Neues Album von Bon Iver Das Klischee vom leidenden Künstler ist zurück. Zum Glück.
Bon Iver hatte eines der besten Debütalben aller Zeiten rausgebracht. Dann wurde er zum Star, gewann Preise – und Kanye West zum Freund. Nur musikalisch nichts dazu. Mit seinem neuen Album findet unsere Autorin ihre Liebe wieder.
Band-Auflösung, gesundheitlicher Zusammenbruch, gebrochenes Herz - das ist die Vorgeschichte zu Bon Ivers Debütalbum aus dem Jahr 2008: "For Emma, Forever Ago" könnte in seiner Aufrichtigkeit sehr gut das beste Debütalbum aller Zeiten sein. Geld hat Justin Vernon zu der Zeit ausgerechent als Tellerwäscher verdient - welch Klischee. Irgendwann läuft er dem ganzen Scheiß davon und verkriecht sich mit seiner Gitarre in einer Waldhütte am Ende der Welt. Und seine Musik klang nach Einsamkeit.
Nach "For Emma, Forever Ago" steigt die Messlatte fürs zweite Album in unerreichbare Höhen. Also veröffentlicht Vernon erst einmal eine EP, vertreibt sich die Zeit mit Projekten wie Volcano Choir und Gayngs und verhilft Kanye West zu seinem Meisterwerk "My beautiful dark twisted fantasy". Aus dem Jungen aus Wisconsin ist jetzt ein Superstar geworden.
Wo ist das zerrissene Herz?
2011 kommt sie dann, die zweite Platte "Bon Iver, Bon Iver". Ich erinnere mich, wie ich mich davor drücke, sie anzuhören, aus Angst, sie wäre nicht gut. War natürlich Quatsch. Da ist doch alles wieder, Vernons perfekt aufeinander gestapelte Falsettspuren. Sein Gespür für simple Melodien und den Platz, den man ihnen einräumen muss - nur dieses Mal mit viel mehr Elektronik drum herum. Etwas fehlt mir: Das Gefühl, dass es ihm wirklich das Herz zerrissen hat in diesen Songs, die emotionale Aufrichtigkeit. Mein Anspruch ist nach so einem Debutalbum aber auch sehr hoch - selbst Schuld, Justin Veron, denke ich mir.
Seither wirkt es manchmal so, als ob sich Vernon verzettelt. Er kooperiert beispielsweise mit James Blake und natürlich kommt da etwas Hübsches bei rum: acht von zehn Punkten. Aber irgendwie werde ich das Gefühl nicht los, dass er sich hinter den ganzen elektronischen Spielereien versteckt. Als ich höre, dass er überlegt, das Projekt Bon Iver zu beenden, denke ich klammheimlich: vielleicht besser so, bevor er den eigenen Mythos zerstört. Doch dann, gerade als ich nicht mehr damit gerechnet habe, kommt Bon Iver zurück. Und wie.
Die Nähe kehrt zurück
Nach fünf Jahren ist das emotional Unmittelbare wieder da. Verlust und Einsamkeit, darum ging es beim rumpelig aufgenommenem Debüt. Die Emotionen auf "22 A Million" sind komplexer. So überstrapaziert das Klischee vom leidenden Künstler auch ist: Angeblich musste Vernon davor wieder durch eine schwere Zeit. Ein guter Freund und Ex-Bandkollege berichtet, wie er einen kompletten Zusammenbruch von Justin Vernon miterlebt hat. Angeblich bekam er kaum noch ein Wort heraus. Genau diese Überforderung, seine Angst und sein Ringen nach Worten - all das hört man auf "22 A Million".
Das Verrückte an dieser Platte ist: Je mehr Vernon seine Drums zerhackt, seine Instrumente verzerrt und seine Stimme ver-autotuned, umso intimer wird es - umso näher rückt man als Hörer. Nur um dann, im richtigen Moment wieder ein, zwei Schritte zurück zu gehen - mit offenem Mund, den Kopf weit im Nacken, wie wenn man in einer Kathedrale steht und versucht die komplette Schönheit auf einmal zu begreifen.