Volker Heise erklärt Die Projektidee
DIE FORM IST DIE MESSAGE
Am Anfang dieses Formats stand eine Idee oder eine Frage. Wie soll eine Stadt, wie soll ein Land wie Bayern erzählt werden, wie geht das? Wie geht das, ohne auf eine platte Ebene zu kommen, ohne in Klischees zu verfallen. Und die Antwort war: Wir stürzen uns einfach einen Tag lang in den Alltag der Leute und senden das dann einen Tag lang. Ich hatte nie daran gedacht, dass es dann dutzende Teams werden, monatelange Recherchen, Hubschrauber in der Luft, der ganze Aufriss, das war eher eine Folge der Grundidee. Es wurde einfach immer größer und größer, und am Ende hatten wir dann dieses Projekt, dieses Ereignis. Es war auch schnell klar, durch die Recherche, dass wir es in Bayern – viel mehr noch als in Jerusalem oder Berlin – mit einer Vielfalt zu tun haben, mit Widersprüchen, nicht nur unter den Menschen, auch unter den Landschaften, und dass wir am Ende niemals würden sagen können: So, das ist jetzt Bayern. Jetzt haben wir es. Hurra. Es würde uns immer nur gelingen, für kurze Augenblicke so etwas wie ein Resümee zu haben, eine Synthese, die gleich wieder verworfen werden muss. Kurze Augenblicke der Wahrheit. Und die Idee war, diese Momente miteinander zu verweben, wie ja auch die Gesellschaft jeden Tag neu gewebt wird, und dann eher Muster erkennbar zu machen als letztgültige Antworten.
Mir schien diese Art zu erzählen – die parallelen Handlungen, das Springen von einem Protagonisten zum anderen, die Art der gegenseitigen Wahrnehmung – auch die richtige Art zu sein, um Gegenwart zu erzählen. Die Welt sehen wir ja nicht mehr als Ganzes, als eine in sich schlüssige Sinneinheit, sondern immer nur in Ausschnitten. In kurzen Momenten oder Fetzen. Flüchtige Eindrücke. Schnappschüsse. Auf der anderen Seite ist aber der Wunsch da, diese Eindrücke zu einem Ganzen zusammenzufügen, sie zu erklären, auf einen Punkt zu bringen, was meistens in Paranoia endet. Ich wollte weder das eine noch das andere, weder beliebig sein noch paranoid, und der Ausweg war, die Menschen zu beobachten in ihrem Alltag und aus diesen Eindrücken, diesen Splittern, ein Mosaik zu bauen, eine sich immer wieder neu bildende Collage. Die trägt zwar keine schlüssige Botschaft in sich, kann aber Verbindungen und Brüche zeigen, eine Art Comédie Humaine, in der die Verschiedenheit der Lebensentwürfe und Schicksale zum Tragen kommen in ihrer Tragik, in ihrer Komik, in ihrer Schönheit. Es ist auch kein Film geworden. Ein Film hat ja einen Anfang und ein Ende und entlässt einen mit einem Ergebnis. Die Geschichte ist vorbei. Aber der Alltag ist nie vorbei, die Gesellschaft hört nie auf, Gesellschaft zu sein und sich neu zu bilden. Darum habe ich nach einer Form gesucht, nach einer Erzählweise, die nie zu ihrem Ende kommt, und diese Erzählweise ist das Programm. Fernsehprogramme sind ja theoretisch endlos, es wird rund um die Uhr gesendet, und sie organisieren Inhalte auf einer Achse, die voranschreitet, in die Zukunft. So ist auch »24h Bayern« angelegt: Es geht immer weiter, es gibt kein Ende, theoretisch könnte das Programm am nächsten Tag ab sechs Uhr weiterlaufen mit neuen Protagonisten oder alten, mit neuen Landschaften oder schon gesehenen. Ein Programm, das keiner von Anfang bis Ende sehen kann – es ist physisch unmöglich, die 24 Stunden zu sehen, wir haben es versucht –, das also auch in dieser Form keinen Anfang und kein Ende hat, sondern immer nur ein Mittendrin.
GESCHICHTE(N) ERZÄHLEN
Wir leben ja alle in unserer Blase. Jeder hat ein Umfeld, das er für die ganze Welt hält. Blasen sind schön und notwendig, weil sie gemütlich sind und Schutz bieten. Blasen sind aber auch gefährlich, weil sie begrenzen und die Tendenz haben, anderen den eigenen Lebensentwurf überzustülpen. Ich wollte auch nicht meine Sicht auf Bayern umsetzen, meine Vorstellung, sondern das Projekt eher aus sich heraus entstehen lassen; aus den Leuten, die vor und hinter der Kamera stehen. Mein Lieblingsmittel gegen die Blase-als-Welt sind immer Statistiken, demografische Verläufe, Zahlen: Wer lebt wo und wovon? Wie viele Alte, wie viele Junge? Verteilung von Reichtum, von Mitteln. Dichte der Bevölkerung. Das war die Basis, von der wir ausgegangen sind bei der Auswahl der Drehorte und der Protagonisten. Ein Thema wie Migration wird aber nicht herausgestellt im Programm, sondern eingebettet: Wenn der Anteil in Bayern bei knapp 25 Prozent liegt, dann kommen auch 25 Prozent Migranten oder Postmigranten vor.
