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Farbe bekennen Über die Buntheit in Kunst und Hobbymalerei

Nach dem Zweiten Weltkrieg war Buntheit in der Kunst lange Zeit tabu. Das änderte sich mit der Popart. Viele zeitgenössische Künstler nutzen reiche Farbpaletten. Und immer mehr Laien zeigen Interesse am Umgang mit bunten Farben.

Von: Barbara Bogen

Stand: 19.10.2023 | Archiv

Farbe bekennen: Farbe, Buntheit, Kunst, Nürnberg, Künstler, Malerei

Sprechen über Farbe ist gar nicht so einfach. Wie vielfältig und reich haben Künstler im Laufe der Jahrhunderte den Umgang mit Farbe gepflegt, haben sie Farbe genutzt, immer mit der Frage, welche Wirkung sollte Farbe in ihren Bildern haben, welche Aussage, welche Bedeutung und welche technischen Möglichkeiten gibt es überhaupt?

Farbe in der frühen Renaissance

In den lichten Bildern des florentinischen Malermönchs Fra Filippo Lippi etwa scheint Farbe in der frühen Renaissance zuweilen so transparent, so durchsichtig und fragil, dass sie den biblischen Figuren und Szenen wie von selbst etwas Spirituelles verleiht. Der englische Maler William Turner nutzt im 19. Jahrhundert Farbe in bisher kaum gekannter Reinheit und führt zugleich mittels wilder Farbexplosionen eine Welt vor, die sich aufzulösen scheint.  

Farbe als Verfremdung im Expressionismus

Die deutschen Expressionisten der Klassischen Moderne wie Gabriele Münter, Ernst Ludwig Kirchner oder Alexej von Jawlensky verwenden Anfang des 20. Jahrhunderts Farbe als Mittel der Verfremdung. Gesichter, Münder, Haare, Himmel erscheinen plötzlich schrill grün oder violett. 

Schließlich könnte die Wirklichkeit ja auch ganz anders sein, als man denkt. Der US-amerikanische Maler Mark Rothko malt in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts nur scheinbar monochrome, also einfarbige Bilder und versenkt den Betrachter dabei in eine Meditation über Farbe und die tiefen Schichten und Räume, die sie eröffnen kann.

Buntheit: Nach dem Zweiten Weltkrieg tabu

Nach dem Zweiten Weltkrieg ist Buntheit in der Kunst allerdings erst einmal lange Zeit tabu. Und Maler wie Ernst Schumacher oder der Spanier Antoni Tapies tragen schwere, dicke, dunkle Farbschichten auf ihre Leinwände auf. Das Düstere dominiert.

Mit der Popart kehrt die Farbe zurück

Spätestens seit der sich in den sechziger Jahren in den USA und Großbritannien zeitgleich entwickelnden Popart ist die Farbe aber wieder da in der Kunst. Sie ist geradezu überpräsent, und Farbtöne wie Azurblau, Zitronengelb, Erdbeerrot sind nicht mehr bloß phantasievoller "Kinderkram". Farbe - viel mehr als nur ein Produkt, eine Sehgewohnheit oder eine Vorliebe. Farbe ist Philosophie! Und eröffnet im Idealfall ganze Welten.

"Ich möchte kein schönes buntes Bild malen"

"Ich glaube, dass Farbe ein Transporteur eines ästhetischen Ausdrucks wird. Das Gefühl der Kühle oder des Abstoßens könnte auch als eine Form von Aggression oder von Missempfindung interpretiert werden, und das ist mir auch wichtig. Also, ich möchte kein schönes buntes Bild malen."

Susanne Kühn, Malerin und Professorin

Sagt etwa die Malerin Susanne Kühn über ihr Verhältnis zur Farbe und die Bedeutung, die Farbe in ihren Bildern hat. Susanne Kühn ist 1969 in Leipzig geboren, lebte mehrere Jahre in Boston und New York, wo sie Malerei studierte und ist heute eine international agierende Künstlerin. Sie gilt als eine der bedeutendsten deutschen Malerinnen der Gegenwart und ist zudem Professorin an der Akademie der Bildenden Künste Nürnberg. Farbe ist für sie natürlich nicht nur einfach Farbe.

