Überfliegerstudent und Kommunist Zu links zum Promovieren?
Kerem Schamberger möchte Doktor der Kommunikationswissenschaft werden. Eine Stelle an der Uni hat er, antreten durfte er sie lange nicht - weil er bekennender Kommunist ist. Ein Einzelfall oder die Regel in Bayern?
Kerem Schamberger ist frustriert. Vor Monaten hat er sich für eine Doktorandenstelle am Institut für Kommunikationswissenschaft in München beworben, und lange wusste er nicht, ob er sie antreten darf. Grund ist seine politische Überzeugung: Er ist Kommunist. In der linken Szene in München ist der 30-Jährige sehr präsent. Er ist aktuell Sprecher der Deutschen Kommunistischen Partei, hat zuvor die Sozialistische Deutsche Arbeiterjugend (SDAJ), den Verein "Rote Hilfe e.V." und die "Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes - Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten" unterstützt. Alle vier werden vom Verfassungsschutz beobachtet.
Seine Uni-Bewerbung ging direkt an den Verfassungsschutz
Die Universität hat seine Bewerbung an den Verfassungsschutz geschickt. Denn: Wer an der Universität oder generell im öffentlichen Dienst arbeiten will, muss einen "Fragebogen zur Prüfung der Verfassungstreue" ausfüllen, in dem er angeben muss, ob er extremistische Organisationen oder Parteien unterstützt.
Dieses Gesetz geht auf den sogenannten Radikalenerlass zurück. Es wurde 1972 beschlossen und sollte verhindern, dass Extreme sich in den öffentlichen Dienst einschleichen. Kerem hatte das nicht vor und deshalb in seiner Bewerbung wahrheitsgemäß geantwortet: "Es hätte nichts gebracht, meine Position als Sprecher der DKP zu verschweigen."
Professor Michael Meyen: Ein "herausragender Student"
Sein Professor Michael Meyen hat mit der politischen Überzeugung seines Doktoranden kein Problem - im Gegenteil:
"Ich finde generell gut, wenn die Studierenden bei uns mit Persönlichkeiten zu tun haben, die über den Tellerrand der Wissenschaft hinausschauen. Da hätten wir mit Kerem Schamberger jemanden, der das ganz wunderbar ausfüllen könnte."
Prof. Michael Meyen vom Institut für Kommunikationswissenschaft in München
Kerem war seiner Meinung nach ein "herausragender Student". Deshalb hat er ihm gerne eine Doktorarbeit und eine dazugehörige halbe Stelle als wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut angeboten. Das würde bedeuten: Zweieinhalb Stunden pro Woche müsste Kerem Erstsemester in Kommunikationswissenschaft unterrichten. In seinem zukünftigen Beruf würde der Kommunist Schamberger wohl kaum zum Vorschein kommen.
Professor Meyen sagt: "Unser Fach ist inzwischen so stark an einen Methoden-und Theoriekanon gebunden. Da ist es relativ schwer, in wissenschaftliche Arbeiten politische Ansichten unterzubringen. Wir können keine Politik betreiben, wir müssen gute Wissenschaft abliefern."
Mitglieder der Partei DIE LINKE jahrelang auf dem Index
Doch das ändert nichts. Das Wintersemester hat bereits begonnen und Kerem sitzt immer noch zu Hause. Für ihn liegt das an der CSU-Regierung in Bayern.
"Für mich ist offensichtlich, dass der Verfassungsschutz auf dem rechten Auge blind ist. Im NSU-Skandal übersieht er, dass Neonazis jahrelang mordend durch das Land ziehen. Aber bei allem was gesellschaftskritisch oder links ist, sieht er eine potentielle staatsgefährdende Gefahr."
Kerem Schamberger
Haben es Linke in Bayern besonders schwer? Dafür spricht, dass bis zu diesem Jahr auch Mitglieder der Partei DIE LINKE vor ihrem Job im öffentlichen Dienst vom Verfassungsschutz geprüft wurden. Beim Studierendenverband der Partei ist das immer noch der Fall. Und das obwohl die LINKE in anderen Bundesländern sogar Regierungspartei ist.
Verfassungsschutz: Linksextreme werden nicht besonders stark kontrolliert
Der Verfassungsschutz sieht das anders. Im Jahr 2016 wurden bis August 537 Bewerber im öffentlichen Dienst überprüft. Nicht einmal ein Prozent davon waren Linksextreme, sagt Verfassungsschutz-Pressesprecher Marcus Schäfert. Das seien nicht einmal zehn Personen. Deshalb sei es falsch, zu behaupten, Bayern würde Linksextreme besonders streng kontrollieren, Rechtsextreme oder Islamisten aber nicht. Für ihn ist Kerem einfach selbst Schuld:
"Wer Mitglied einer extremistischen Organisation oder Partei ist, der kann sich letzten Endes nicht nur die demokratischen Rosinen herauspicken, sondern der muss sich dann das jeweilige Programm auch zurechnen lassen und dann eben auch die extremistischen Bestandteile eines solchen Programms."
Marcus Schäfert, Pressesprecher des Landesamts für Verfassungsschutz
Entscheidung über Kerems Zukunft liegt jetzt bei der Universität
Normalerweise dauert die Überprüfung des Fragebogens nur ein paar Tage, bei Kerem lagen aber eine Vielzahl an Erkenntnissen vor. Deshalb hat es länger gedauert. Jetzt sei die Überprüfung aber abgeschlossen.
Grundsätzlich spricht der Verfassungsschutz nur eine Empfehlung aus. Die Uni entscheidet dann selbst, ob sie den Nachwuchswissenschaftler trotzdem einstellt. Sollte sie ablehnen, will er klagen. Eine Anwältin hat er bereits engagiert. Denn er will unbedingt beides sein: Kommunist und Wissenschaftler.
Kerem hat es geschafft
Vier Monate zittern, jetzt die große Erleichterung: Kerem Schamberger wird ab dem 1. Januar 2017 Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Kommunikationswissenschaft und Medienforschung (IfKW) an der LMU. Auf seiner Facebook-Seite schreibt er, dass sich die Münchener Uni "dem Begehren der Bayerischen Landesregierung, die unselige Politik der Berufsverbote wieder zu beleben, widersetzt. Das ist gut und entspricht unserem Grundgesetz."
Auch wenn er auf dem Foto bei der Vertragsunterzeichnung freudig lacht - die Haltung der Bayerischen Staatsregierung habe ihn vier Monate seiner wissenschaftlichen Arbeit gekostet hat, schreibt er in dem Post. Und er sei kein Einzelfall. Deshalb geht für ihn die Arbeit jetzt erst richtig los:
"Unser Grundgesetz lässt Raum für unterschiedliche Meinungen – auch Repressionen „durch die Hintertür“ haben keinen Bestand. (...) Lasst uns alle dafür sorgen, dass die Gesinnungsprüfung von linken Menschen im Freistaat Bayern komplett abgeschafft wird."
- Kerem Schamberger auf Facebook