Grundsatz war bei den Dreharbeiten und später im Schnitt: Wir urteilen nicht. Was immer die Leute sagen, was immer sie tun: Wir urteilen nicht. Wir folgen ihnen, damit andere ihnen folgen können, später, im Fernsehen. Es geht bei diesem Projekt eben nicht darum, dass jeder sein Bayern wiedererkennt, sondern das Bayern der anderen. Davon gibt es ziemlich viele, und wir haben versucht, sie ansatzweise sichtbar zu machen. Das fängt mit den Landschaften an, in die die Menschen eingebettet sind, von den großen Alpen-Bildern bis hin zu Industrielandschaften; von Luftaufnahmen, um die Weite des Landes erzählen zu können bis zu Impressionen, die den Rhythmus des Tages sichtbar machen, den Takt des Lebens. Wir haben gezielt nach diesen Bildern gesucht, wie wir auch gezielt danach gesucht haben, regionalen Eigensinn wie etwa Dialekte und Bauweisen einfließen zu lassen, ohne sie auszustellen.
HEIMAT
Ehrlich gesagt, konnte ich anfangs mit dem Untertitel »Ein Tag Heimat« nicht so viel anfangen. Heimat war für mich immer das Reich der Kindheit, die Zeit der grenzenlosen Unschuld und Neugier, nach der wir uns im späteren Leben sehnen, ohne zurückkehren zu können. Heimat verschwindet ja auch sehr schnell, heute schneller als jemals zuvor, weil sich die ökonomischen und sozialen Rahmen und Strukturen in einer Geschwindigkeit wandeln, die kaum noch einzuholen ist, auch in Bayern. Oft ist es gerade der ökonomische Erfolg, die Umwandlung eines agrarisch strukturierten Landes in eine High-Tech-Gesellschaft in wenigen Jahrzehnten, die Verluste produziert und Sehnsüchte. Ich erinnere mich an einen Landwirt, der letzte seiner Art in einem niederbayerischen Dorf, der zum Fremden im örtlichen Wirtshaus geworden ist, weil er mit niemandem mehr über seinen Alltag reden kann. Er bringt Gülle nur bis Freitagmittag aus, weil es sonst Ärger mit den Nachbarn gibt, die ihr Wochenende genießen wollen und für die Natur eher Wellness bedeutet als Ackerbau und Viehzucht. DAS ARCHIV DER GEGENWART Neben der Idee und den Erzählschichten gibt es natürlich auch noch den anderen Aspekt: Die schillernde, prominente Seite, das Fernsehereignis in Echtzeit. Aber für mich ist das Endprodukt nur vorläufig, das gesamte Material geht ja zum Bayerischen Rundfunk, wo es aufbewahrt wird, Post in die Zukunft, damit unsere Kinder sich später anschauen können, wie in Bayern gelebt wurde an einem Tag im Juni 2016. Manchmal stelle ich mir vor, ein Regisseur nimmt sich in 50 Jahren des Materials an und baut ein ganz anderes Werk daraus als wir es vermochten. Die Zukunft wird mit anderen Augen auf das Material schauen und andere Fragen stellen. Wir bleiben immer Teil der Gegenwart, sich aus ihr zu erheben, ist nicht möglich. Wir haben dann begonnen, in Schichten zu arbeiten, also verschiedene Schichten des In-Bayern-Seins in das Programm zu nehmen, von alteingesessenen Bauern bis hin zu Flüchtlingen, die gerade in Bayern angekommen sind und im Asylverfahren stecken. Mittlerweile denke ich, dass Heimat eher ein Ort ist, der in der Zukunft liegt, und mag den Untertitel des Programms sehr.
DAS ARCHIV DER GEGENWART
Neben der Idee und den Erzählschichten gibt es natürlich auch noch den anderen Aspekt: Die schillernde, prominente Seite, das Fernsehereignis in Echtzeit. Aber für mich ist das Endprodukt nur vorläufig, das gesamte Material geht ja zum Bayerischen Rundfunk, wo es aufbewahrt wird, Post in die Zukunft, damit unsere Kinder sich später anschauen können, wie in Bayern gelebt wurde an einem Tag im Juni 2016. Manchmal stelle ich mir vor, ein Regisseur nimmt sich in 50 Jahren des Materials an und baut ein ganz anderes Werk daraus als wir es vermochten. Die Zukunft wird mit anderen Augen auf das Material schauen und andere Fragen stellen. Wir bleiben immer Teil der Gegenwart, sich aus ihr zu erheben, ist nicht möglich.
Volker Heise, Regie und Entwicklung Zero One Film