7. Oktober 1849 Edgar Allan Poe stirbt
Grabgewölbe, Ruinen im Nebel, Wiedergänger und vampirhafte Mädchenleichen gehören zu seiner literarischen Welt. Aber er hat auch den scharfsinnigen Meisterdetektiv Monsieur Dupin erfunden: Edgar Allan Poe. Autor: Michael Skasa
07. Oktober
Mittwoch, 07. Oktober 2015
Autor(in): Michael Skasa
Sprecher(in): Michael Skasa
Illustration: Tobias Kubald
Redaktion: Frank Halbach
"Bei Gott! Nervös, furchtbar nervös bin ich gewesen und bin es noch; doch warum wollt ihr mich für wahnsinnig halten?" Eine Geschichte, die mit einem solchen Pardauz schon im ersten Satz mitten hinein springt in Schreck und Verstörung, muss man einfach weiterlesen. Und der Erzähler fährt fort: "Die Krankheit hat meine Sinne geschärft, nicht etwa zerstört oder verdunkelt. Geradezu unglaublich war mein Gehörssinn. Ich hörte, was im Himmel und auf Erden geschah. Ich hörte manches, was in der Hölle geschah."
Ekel, Mord und Angst
Der Beginn einer Schauergeschichte. Und schaurig geht sie weiter, schraubt sich in wenigen Seiten durch Ängste, Ekel und Mord in die Abgründe einer Besessenheit, doch deckt der Erzähler mit scharfer Präzision das Chaos seiner Seele auf. Die Geschichte heißt "Das verräterische Herz", ihr Autor ist Edgar Allan Poe, geliebt wegen seiner Gruselgeschichten, worin Scheintote nächtens wiederkehren und verwitterte Herrensitze zerbröckeln und in Sumpf und Nebeldampf versinken, wo Raben, schwarze Kater und der Rote Tod, die Pest, ihr Wesen treiben: "Und einer nach dem andern sanken die Gäste in ihren blutüberströmten Festgewändern zu Boden und verschieden (...). Das Ticken der Ebenholzuhr aber verstummte, als der letzte Seufzer der Sterbenden verklungen war. Die Flammen der Dreifüße erloschen, und Dunkelheit und Verwesung breiteten sich über dem ganzen Schloss aus, in dem der Rote Tod nun unumstritten sein Szepter schwang."
Das klingt nach Schauerromantik - und in der Tat sind die Versatzstücke vieler Erzählungen: Ruinen im Nebel, Wiedergänger, Grabgewölbe, Schlösser im Mondlicht, vampirhafte Mädchenleichen der deutschen Romantik entnommen, doch Poe stellte klar: "Der Schrecken in meinen Geschichten kommt nicht aus Deutschland, sondern aus der Seele." Ein "unbestimmtes Grauen" wird mit überwachen Sinnen klaräugig betrachtet und analysiert: "Im tiefsten Schlummer, mehr noch: im Delirium, in einer Ohnmacht, im Tod, ja, sogar im Grabe bleibt uns noch ein letzter Rest von Bewusstsein.
Sonst könnte die Seele des Menschen ja nicht unsterblich sein", heißt es in der Foltergeschichte "Die Grube und das Pendel", worin er schon Kafkas Urängste vorwegnimmt.
Endloses Delirium
Von Delirien verstand er einiges, und von Zerrissenheit, Identitätsverlust und dem Sog in die Tiefe. Als er ein Jahr alt war, starb der Vater, im nächsten Jahr seine Mutter. Er wird in eine wohlsituierte Familie im Tabakstaat Virginia aufgenommen, aber nicht adoptiert, studiert alte und neue Sprachen, wird vom verärgerten Pflegevater auf die Straße gesetzt, geht zur Armee, wo er’s zum Hauptfeldwebel bringt, bevor er das Exerzieren sein lässt und Gedichte schreibt, die keiner lesen mag. Er bewirbt sich als Zeitungsredakteur und wird eine ganze Reihe "Periodicals" leiten, wobei er lernt, kurze fesselnde Geschichten zu schreiben. Mit dem "Mord in der Rue Morgue" von 1842 erfindet er die Detektivgeschichte: Es tritt da ein Monsieur Dupin auf, der einen Doppelmord als Tat eines Orang Utans analysiert - Vorbild aller Spürnasen bis zum heutigen Profiler. "Wenn jeder Autor, der ein Honorar für eine Geschichte erhält, die ihr Entstehen Poe verdankt, zehn Prozent für ein Monument des Meisters abgäbe, es erhöbe sich eine Pyramide wie die von Cheops", sagte Conan Doyle, der Autor des Sherlock Holmes.
Leider trank Poe schubweise allzu stark, auch andre Drogen waren ihm nicht fremd. Und so greift man im Herbstnebel von Baltimore eines Nachts einen zerlumpten Burschen auf, vollgepumpt mit Alkohol, und schleppt ihn ins Hospital, wo Edgar Allan Poe vierzigjährig, am 7. Oktober 1849, stirbt, in endlosem Delirium.