"Farbe ist für mich eine Frage des künstlerischen Prozesses, auch der Entwicklung von Bildern, den Fokus auf bestimmte Inhalte, und dass eigentlich die Inhalte letztendlich am Ende die Wahl der Farbe bestimmen. Also es ist nicht etwas, was spontan entsteht und ich ein Gefühl habe, und sage, ach, heut geht’s mir gut, und deshalb wähle ich die und die Farbe, sondern es ist inhaltlich an eine Idee oder an den künstlerischen Prozess, an den malerischen Prozess gebunden."

Susanne Kühn, Malerin und Professorin

Das "Gelbe Bild" namens "Robota"

Hinter dem Farbreichtum, dem Blau, Pink und grellen Gelb, das sie auf ihren oft überlebensgroßen Leinwänden verarbeitet, verbergen sich komplexe Wirklichkeiten, verschachtelte Kosmen, brüchige Welten des 21. Jahrhunderts, stürzende Linien, ungeordnete Raumlandschaften zwischen Technologie und Natur, kühl, künstlich, clean, oftmals kaputt, immer klug, kontrastreich und doch stets in Harmonie. Häufig wirkt ihre Farbpalette dabei so, als habe ein Kind im Spiel tausendfarbige Mikado-Stäbe aus den Händen fallen lassen. Fast scheint es, als wolle die Künstlerin den Betrachter mittels der Farbspiele und -Intensitäten in die Irre einer schrill-bunten Harmlosigkeit führen. Über das "Gelbe Bild" sagt Susanne Kühn:

"Das 'Gelbe Bild' heißt 'Robota' und bezieht sich auf eine Zeit in meiner Kindheit und meiner Jugend, wo Arbeit an Maschinen eine große Rolle gespielt hat und ich mir über die letzten Jahre sehr viele Gedanken und auch Recherche gemacht habe, was denn die Arbeit als Künstlerin, als Malerin bedeutet und letztendlich sieht man in dem Bild eine Abfolge verschiedener handwerklicher und künstlerischer Tätigkeiten. Und die Farbe Gelb in ihrem breiten Spektrum begleitet diesen Prozess und diesen Raum, der dabei entsteht."

Susanne Kühn, Malerin und Professorin

Auf einem anderen Bild sitzt eine junge Frau, scheinbar sorglos, in einer um sie herum einstürzenden, offenbar zerbrechenden, zerbrechlichen Natur. Kaltrot sind die Farben. Ein Bild über unseren oft gedankenlosen Umgang mit der Umwelt? Dafür, dass Susanne Kühn Acrylfarben wählt statt Öl, gibt es ästhetische und technische Gründe.  

"Beim Thema Farbe muss man ja grundsätzlich erstmal unterscheiden, von was für einer Art von Farbe spreche ich, vom physikalischen Phänomen? Das heißt Lichtwellen, die auf meine Netzhaut treffen? Und dort das Gefühl für einen bestimmten Farbton auslösen oder dem Produkt, das ich irgendwo auf einen Bildträger auftrage und das dann später eben diesen Farbeffekt auslöst."

André Debus, freischaffender Künstler

André Debus wurde 1978 in Nürnberg geboren. Wer die Ausstellung zum Kunstpreis 2019 der "Nürnberger Nachrichten" im Kunsthaus Nürnberg gesehen hat, wird sich mit Sicherheit erinnern an sein signifikantes Selbstporträt. Der Künstler blickt einem da, ungeachtet der eingeschlagenen Zähne und blutroten Schürfwunden im Gesicht, putzmunter entgegen. "Beschädigter Künstler" heißt dieses Bild voller Schärfe und Ironie, das einen der beiden zweiten Preise errang.  

Ölfarbe selbst mischen

André Debus ist als Künstler natürlich auch Experte in Sachen Farbtechnik. Und weil sich immer mehr Hobbykünstler für das Malen und den Umgang mit Farbe interessieren, gibt er im geräumigen Atelier beim Künstlerbedarf Boesner am Rande von Nürnberg Kurse für interessierte Laien. 

