7. August 1902 Polyglott-Verlag gegründet
Der erste Reiseführer aus dem Polyglott-Verlag, gegründet ,war eigentlich ein Handbuch für Amerika-Auswanderer. Zwar wusste er nicht, wie man Millionär wird, enthielt aber Tipps für den Job als Tellerwäscher. Autorin: Astrid Mayerle
07. August
Donnerstag, 07. August 1902
Autor(in): Astrid Mayerle
Sprecher(in): Krista Posch
Illustration: Tobias Kubald
Redaktion: Frank Halbach
Der amerikanische Schriftsteller Truman Capote wusste sich den Leser zum Komplizen zu machen, indem er schon mal seine mögliche Lebenssituation bedachte: eine Reise könnte etwa die Flucht vor der Polizei zum Anlass haben. Verständlich!
Wie auch immer, Capote schlug Tanger als adäquates Reiseziel vor und gab dem Leser in seiner 1949 entstandenen Reportage über die marokkanische Stadt gleich ein paar Ratschläge mit auf den Weg: er solle sich gegen Typhus impfen lassen, seine gesamten Ersparnisse abheben und ja, auch das, seinen Freunden Lebewohl sagen, denn es sei gut möglich, dass man sich nie wieder sehe.
Reise oder Auswanderung?
Die sehr unterschiedliche Richtung der drei Ratschläge lässt aufhorchen: denn während der erste auf zuverlässige medizinische Erkenntnisse zurückgeht und genau so in einem Reiseführer stehen könnte, scheinen doch die beiden letzteren eher einem persönlichen Erfahrungsrepertoire zu entstammen. Meint Capote - um keine Übertreibung verlegen - doch nichts anderes als: Tanger ist so großartig, vermutlich werden Sie dort für immer bleiben - und Sie werden nicht einmal ihre Freunde vermissen!
Derlei als Ratschläge getarnte hymnische Versprechen sind dem ersten Reiseführer aus dem Polyglott-Verlag, der am 7. August 1902 als Verlag Polyglott Kunze gegründet wurde, völlig fremd. Eher findet man in dem kleinen Handbuch mit dem Untertitel "Wichtige Ratschläge über Amerikanische Verhältnisse" Informationen zum Geldwechsel, zum Geschäftsgebaren, zum Alkoholkonsum und Tipps zur Angabe der Vermögensverhältnisse. Im Gegensatz zu Capote, der dem Marokkoreisenden vorschlug, vor Reiseantritt seine gesamten Ersparnisse abzuheben, geht der Polyglott Kunze von etwas bescheideneren Kapitalimporten in die Vereinigten Staaten aus:
Er empfiehlt, dem Beamten der Einreisebehörde wenigstens eine runde Summe von etwa 50 Dollar zu Protokoll zu geben. Denn gänzliche Mittellosigkeit könnte ein Grund sein, die Einreise zu verhindern.
Praktische Bewerbungstipps
"Good morning, Sir! - Guten Morgen, mein Herr, How do you do? - Wie geht es Ihnen?...." Der Vokabelteil des Polyglott Kunze erscheint zunächst als Prototyp der Worttabellen in den heutigen Reiseführern. Sehr ausführlich ist aber der Vokalbelteil über typische Werkzeuge und Produkte bestimmter Berufsgruppen, wie Jäger, Schneider, Barbier, Kohlenhändler und Schuster - denn er erste Reiseführer des Verlags verstand sich vor allem als Handbuch für Auswanderer. Der Abschnitt "Ratschläge für Arbeitssuchende" empfiehlt: Man soll morgens, wenn die Zeitungen mit den Stellenanzeigen erscheinen, unbedingt sprungbereit sein; und ein Kaufmann oder Auswanderer mit höherer Schuldbildung darf sich nicht zum Tellerwäscher - hier "Spülkellner" - zu schade sein.
Übrigens enthält der Polyglott Kunze Amerika aus dem Jahr 1902 auch eine Tabelle zur Umrechnung von Flächenmaßen - für all jene, die Land erwerben wollen: 118 3/4tel bairische Acker entsprechen demnach genau 100 amerikanischen Acres. Derlei profane Umrechnungen waren Truman Capote natürlich völlig fremd, er zählte bei nächtlichen Dünenwanderungen lieber Sternschnuppen.