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Nachhaltiges Bauen Beim Renovieren Klima und Ressourcen schonen

Klimaneutralität - das ist das Ziel der Europäischen Union für 2050. Doch um die Pariser Klimaziele zu erreichen, müsste auch der Bausektor seine Emissionen in den kommenden zwei Jahrzehnten auf Null senken - eine Mammutaufgabe.

Von: Ortrun Huber

Stand: 28.10.2021

Graue Energie: Sanierungsmodelle für effizientes Energiesparen

Kaum eine Aktivität des Menschen ist so klimaschädlich wie Gebäude zu errichten und zu nutzen. Allein 25 Prozent der Treibhausgasemissionen Europas werden laut eines aktuellen Berichts des European Academies Science Advisory Counsil (EASAC) - ein Zusammenschluss der Nationalen Akademien der Wissenschaften der EU-Mitgliedsstaaten, Norwegens und der Schweiz - durch den Energieverbrauch von Gebäuden verursacht. 2020 gingen Schätzungen der UN zufolge weltweit rund 40 Prozent der energiebezogenen CO2-Emissionen sowie mehr als die Hälfte des Ressourcenverbrauchs auf die Baubranche zurück. Für Deutschland erhob das Forschungsunternehmen Prognos AG in einer Studie aktuelle Zahlen. Demnach verursachen der Bau und Betrieb von Gebäuden fast 41 Prozent der deutschen Treibhausgas-Emissionen. (Stand: Juli 2021)

Ein Neubau verursacht viel CO2

Um den Klimaschutzversprechen im Rahmen des Pariser Abkommens gerecht zu werden, müsste nicht nur die Europäische Union sicherstellen, dass die hier bestehenden Gebäude - in der EU rund 250 Millionen Bauten - sowie alle neuen Bauwerke nahezu null Treibhausgasemissionen verursachen, so die EASAC-Forscher. Da derzeit aber jährlich nur etwa 1 bis 1,5 Prozent des europäischen Gebäudebestands saniert werden, steht der Bausektor vor einer gigantischen Aufgabe. "Um die Ziele des Pariser Abkommens zu erreichen, sollte die Rate der Gebäudesanierung zwei- oder sogar dreimal so hoch sein", sagt William Gillett, Direktor des EASAC-Energieprogramms.

Klimaschutz beim Bau

Weitreichende und schnelle Maßnahmen sind also dringend notwendig – beim Betrieb bereits fertiggestellter Gebäude, aber vor allem bei Neubau und Bausanierungen. Den Klimaschutz unterstützen könnten zum einen Veränderungen beim Konsum und beim individuellen Verhalten. So würde beispielsweise eine um 15 Prozent geringere Wohnfläche pro Kopf laut "2020 Global Status Report for Buildings and Construction" der UN 10,5 Megatonnen CO2-Äquivalent einsparen. Das entspricht etwa 1,2 Prozent der gesamten Emissionen Deutschlands.

Wichtig ist nach Angaben von Experten aber vor allem, Technologien im Bereich der Effizienz (z.B. Gebäudedämmung, Wärmerückgewinnung), der Erneuerbaren Energien (z.B. Wärmepumpen, Photovoltaik) und der Baustoffherstellung (z.B. Einsatz von Wasserstoff statt Kohle bei der Stahlproduktion, Speicherung von CO2 bei der Zementherstellung) zu nutzen.

Graue Energie im Blick

Video

Graue Energie Sanieren von Bürogebäuden anstatt neu bauen

Eine wesentliche Bedeutung kommt beim Klimaschutz der grauen Energie zu, also jener Energie, die in den Materialien von Wohnhäusern und Industriebauten bereits verbaut ist oder künftig eingesetzt werden soll. Laut Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung entspricht diese im Schnitt einem Viertel der Gesamtemissionen eines konventionell gefertigten Gebäudes. Die Rest entsteht durch die Heizung und sonstigen Energieverbrauch, solange das Gebäude genutzt wird. Um graue Energie zu reduzieren sollte daher darauf geachtet werden, wie groß, kompakt und mit welchen Materialien gebaut wird.

Um die Umweltauswirkungen von Bauprojekten besser vergleichbar und transparenter zu machen, hat die Deutschen Gesellschaft für Nachhaltiges Bauen (DGNB) ein Zertifizierungssystem für private Bauprojekte entwickelt. Das System ist auf Neubauten und Instandhaltungen anwendbar und hat den Anspruch, den gesamten Lebenszyklus eines Gebäudes in den Blick zu nehmen.

