Geschwister oder Einzelkind Haben Geschwister Vorteile in der Entwicklung?
Allgemein schreibt man Geschwistern Vorteile in der persönlichen Entwicklung zu: Menschen, die mit Brüdern oder Schwestern aufwachsen, hätten eine größere soziale Kompetenz, gingen besser mit Frustrationen um und seien kommunikativer. Aber stimmt das?
Die Antwort lautet ja, aber auch nein. Ja, es gibt eine ganze Reihe von Aspekten, aus denen Geschwister Vorteile ziehen können. Aber nein, die Wissenschaft kann keine allgemeingültigen Unterschiede in der Entwicklung feststellen.
Das liegt daran, dass die Vor- wie Nachteile von vielen Faktoren und Einflüssen abhängen. Es spielen individuelle Charakterzüge genauso eine Rolle wie die allgemeinen Rahmenbedingungen. Es ist relevant,
• wie viele Geschwister es sind.
• ob Vater oder Mutter alleinerziehend sind.
• wie viel Zeit die Eltern haben.
• wie sich die finanzielle Situation darstellt.
• wie das soziale Umfeld gestaltet ist.
• wie hoch das Stresslevel zu Hause ist.
Anzahl der Geschwister
Wenn heute von Geschwistern gesprochen wird, dann handelt es sich in über 70 Prozent der Fälle um Familien mit zwei Kindern. Nicht ganz 30 Prozent der Kinder haben zwei oder mehr Geschwister. Insgesamt gerechnet sind fast 50 Prozent der Kinder Einzelkinder.
Familien | 1 Kind | 2 Kinder | 3 Kinder
und mehr |
|
---|---|---|---|---|
Bund | 12.036 | 6.020 | 4.427 | 1.589 |
100% | 50% | 37% | 13% | |
Bayern | 1.957 | 952 | 760 | 245 |
100% | 49% | 39% | 12,5% |
Quelle: https://www.destatis.de/DE/Themen/Gesellschaft-Umwelt/Bevoelkerung/Haushalte-Familien/Tabellen/2-3-familien-bundeslaender.html
Geschwister: Vorteile sind oft Vorurteile
Die Wissenschaft sagt, dass in Familien mit mehreren Kindern ein anderes Entwicklungsumfeld herrscht. Aber das ist eine wertfreie Feststellung, ist also weder gut noch schlecht. Das bedeutet nur, dass Kinder anders lernen und anderes lernen. Ja, Geschwister haben, je nach Altersunterschied, immer einen Spielkameraden, müssen sich immer absprechen und lernen, vieles zu teilen.
Die Stereotypen sind für Erstgeborene, dass sie selbstbewusst und eher konservativ sind, während die Jüngeren mehr Freiheit für die Entwicklung ihrer Kreativität haben. "Das ist für uns intuitiv total logisch, aber die Forschung ist sehr ernüchternd. Also so ganz, ganz kleine Unterschiede findet man manchmal zwischen ersten und zweiten Kindern. Im Sinne von: Die zweiten sind minimal sozial kompetenter, die ersten einen Tick geistig schneller entwickelt. Das ist aber so wenig, dass viele andere Einflussfaktoren eine viel größere Rolle spielen," sagt Dr. Maren Weiss, Professorin für Psychologie an der SRH Wilhelm Löhe Hochschule in Fürth.
Einzelkinder
Durch den Wandel unserer Gesellschaft dahingehend, dass immer häufiger beide Elternteile arbeiten und ihre Kinder Krippe, Hort und Kindertagesstätte besuchen, haben auch Einzelkinder schon sehr früh soziale Kontakte. Auch wenn das keine Geschwisterbeziehung ersetzen kann.
Und es kann durchaus sein, dass Einzelkinder eine große soziale Kompetenz entwickeln. Wenn sie Kontakt haben möchten, müssen sie ihn außerhalb der Familie suchen. "Und während Geschwister auch dann bleiben, wenn man sich mal danebenbenimmt, können Freunde schnell verschwinden", so Dr. Maren Weiss.
Was die Erziehung betrifft, erwähnt die Expertin eine Studie, die nahelegt, dass ein demokratischer Erziehungsstil bei Einzelkindern von größerer Bedeutung sein könnte, weil es keine regulierenden Faktoren durch die Geschwister gibt. Das heißt, dass Eltern von Einzelkindern diesen genügend Mitsprache einräumen sollten, denn Einzelkinder stehen bei Entscheidungen den Eltern alleine gegenüber, Geschwister sind dagegen mindestens zu zweit.
Erziehung ist ein wichtiger Einflussfaktor
In der Zweikind-Familie können Geschwister in schulischen Belangen Vorteile haben. Die Großen können davon profitieren und daran wachsen, dass sie den Kleinen helfen. Und die Kleinen profitieren, weil sie mehr Hilfe bekommen. Das ist aber nicht automatisch und nicht immer so, da müssen die Großen und die Kleinen auch mitspielen und die Eltern müssen dieses Zusammenspiel fördern. Und damit sind wir bei einem der wichtigsten Einflussfaktoren, der Erziehung.