"Also, ich hab ein Pigment, hier zum Beispiel Eisenoxidgelb. Das kann in einem unterschiedlichen Bindemittel ein unterschiedlicher Farbtyp sein. Nicht vom Farbsehen her, sondern von der Farbe als solcher, also es kann eine Acrylfarbe werden, eine Ölfarbe und so weiter. Und dieses Verständnis ist beim Farbenmachen echt wichtig und auch beim Verwenden von Farben. Wie funktioniert eine Farbe? Also ich habe ein Pigment, den Farbträger und ein Bindemittel, mit dem das Ganze später auf dem Bildgrund verklebt wird, und ich hab hier jetzt die Pigmente auf dem Anreibeglas, vermenge die Pigmente mit einem Spatel zu einer Paste, das ist hier Leinöl, gebleichtes, und dann hab ich im Prinzip schon eine Paste, die schaut ein bisschen aus wie ein gelber Teig, Kuchenteig, eine Ölfarbe. Diese Pigmente sind jetzt aber noch nicht in der Art verbunden mit dem Bindemittel, mit dem Leinöl, deswegen brauch ich einen speziellen Glasläufer, eine Art schwerer Glasstempel, mit dem ich diese Farbe verreibe und man merkt, die wird wieder etwas viskoser dadurch. Und das, was mir jetzt hier auf der Palette liegt, ist eine Ölfarbe. Die kann ich mit dem Spatel abnehmen. Sieht schon auch typisch aus wie eine Ölfarbe. Und ich kann das Ganze mit einem Pinsel, so wie es ist, aufmalen."

André Debus, freischaffender Künstler

So entsteht eine Acrylfarbe

Eine Ölfarbe, wie man sie theoretisch auch aus der Tube kaufen kann. Mit demselben Pigment entsteht die Farbe aus Acryl, jedoch in einem völlig anderen Prozess. 

"Wenn ich jetzt aber hingehe und sage, ich möchte keine Ölfarbe, sondern ich möchte eine Acrylfarbe, dann kann ich das gleiche Pigment nehmen, gebe das wieder auf eine Palette, gebe etwas Wasser in diesem Fall dazu zum Anreiben, mach mir wieder meinen Kuchenteig, meinen Pigmentteig. Das hier ist wasserverdünnbar im Gegensatz zur Ölfarbe. Es ist deswegen viel angenehmer mit Acrylfarben als mit Ölfarben zu arbeiten. Man sieht auch den Unterscheid, der Farbton wirkt in diesem Fall bei diesem Pigment transparenter und leuchtender als beim Öl."

André Debus, freischaffender Künstler

Farbtechnik-Kurse für interessierte Laien

Immer mehr Laien zeigen gegenwärtig Interesse an Kenntnissen über den Umgang mit den faszinierenden Techniken, mittels derer Farbe entsteht. Tanja Jung bietet Workshops zu unterschiedlichen Kreativtechniken an, bezeichnet sich aber selbst als Autodidaktin.  

"Ich selber hab‘s auch nicht studiert. Ich mache das, seitdem ich Kind bin, und es ist immer so aus meinem Herzen rausgekommen. Es ist wie bei vielen Dingen, denk ich, 'learning by doing'. Und wenn das Interesse für die Kunst da ist oder für bestimmte Kunstrichtungen, dann bin ich persönlich der Meinung, dass man das lernen kann und wenn man Zeit investiert und sein Herz dafür öffnet, dann find ich, kann das jeder!"

Tanja Jung, Dozentin und Buchautorin

Acrylic Pouring und Alcohol Ink – bunte Farbspiele und Kreativtechniken

Tanja Jung ist auch Buchautorin, 2018 schrieb sie ein Sachbuch über die Technik "Acrylic Pouring", eine Technik, mit der man unvorhersehbare Zufallskreationen und bunte Farbspiele gestalten kann. Die Farben werden hier einfach in einem oder mehreren Schritten auf den Untergrund gegossen. Eine Technik, die jede und jeder leicht erlernt. Ebenso wie das Alcohol Ink.

"Inkfarben sind auf Wasserbasis, und im Grunde genommen sind diese Alcohol-Ink-Farben Pigmente, in Alkohol aufgelöst. Und dadurch hat man einfach die Möglichkeit, auf sehr glattem Untergrund sein Kunstwerk immer wieder mit hochprozentigen Alkohol anzulösen und weiter zu gestalten, und das ist so der Unterscheid zu den normalen wasserlöslichen Inkfarben. Man kann da sehr schöne Strukturen machen. Letztendlich sieht's dann hinterher ein bisschen aus wie abstraktes Aquarell, was dabei dann rauskommt."

