Bayern 2 - Das Kalenderblatt


1

6. September 1780 Goethe schreibt "Ein Gleiches"

Ein Dichterfürst kann nirgends dichten ohne gewaltige Folgen. Am 6. September 1780 hatte Goethe sein Gedicht "Ein Gleiches" in die Bretterwand einer Waldhütte eingeritzt. Heute gibt es das Gedicht auf Englisch, Sächsisch, Japanisch und in allen denkbaren Verballhornungen.

Stand: 06.09.2010 | Archiv

06 September

Montag, 06. September 2010

Autor(in): Stefan Wilfert

Sprecher(in): Johannes Hitzelberger

Redaktion: Thomas Morawetz / Wissenschaft und Bildung

Was macht der Deutsche, wenn er singen will? Er geht in den Wald. Was macht er, wenn er am Busen der Natur ruhen will? Er geht in den Wald. Was macht er, wenn er Müll abladen will? Er geht in den Wald. Der Wald ist - wie man sieht, beziehungsweise hört - für den Deutschen lebensnotwendig. Es soll also heute vom Walde die Rede sein. Aber eher in der Sektion "Poesie". Damit sind wir bei Goethe. Der hat dem Wald ein Denkmal gesetzt - mit einem Gedicht. Es heißt: "Ein Gleiches". Denn auch Goethe ging öfters im Walde spazieren - eines Tages im Thüringer Wald bei Ilmenau. In einer Jagdhütte schrieb er dann folgendes Gedicht an die Bretterwand:

Ein Gleiches
Über allen Gipfeln ist Ruh´
In allen Wipfeln spürest du
Kaum einen Hauch.
Die Vöglein schweigen im Walde.
Warte nur, balde,
Ruhest du auch.

Das also hat Goethe geschrieben, am 6. September 1780. Ein Gedicht, das nicht nur berühmt wurde, sondern weltberühmt. Und was berühmt ist, wird nachgemacht. In allen Variationen und Sprachen. Let`s hear it in English:

Calmness reigns o`er the tops of the trees!
Not a breath is heard among the branches!
The birds are asleep in the grove-
Wait but a little while,
and thou too sleepest.

Na ja, halt übersetzt. Eher weitläufig adaptiert ist das folgende auf Sächsisch, das 1891 in den "Fliegenden Blättern" stand:

Drowen im Schdädchen is Ruh.
Nur noch die Schkädchen klobbest du
Im diggsten Rauch;
De Gellnerin senkt schon ihr Geppchen,
Rasch noch e´ Deppchen,
Dann geh´n mer auch.

Das folgende von 1931 beweist, dass auch Ökonomen zuweilen der Lyrik zuneigen:

In allen Geschäften ist Ruh,
Von Umsätzen spürest du
Kaum einen Hauch.
Schon ist pleite
Die Kundschaft, die alte,
Warte nur, balde
Bist du es auch!

Zeitgeschichte auf Goethes Spuren, möchte man da sagen. Womit wir mit einem Schlenker bei der Werbung wären. Und zwar bei der von den Rumplex-Waschmaschinen, 1924:

Über allen Räumen ist Ruh´
Vom Waschtag spürest du –
Kaum einen Hauch!
Warte nur balde...
Rumplext du auch!

Schon erstaunlich wo überall "Ruh is" und was man nicht alles spüret. Und natürlich, auch die berühmten Dichter haben sich an das Gedicht gemacht: Bert Brecht gehörte dazu, Ernst Jandl oder Thomas Bernhard. In Arno Schmidts "Zettels Traum" heißt es:

Die Schweine Vögeln im Walde?!
"W entrüstet / und Er, still):
Warte nur balde –

Na ja, was halt so ein Zettel träumt. Aber immerhin ist noch vom Walde die Rede.

Goethe-Verehrer haben jedenfalls nie geschlafen. Im Jahr 1902 übertrug ein solcher das Gedicht ins Japanische. Neun Jahre später wurde es dann von einem Freund der japanischen Lyrik ins Französische übersetzt, und so klingt’s in einer neuerlichen Übertragung am Ende seiner Reise:

Stille ist im
Pavillon aus Jade.
Krähen fliegen
Stumm zu beschneiten Kirschbäumen im Mondlicht.
Ich sitze
Und weine.

Uns wird jetzt ganz wirr im Kopf von den vielen illustren Namen und gekonnten Varianten von "Ein Gleiches". Und genau das macht uns Mut! Jawoll! Jetzt sind wir dran! Hier ist unsere ureigene Version! Extra für das Kalenderblatt gedichtet:

Gleich eines!
In jedem Sender
Ist Ruh´,
Nur hier im Kalender-
Blatt spürest du,
Kein Stehn auf dem Schlauch.
Die Vöglein hören`s im Walde.
Warte nur balde,
hörest du`s auch.


1