Eltern lenken, sind Vorbild, legen Grundlagen und wollen nur das Beste für ihre Kinder. Sie wollen alle gleich behandeln. Das ist ein ehrenwertes Ziel, sagt Dr. Maren Weiss, aber Kinder sind nicht gleich. Deshalb rät sie, "dass das bessere Augenmerk ist, darauf zu achten, was jedes Kind braucht. Die einen brauchen zum Beispiel mehr Nähe, die anderen dagegen mehr Freiraum." Und wichtig ist es, sich bewusst zu machen, dass man Geschwisterkinder nicht vergleichen sollte. "Das ist eine große Gefahr und es passiert schnell aus dem Bauch heraus", sagt Dr. Maren Weiss. Aber weil die Ältere die Schuhe mit vier Jahren zubinden konnte, muss der Jüngere das nicht auch in diesem Alter leisten.
Was sich laut Maren Weiss direkt auf Geschwister überträgt, ist der Stress im Elternhaus und der Umgang der Eltern untereinander. Das ist der sogenannte Spill-over-Effekt. Der besagt, dass Stress und mangelnde Harmonie unter den Eltern auch weniger Harmonie unter den Kindern bedeutet.
Welche Rolle spielt das Geschlecht
Hat es eine Auswirkung, ob Geschwister das gleiche oder ein anderes Geschlecht haben? Die Wissenschaft erzielt auch in diesem Punkt kein eindeutiges Ergebnis. Es gibt Tendenzen, sagt die Expertin Dr. Maren Weiss: "Man sagt so ein wenig klischeehaft, sobald ein Mädchen mit in der Konstellation ist, wird es etwas enger und emotionaler, sobald es nur Jungen untereinander sind, steht dieses Konkurrieren, dieses sich Ausstechen im Vordergrund. Woran man ja auch wachsen kann. Zwei Schwestern untereinander sind noch mal etwas Spezielles, weil häufiger diese emotionale Nähe, aber häufiger dieses Rivalisieren, dieses sich zurückgesetzt fühlen spürbar ist."
Alleinerziehend
Alleinerziehend zu sein, ist in Deutschland eines der größten Armutsrisiken und wirkt sich deshalb oft mehrfach auf die Kinder aus. Alleinerziehende mit mehreren Kindern sind zwar selten, aber wenn, ist der Elternteil deutlich mehr gefordert. Das kann sich auf die Entwicklungschancen der Kinder auswirken. Wenn dann noch das Armutsrisiko hinzukommt, schmilzt die Chancengleichheit zusammen.
Patchwork
Familien, die sich neu zusammensetzen, haben auch ihre speziellen Aspekte. Da sind die Kinder der beiden Elternteile, die sie mit in die Patchworkfamilie gebracht haben, und womöglich gibt es noch Nachwuchs aus der neuen Verbindung. In diesem Umfeld ist die Gefahr, dass sich eines der Kinder zurückgesetzt fühlt, besonders hoch. Dabei allen Kindern individuell gerecht zu werden, ist eine herausfordernde Aufgabe für die Eltern.
Altersabstand
Ist der Altersabstand der Geschwister sehr groß, sieben und mehr Jahre, schwächt sich der Geschwisterfaktor ab. Die Lebenswelten der Kinder sind dann zu unterschiedlich. Dadurch reduzieren sich die Aspekte, wie rivalisieren oder teilen müssen.
Bei kürzeren Abständen von zwei bis drei Jahren teilen sich die Kinder die Lebenswelt, stehen sich näher, rivalisieren aber auch häufig stärker. In Einzelfällen können so schlechte Geschwisterbeziehungen entstehen. Manchmal sind die so belastend, dass sie auch im Erwachsenenalter noch mit herumgetragen werden. Anzeichen können sein: Streit um alles und jedes und Sätze wie "Ihr habt XY ja viel lieber als mich".
Informationen: Dr. Maren Weiss, Professur für Pschologie, SRH Wilhelm Löhe Hochschule, Fürth
Lesen Sie auch, wie man in einem Geschwisterstreit als Erwachsener Frieden schließt.
Im Podcast "Blaue Coach" erzählt die Ärztin und Journalistin Beate Wagner über ihre beiden Söhne, die NAB-Baskeballstars Moritz und Franz Wagner. Und falls Sie den Podcast abonnieren möchten, können Sie das in der ARD Audiothek.
https://www.ardaudiothek.de/episode/blaue-couch/beate-wagner-aerztin-journalistin-und-mutter-der-basketball-brueder-die-wollten-gemeinsam-etwas-schaffen/bayern-1/13473585/