vielmehr glaube ich, dass Jan-Josef Geissler an einen Punkt angelangt ist, an dem die Schuldfrage nicht mehr im Vordergrund steht, sondern die Frage, wie Gesellschaft mit Menschen umgeht, die sich schuldig gemacht haben, beziehungsweise wie Religion sich zur Schuld verhält. Vor allem aber wie jemand, der sich in moralischer Hinsicht schuldig gemacht hat und so aus der Gesellschaft fällt, Vergebung erlangen kann und wieder aufgenommen wird.
"Der Prediger" beleuchtet die Kirche als Institution in einem eher kritischen Licht, die gläubigen Familien sind konservativ und im Falle der Familie Feininger sogar sehr engstirnig. Können Sie diesen Aspekt nachvollziehen?
Ich bin schon lange aus der Kirche ausgetreten, weil ich nicht an ihre Interpretation der Bibel glaube und sie als nicht stimmig und sogar bigott empfinde. Die Bibel an sich finde ich allerdings sehr inspirierend, mich stößt nur die Auslegung der Katholiken und Protestanten ab beziehungsweise die Diskrepanz zwischen gepredigter und gelebter Religion seitens der Kirche. An diesem Punkt gehe ich mit Geissler mit, der Remberg herausfordert diese Widersprüchlichkeit zu hinterfragen.
Sie und Devid Striesow kennen sich schon seit vielen Jahren, spätestens seit der gemeinsamen Zeit an der Schauspielschule "Ernst Busch" in Berlin. Dennoch gab es bisher noch nicht viele gemeinsame Produktionen mit Ihnen beiden (zuletzt im ARD-Fernsehfilm "Verhältnisse" in 2010). Wie war es, wieder gemeinsam vor der Kamera zu stehen?
Ich spiele wahnsinnig gerne mit Devid, weil er mich als Partner fordert. Devid ist ein großer Spieler, sehr schnell im Kopf und virtuos in seinen Mitteln. Es gab beim Prediger eine Spielszene, die neun Minuten gedauert hat und in der Geissler sehr emotional wird. So etwas funktioniert nur, wenn man einen Partner hat, der kollegial ist, dem man vertrauen kann und der die nötige Konzentration im Zusammenspiel aufbringt. Devid ist darin ein absolut verlässliches Gegenüber. Außerdem hat er einen großartigen Witz und es macht viel Spaß mit ihm am Set zu sein.