Die wichtigste Bau-Regel fürs Klima: Abriss vermeiden

Doch auch eine solch guten Zertifizierung ist kein Garant für maximale Emissionseinsparung, kritisiert Veit Burgbacher vom Verein Architects for Future (AFF): "Ich sehe auch bei gut zertifizierten Projekten Stahlbetonstützen, Stahlbetondecken und einen sehr hohen Verglasungsanteil". Doch viel Glas und Beton gelten eben als eher klimaschädlich. Auch mit Photovoltaik auf dem Dach und Wärmetausch-Systemen allein sei es nicht getan, so der AFF. Der Verein setzt sich unter anderem dafür ein, dass die Ziele des Pariser Klimaabkommens in der Baubranche verankert werden.

"Einer der wichtigsten Grundsätze, die wir vertreten, lautet: Abriss vermeiden. Die graue Energie, die in jedem Gebäude steckt, ist unwiederbringlich verloren, wenn wir sie abreißen."

Veit Burgbacher vom Verein Architects for Future

Neubau mit recycelten oder nachwachsenden Baustoffen

Um Treibhausgase im Bausektor einzusparen, kommt es also nicht nur darauf an, Gebäude ökologisch mit erneuerbaren Energien zu bewirtschaften. Architects For Future fordert etwa, dass die künftige Bundesregierung die gesetzlichen Mindeststandards für nachhaltiges Bauen heraufsetzt. Bislang seien im Gebäudeenergiegesetz, das diese Standards festlegt, nicht einmal die grauen Emissionen berücksichtigt.

Aber auch die Produktion klimabelastender Baustoffe, wie etwa Beton, müssen eingespart und stattdessen recycelte Baustoffe eingesetzt oder durch nachwachsende bzw. ökologische Materialien wie Holz, Hanf, Kork, Lehm oder Schafwolle ersetzt werden. Nach Angaben des Statistischen Bundesamtes bestand 2019 immerhin mehr als jeder sechste Neubau (18 Prozent) aus dem Baustoff Holz - Tendenz steigend.

Ökologische Vorteile (heimischer) nachwachsender Baustoffe

  • biologisch recycelbar
  • Möglichkeit der Kaskadennutzung, also mehrfache Nachnutzung eines Rohstoffs (z.B. Massivholzbalken -> Spanplatte -> Papier -> Brennmaterial)
  • geringer Energie- und Ressourcenbedarf in der Herstellung
  • Bindung atmosphärischen Kohlenstoffs
  • Schonung nicht regenerierbarer Rohstoffe

Quelle: Prognos AG

Klimakiller Beton

Beton ist der wichtigste Baustoff der Welt, ohne ihn kommt fast kein Neubau aus. Doch in Beton steckt Zement als wesentlicher Bestandteil. Er ist das Bindemittel, das Sand, Wasser und Kies im Beton zusammenhält.

Zur Herstellung von Zement wird eine Mischung aus Kalkstein, Sand und Ton bei mehr als 1.400 Grad gebrannt. Dabei fallen jährlich 2,8 Milliarden Tonnen CO2 an, das sind fast acht Prozent der weltweiten Emissionen. In Deutschland sind es 20 Millionen Tonnen CO2, die das Klima belasten. Die Emission werden zu etwa einem Dritteln durch das Anheizen der Brennöfen freigesetzt. Der größe Teil des ausgestoßenen CO2 geht aber auf den Kalkstein im Zement zurück, der beim Brand pro Tonne Zement rund 600 Kilogramm CO2 freisetzt.

Zwar werden Lehm und Holz als Ersatzstoffe für den Hausbau schon lange erprobt und eingesetzt. Doch eine echte Alternative zum Baustoff Beton sind sie noch nicht. Deshalb setzt die Baubranche verstärkt auf klimafreundliches Recycling des „Klimakillers“ Beton.  

Kreislaufwirtschaft beim Bauen

Bauschutt, der beim Gebäudeabriss wie hier in Halberstadt (Sachsen-Anhalt) entsteht, soll künftig wieder zu Baustoff werden.

