Der Genfer Reformator
Religion | RS, Gy |
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Ist er der Inbegriff religiöser Intoleranz, ein Fundamentalist und Tugendtyrann? Oder doch ein mutiger Erneuerer, der das Christentum von papistischen Gräueln reinigt und der Heilslehre die von Gott gemeinte Gestalt wiedergibt?
Johannes Calvin spaltet die Geister. Für die einen ist er eine immerwährende Reiz- und Hassfigur, ein rigider Vordenker autoritärer Gesellschaften, die das Leben der Menschen hinein in den privatesten Winkel durchleuchten und kontrollieren. Ein freudloser Zuchtmeister des Gewissens, der jeden Fehltritt unnachgiebig und brachial ahndet; der engstirnige Prediger eines unnahbaren, rachsüchtigen, kalten und unbegreiflichen Gottes; der willfährige Wegbereiter einer kapitalistischen Leistungsideologie, in der die Starken siegen und die Schwachen keinen Platz mehr haben.
Lichtgestalt und Finsterling
Für die anderen ist Johannes Calvin ein bis in die Gegenwart wirkender, erfolgreicher Reformator, der den verwirrenden Spitzfindigkeiten katholischer Kasuistik ein klares und verlässliches Gottesbild entgegenstellt. Ein frommer Eiferer, der die Bibel und das offenbarte Wort Gottes zur alleinigen Richtschnur des Glaubens erhebt; ein entschlossener Kämpfer, der die Reinheit der Lehre mutig gegen Ablasshandel und Bilderkult, gegen Heiligen- und Reliquienverehrung, gegen alle Entartungen papistischer Götzendienerei und vor allem gegen die gottvergessene Anbetung des Menschen verteidigt.
Ein ewiger Streitfall
Dem Wesen und Wirken des Genfer Reformators gerecht zu werden, ist ein schwieriges Unterfangen. Vieles in seinem Leben, in seiner Lehre und seinem Handeln erscheint aus heutiger Sicht unverständlich, bizarr, kalt, starr, lust- und lebensfeindlich. Das maßgeblich von Stefan Zweig geprägte Bild des skrupellosen Tyrannen, Gewissensschnüfflers und Gesinnungsdiktators hält sich hartnäckig. Auf der anderen Seite ist Calvin unbestritten einer der wichtigsten Gestalter der westlichen Zivilisation. Er hat Luthers Reformation so erfolgreich weitergeführt wie kein anderer. Sein Wirken prägte den nordeuropäischen Protestantismus und strahlte bis in die Vereinigten Staaten von Amerika aus, wo die ihres Glaubens wegen verfolgten Pilgerväter den Grundstock einer noch heute äußerst lebendigen und einflussreichen freikirchlichen Szene legten.