Tanja Jung, Dozentin und Buchautorin

Immer mehr Farben im Künstlerfachhandel

Martin Dotzauer, Geschäftsführer des Künstlerfachhandel Boesner Nürnberg hat sein Sortiment aufgrund der großen Nachfrage schon lang für Laien- und Hobbykünstler erweitert.

"Es sind nicht nur ausschließlich die Profikünstler, sondern sehr viele ambitionierte Hobbykünstler, aber auch Familien mit Kindern, all die, die in ihrer Freizeit gern kreativ sein möchten, die gern am Ende auch ein Kunstwerk erschaffen möchten."

Martin Dotzauer, Geschäftsführer des Künstlerfachhandels Boesner

"Ich habe einen großen Respekt vor jedem, der sich in seiner Freizeit künstlerisch betätigt, ich halte das für besser als viele andere Hobbies, mit denen man seine Zeit vergeuden kann, Fernsehen oder soziale Medien oder sonst was."

André Debus, freischaffender Künstler

Ausmalen vorgegebener Motive – ein Trend für Erwachsene

Vor allem auch das "Ausmalen" vorgegebener Motive hat in den letzten Jahren das Interesse vieler Menschen hervorgerufen. Ein ungewöhnliches Phänomen, galt das Ausmalen früher eher als launig-bunte Beschäftigung für Kinder. Seit ein paar Jahren allerdings ist das farbige Ausmalen ein Trend für Erwachsene geworden. 

"Da sind wir jetzt im Therapiebereich. Es ist auch nicht wirklich unkreativ, sondern es ist so, dass man im Prinzip auch immer noch die Farben auswählen kann, auch den Umfang bestimmen kann, in dem man das macht, man hat da schon Eingriffsmöglichkeiten, aber hier geht’s tatsächlich darum, dass jemand zu sich kommen möchte, Ruhe haben möchte, meditieren möchte. Mit einem Stift in der Hand, und das ist völlig legitim so zu arbeiten. Natürlich entsteht damit kein Kunstwerk, das später mal in einem Museum ausgestellt wird, aber das hat ja auch keiner zum Ziel, der sich so ein Büchlein kauft."

André Debus, freischaffender Künstler

Technologie ausschlaggebend für Entwicklung der Kunst

Immer spielte die Technologie für die radikale Entwicklung der Kunst und der Farben eine gewaltige Rolle. Als im 19. Jahrhundert die Farben in Tuben entwickelt wurden, gab das Malern die Möglichkeit, ihr Malzubehör mühelos mit hinaus in die Natur zu nehmen. Farben mussten nicht mehr im Atelier in komplizierten Prozessen angerührt werden. Auch die neue Mobilität durch das Reisen mit der Eisenbahn machte möglich, dass Maler mit ihren Farbtuben im Gepäck in die Natur fuhren. Dort, direkt vor Ort entstand nun unter freiem Himmel, bei natürlichen Licht- und Schattenverhältnissen und naturgegebener Farbigkeit eine neue Schule der Kunst und der Farben: Die Pleinair-Malerei, die Freilichtmalerei. Ein Beispiel dafür ist die "Schule von Barbizon", ohne die die lichten Farbräusche der Impressionisten, die Bilder eines Claude Monet oder Paul Cezanne niemals möglich gewesen wären.    

Nürnberg ist eine Farbenstadt

Auch in Nürnberg waren technische Entwicklungen bei den Farben von maßgeblicher Bedeutung für die internationale Kunstszene. Nicht zuletzt spielten sie eine große Rolle bei der Popularisierung des Malens. Denn Nürnberg ist eine Farbenstadt. Eine Stadt, in er sich schon ab dem 18. und später im 19. Jahrhundert eine Dichte von Farbherstellern konzentrierte, die weltweit ihresgleichen sucht. Stifthersteller wie Schwan Stabilo, Faber-Castell oder Staedtler sind Namen, die seitdem bei Künstlern und Hobbykünstlern auf der ganzen Welt gleichermaßen zum Begriff geworden sind. 

Farbe in der Kunst zwischen Kreativität und demokratischer Teilhabe, zwischen Meditation, Therapie und Technologie, zwischen hoher Professionalität und Freizeitbeschäftigung, Farbe in der Kunst – ein Eintauchen in eine Welt, die zweifellos phantasievoller und schöner ist als die oft schnöde blasse, sogar mitunter bedrohliche und beängstigende Wirklichkeit, die unseren Alltag bestimmt.


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