Eine Lösung für das emissionsärmere Errichten von Gebäuden könnte das „kreislauffähige Bauen“ sein. Die Experten des EASAC-Berichts betonen, dass der Übergang zu einer Kreislaufwirtschaft beim Bauen es nicht nur ermöglichen würde, den Ressourcenverbrauch und den CO2-Fußabdruck zu reduzieren, sondern auch das Abfallproblem anzugehen. Denn viele Baumaterialien können wiederverwendet, recycelt und zurückgewonnen werden.

Neue Regeln für Baustoff-Recycling

Das ist inzwischen auch in der Politik angekommen. In Deutschland schreibt das Kreislaufwirtschaftsgesetze seit Herbst 2020 den Herstellern von Baumaterialien in Deutschland vor, ihre Produkte so zu konzipieren, dass sie langlebig und reparaturfähig sind. Denn mengenmäßig stellen Bau- und Abbruchabfälle die wichtigste Abfallgruppe in Deutschland dar.

Die bei der Modernisierung, beim Neubau, bei Renovierungen oder bei Abbruchmaßnahmen jährlich anfallenden 228 Millionen Tonnen Bau- und Abbruchabfälle in Deutschland (Stand: 2018, Quelle: destatis) sollen so reduziert werden. Ein Großteil davon entfällt auf Boden, Steine und Bauschutt. "Die übrigen Baustellenabfälle umfassen unter anderem Eisen, Stahl, Aluminium, Kupfer, Zinn, Zink, Holz, Glas und Kunststoffe", schreiben die Autoren der Studie "Constructing Our Future. Planen. Bauen. Leben. Arbeiten".

Zugleich soll es eine Vermischung von Beton und Ziegeln im Baustoff mit brennbaren oder anderen Abfällen künftig nicht mehr geben. Wertvolle Primärrohstoffe könnten so geschont und weite Transportwege vermieden werden. Allerdings: Die Vorgabe, sogenannte Rezyklate beim Bau zu verwenden, wird nicht kontrolliert.

Noch 2018 wurden Recycling-Baustoffe (damals 73,3 Millionen Tonnen) zu drei Vierteln im Straßen- und Erdbau eingesetzt, knapp 22 Prozent dienten der Asphalt- und Betonherstellung. Zusätzlich Probleme beim Baustoff-Recycling bereitet die Tatsache, dass 9,6 Millionen Tonnen der Bau- und Abbruchabfälle gefahrstoffhaltige Abfälle sind, die eine Gefahr für Mensch und Umwelt darstellen (Stand: 2019). Dazu zählen beispielsweise Klebstoffe und Kunstharze.

Mehr Ökologie durch Quartiersansatz

Um eine „Ökologisierung der gebauten Umwelt“, wie sie Lamia Messari-Becker, Professorin für Gebäudetechnologie und Bauphysik an der Universität Siegen, fordert, zu erreichen, muss aber noch viel mehr passieren. Die Wissenschaftlerin verlangt mehr Technologieoffenheit und Innovation am Bau einerseits, aber auch einen nachhaltiger Perspektivwechsel bei der Planung von Bauprojekten - weg vom Einzelgebäude, hin zum Quartiersansatz:

"Auf der Quartiersebene haben Sie eine ganz andere Abnahmemenge an Energie, und erst dann werden bestimmte Energieversorgungs-Optionen überhaupt darstellbar. Sie haben aber auch oft sehr ähnliche Gebäudetypen. Mit der Folge, dass die Sanierungsmaßnahmen auch ähnlich ausgeführt werden, da ist wirklich mehr Potenzial als immer nur am Gebäude rumzuschrauben."

Lamia Messari-Becker, Professorin für Gebäudetechnologie und Bauphysik an der Universität Siegen

Wärme- und Bauwende vorantreiben

Grundsätzlich helfe eine ganzheitliche Bilanzierung von Gebäuden dabei, weniger Baustoffe zu verbrauchen sowie weniger CO2 und weniger Abfall zu verursachen, sagt Lamia Messari-Becker.

"Wir müssen den Blick auf Quartiere erweitern, als Bindeglied zwischen einerseits den Gebäuden und andererseits der Stadt. Hier lassen sich Maßnahmen in einem größeren Handlungsfeld und gemeinsame Projekte realisieren – mit Mehrwert: mehr Sanierungen, mehr erneuerbare Energien, Kooperationen mit Kommunen und Unternehmen und so weiter. So ließen sich eine Wärme- und Bauwende vorantreiben."

Lamia Messari-Becker, Professorin für Gebäudetechnologie und Bauphysik an der Universität Siegen