Bayern 2 - Das Kalenderblatt


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4. März 1876 Urschleim-Entdeckung entpuppt sich als Flop

Er war ein Superstar der noch jungen Evolutionstheorie: der Urschleim vom Meeresgrund, den der Entwicklungsbiologe Ernst Haeckel zum Ursprung allen Lebens erkoren hatte. Eine schöne Theorie so ganz eigentlich, doch bei einem Laborexperiment flog die Berühmtheit auf. Autorin: Prisca Straub

Stand: 04.03.2025

04.03.1876: Urschleim-Entdeckung entpuppt sich als Flop

04 März

Dienstag, 04. März 2025

Autor(in): Prisca Straub

Sprecher(in): Johannes Hitzelberger

Redaktion: Susi Weichselbaumer

Für seine Mitmenschen ist es nur - grässlicher Glibber. Doch für den führenden deutschen Entwicklungsbiologen ist diese Masse irgendwo zwischen fest und flüssig - ein Universum voll faszinierender Schönheit! Jahrelang hatte Ernst Haeckel Glitschiges, Schleimiges und Schlammiges untersucht. Und aus der unspezifischen Substanz - ein ganzes Weltbild erschaffen. Im Schleim, so der Naturforscher, befinden sich - die Grundbausteine des Lebens: mikroskopisch kleine, Amöben-artige Wesen - ohne Haut und innere Organe. Die Urform aller Organismen. Ernst Haeckel nennt sie "Moneren" - "Urlinge" eben.

Ernst Haeckel und seine "Erstlinge"

Mit seiner Theorie von der elementaren "Ur-Suppe" treibt Haeckel die noch junge Abstammungslehre seines Idols Charles Darwin auf die Spitze. Und findet begeisterte Anhänger: Als der britische Forscherkollege Thomas Huxley bei der Untersuchung von Bodenproben aus dem Atlantik auf eine diffuse Masse stößt, eine Art nebelhafte Salzwasser-Gelatine, nennt er sie Haeckel zu Ehren: Bathybius Haeckelii, also Haeckelsche "Erstlinge". Oder einfach: Urschleim.

Der wabbelige Bathybius katapultiert Ernst Haeckel auf den Höhepunkt seiner naturkundlichen Laufbahn. Proben des zähflüssigen Glibbers, die man ihm aus England zukommen lässt, sind durchzogen - wie von feinen Adern … Eingebettete mikroskopische Kalkeinschlüsse weisen wohl auf Überreste einer letzten Mahlzeit hin? Haeckel porträtiert den neuen Superstar auf prächtigen Bildtafeln und präzisiert: Bathybius, der evolutionäre Vorläufer sämtlicher Kreaturen, wabert auf dem Grund aller Ozeane und gebiert dort beständig neues Leben aus dem Schlick.

Lebensspendender Glibber - ein Labor-Produkt

Doch Haeckels Theorie vom primitiven Meeresschleim als Lebensspender hält sich nur wenige Jahre. Bis zur Fahrt des britischen Expeditionsschiffs HMS Challenger, die die Schöpfungskraft des Urschleims abrupt entzaubert. Auf der gut dreijährigen Forschungsreise zur Erkundung der Tiefsee füllen Forscher Hunderte von Kisten - Glasbehälter, Fläschchen, Zinndosen mit allerhand Proben in Salzlake; oder konserviert in Alkohol. - Nur:Bathybius Haeckelii ist nicht dabei! - Egal, wie viel Tiefseeschlamm in Schleppnetzen an Bord gehievt und im Schiffslabor mit dem Mikroskop durchforstet wird. Und dann das: Eine datierte Probe vom 4. März 1876 belegt: Als der Bord-Chemiker der Challenger den Vorgaben gemäß Alkohol über eine Probe schüttet, taucht die geleeartige Berühmtheit plötzlich auf. Als Niederschlag im Seewasser! Bathybius, der Haeckel-Schleim, ist also ein reines Laborprodukt!

Ein herber Schlag. Die universelle Substanz war diskreditiert. Haeckel tat in den folgenden Jahren zwar alles, um die Urschleim-Frage zu seinen Gunsten zu wenden, doch die europäischen Forscherkollegen hatten sich distanziert.

Eine der Bathybius -Proben der Challenger-Expedition wird heute in einem verstöpselten Fläschchen im Naturkundemuseum im schottischen Glasgow aufbewahrt. Die glibberige Ausfällung allerdings hat sich längst aufgelöst. Das Gefäß scheint gefüllt - mit klarem Seewasser.


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